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364 S. Kapper: Geflügelte Worte der Herzegowiner. hat diese letztere Annahme immer noch die meiste Wahr scheinlichkeit. Der Haß der Kafirs gegen die Muhamme daner — gegen andere Völker, z. B. brahmanische Hindu, Europäer, sind sie durchaus freundlich — kommt daher, daß die Muhammedaner die schönen und zuverlässigen Berg bewohner gern als Sklaven besitzen und daher wegfangen, wo sie nur können. Für ihre frühere Geschichte beweist er nichts. Kafiristan ist ein jäh aufsteigendes Terrassenland, wel ches seinen letzten Abschluß in den unwirthlichen Schnee höhen des Hindukusch und der wilden östlichen Gebirgsketten findet. Vom Tiefland aus führen sehr beschwerliche, oft ganz schmale, felsige Pfade zunächst zu stufenartig übergela gerten Querthälern, durch welche hindurch man zu weit aus- gedehnten, ebenfalls stufenartig Uber einander liegenden Hoch ebenen kommt, welche von mächtigen Gebirgen umrandet sind. Hier liegen die Dörfer der Kafirs. Die Gebirge sind bis zu einer gewissen Höhe bewaldet und zwar immer noch von subtropischen Formen. Auch sonst sind die Ge genden wald- und namentlich gras- und blumenreich. Der Sommer ist warm, doch die übergroße Hitze gemildert durch die Höhe, durch Winde von den Berggipfeln gekühlt; der Winter dagegen, bei steppenartiger Beschaffenheit der Hoch flächen, oft sehr kalt. Die Luft ist schon merklich dünner; daher die Kafirs im Tieflande außerordentlich über die Hitze und die Schwere der Luft klagen. Geflügelte Worte der Herzegowiner. Mitgetheilt von Siegfried Kapper. II. Worin aber unter allen Südslaven der Herzegowiner eine Specialitüt besitzt, das ist die Gabe des „don mot", die er, merkwürdigerweise genug, trotz der beengten Kreise, in denen sein Dasein sich bewegt und seine Lebensanschauung sich be schränkt, mit der sogenannten großen Welt gemein hat, — jene knappgefaßte, anekdotisch zugespitzte Formung des ge flügelten Wortes, die nur aus Red' und Antwort besteht und um so treffender einschlägt und nachhaltiger haftet, als sie sich als eine Thatsache giebt, und, als ob zur bessern Be glaubigung, auch gleich dramatisirt, also gleichsam wortgetreu. Etwas aber, was geschehen ist, das behalten die Leute viel leichter und lieber und tragen es weiter, als was sich ihnen im Gewände der Lehre, der Sentenz geboten. Man weiß, mit welcher Schnelligkeit die in der großen Welt auftanchen- den don moto ihren Weg machen. Man weiß aber auch, wie rasch sie wieder verschwinden, Raketen gleich, die auf steigen, ein allgemeines „Ah!" Hervorrufen, sogleich aber wieder verschwinden und nichts hinter sich zurücklassen als die leere Nacht. Auch die don mots bei den Herzegowinern machen ihren Weg schnell genug, wiewohl weit langsamer, da ihnen nicht die Schwingen zu Gebote stehen, die ihren großweltlichen Geschwistern der millionenzüngige Verkehr leiht. Was sie aber von diesen unterscheidet, das ist die sittliche Tiefe, die bei allem Spaß und Witz ihnen beinahe ausnahmslos innewohnt, das typische, nicht selten historische Gepräge, das ihnen aufgedrückt ist und ihnen, selbst für den Ethnographen und den Geschichtsschreiber, bleibenden Werth verleiht. Und deshalb erhalten sie sich und gehen selbst in den Redeschatz über, während jene spur- und wirkungslos vorllberschimmern. Niemals befassen diese geflügelten Anekdoten sich mit oberflächlichem Wortspiel, nie mit Persönlichkeiten. Aus nahmslos beinahe ist ihr Witz ein sachlicher und die Pointe, die geißelnde sowohl wie die ironisirende, auf Allgemeines gerichtet, auf die politische Lage und deren Werkzeuge, auf die kirchlichen Zustände, auf die nationalen Eigcnthümlich- keiten, auf die häuslichen Verhältnisse. Voran in erster Linie natürlich stehen die auf das Ver- hältniß zu den Türken gemünzten. „Weshalb/' fragte ein Raja einen Türken, „nimmst du mir meine Struka?" (Eine plaidartige, grobe Wollkotze, einen Meter breit und bei drei Meter lang, für die rauhe Jahreszeit, in jenen Gegenden NNter Christen und Moslims allgemein in Gebrauch.) „Weil meine alt und die deine neu ist!" antwortete der Türke. Kurz aber bündig das Rechts- verhältniß zwischen Türken und Christen geschildert, für welche letztere, außer im Wege des guten Willens, es weder eine Sicherheit der Person, noch des Lebens, noch des Eigen thums giebt. „Effendi," fragte ein Raja den Mufti, „kann nach eurem Koran ein Raja ins Paradies kommen?" — „Vielleicht, wenn er vierzig Jahr einem Türken treu gedient und dieser ihn im einundvierzigsten erschlägt." Möglich nämlich, daß sich dann der Prophet seiner erbarme. Welche bittere Ironie! Welch' tiefer Haß! Fragte ein Raja einen Türken: „Sahst du nicht hier jemanden, der meine Kuh, die mir gestohlen worden, vor- Ubertrieb?" — „Ein Christ," antwortete der Türke, „war es nicht, und war es ein Türke, so sah ich ihn nicht." Be kanntlich nämlich soll ein Muselmann gegen einen Muselmann zu eines Christen Gunsten nicht zeugen. „Junge," fragte man neulich zu Ragusa das Söhnlein eines Raja, „glaubst du wohl an die heilige Dreieinigkeit und fürchtest du sie?" — „Jawohl!" antwortete der Knabe. „Aber ich bin ein Raja und glaube außerdem auch noch an die Viereinigkcit, die ich weit mehr fürchte!" — „Und diese ist?" — „Je nun! Der Aga, der Kadi, der Steuerpächler und der Zapti!" Harmloser und doch treffender als im Folgenden kann das fatalistische islamitische kur nionks kaum gekennzeichnet wer den: „Sag einmal," fragte ein Raja einen Mohammedaner, „wie kommt es, daß ihr Türken niemals etwas arbeitet?" — „Wir gehen nie müßig," antwortete derselbe. „Fünfmal des Tages waschen wir uns und beten, und in der Zwischen zeit rauchen wir und trinken Kaffee!" — „Nun sag' du mir," fragte darauf der Mohammedaner den Raja, „wie könnt ihr Gjauren nur leben, ohne euch mehr als einmal des Tags zu waschen?" — „Laß dich einmal waschen, aber so ordentlich, wie wir, in der Kirche und dem Taufbecken, und es wird dir sogar fürs ganze Leben und noch darüber hinaus genügen!" „Weshalb schlägst du mich?" fragte ein Raja einen Tür ken. „Weil es im Koran so geschrieben steht!" — „Schreibt auch der Koran, daß du mir ein Schmerzensgeld zahlen sollst?" — „Nein, das nicht!" „Darf ich," fragte jüngsthin ein Raja einen Türken, der