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350 Aus allen Erdthellen. schmäht immer den, der reitet. — Ein Stiickchen in der Hand eines Andern sieht immer wie ein Stück aus." Drei höchst anschauliche Versinnlichungcn des Neides. In der Production solcher Sprichwörter, Gleichnisse und Redensarten übrigens sind nicht allein die herzegowinischen, sondern die Slaven des Südens überhaupt unerschöpflich, wobei außer dem zum Proverb und znm Epigramm hinnei genden Geist der Sprache ihnen allerdings eine Fülle man nigfacher und ernster, durch Schulweisheit noch nicht ver kümmerter Lebenserfahrung zu statten kommt, wie ihre ge drückte Lage und mühevolle Existenz sie eben mit sich bringt. Denn bekanntlich ist nicht das sorgenlose Wohlleben, nicht die große Welt, nicht die feine Gesellschaft und nicht die Gelehrsamkeit die Atmosphäre, in welcher das Sprichwort gedeiht, sondern ganz im Gegentheil die beschränkte Dürftig keit, die kleine Welt, die Gesellschaft mit Schwielen an den Händen und mit Schweiß an der Stirn, der schlichte Mutter witz, gereift in seiner Eigenartigkeit durch unmittelbar Aufge- nommcnes, nicht gehindert in seiner Entwickelung und versauert durch Eingctrichtertes. Seine fruchtbarsten Producenten sind nicht Hofdamen und Professoren, sondern die alten Weiber im Kreise ihrer Enkel und Enkelkinder auf der Haus- schwclle oder ain Spinnrocken, und die alten Männer im Rathe der Männer bei Taback und Weinkrug, und die frucht barsten unter ihnen sind gerade, die weder schreiben noch le sen können. In der feinen, in der gebildeten Welt beherrscht den Umgang das Bestreben, sich möglichst Einer wie der Andere auszudrücken. Das giebt den conventionellen Usus, der natürlich neuen Bildungen nicht gewogen ist. Anders bei Leuten, wie z. B. unsere Herzegowiner. Da sucht jeder möglichst sich selbst zur Geltung zu bringen, so wie seine Person, so auch seine Meinung, und so geschieht es denn, daß eine und dieselbe Ansicht, ein und derselbe Gedanke, eine und dieselbe Erfahrung hundert- und selbst tausendfachen Ausdruck findet, und daher auch der den Redeverkehr geradezu beherrschende Reichthum von Gleichnissen, Sprichwortartigem und Redens arten. Aus allen Der Wolf in Rußland. Der ganz enorme Schaden, welchen der nur von Fleisch lebende, gefräßige, den Fuchs an Verschlagenheit weit über treffende Wolf dem Viehstande Rußlands alljährlich zufügt, hat die Veranlassung zu einer sehr beachtenswerthen, in der Druckerei des russischen Ministeriums des Innern gedruckten Broschüre von Lasarewski gegeben i), in welcher auf Grund statistischer Daten eine ungefähre Schätzung der Anzahl die ser Raubthiere und der durch sie vernichteten Werthe versucht wird. Herr Lasarewski kommt nach verschiedenen Schätzungs methoden zu dem natürlich nur ganz approximativen Resul tate, daß allein das europäische Rußland an 200,000 Wölfe ständig beherberge, und ist nach der Statistik der von ihnen getödteten Menschen sogar zu der Annahme geneigt, daß sich ihre Anzahl in den letzten Jahrzehnten eher vermehrt als vermindert habe. Während in den Jahren 1849, 1850 und 1851 den officiellen Angaben zufolge durchschnittlich 125 Per sonen verschiedenen Alters den Bestien zum Opfer fielen, be trug dieser Verlust an Menschenleben im Jahre 1875 161. Vielleicht kann inan die Vollständigkeit der älteren statistischen Angaben in Abrede stellen, obschon gerade derartige Unglücks fälle am sorgfältigsten registrirt zu werden pflegen; man mag auch zugeben, daß eine zunehmende Bevölkerung derselben Anzahl Wölfe mehr Gelegenheit zu Angriffen biete; wenn aber Lasarewski ausdrücklich constatirt, daß die Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung, geschweige denn Ausrottung vollkommen ungenügend sind und daß die eigentliche Jagd, die ein gro ßes Aufgebot von Menschen erfordert, seit dem Aufhören der Leibeigenschaft wesentlich abgenommen hat, so ist gar kein Grund vorhanden ihre Zunahme zu bezweifeln. Den officiellen Angaben zufolge werden von diesen Wöl fen alljährlich etwa 180,000 Stück Großvieh und 560,000 Stück Kleinvieh vernichtet; Lasarewski weist aber an dem Beispiele mehrerer Gouvernements aus dem Vergleiche der officiellen Daten mit denen der Landschaftsämter nach, daß diese Zahl weit hinter der wirklichen Höhe zurückbleibt. Außerdem sind bei diesen Zusammenstellungen die Verluste i) W. M. Lasarewski: lieber die Vernichtung von Vieh und Wild durch den Wolf und über die Ausrottung des Wolfes. St. Petersburg 1876 (71 S.). S. Röttger'S Ruff. Revue 1877, H. 3, S. 280. Erdtheilen. an Federvieh und Hunden nicht berücksichtigt. Erstere pfle gen, da die Wölfinnen ihre Jungen fast nur mit solchem auffüttern, sehr erheblich zu sein und betrugen z. B. im kasanschen Gouvernement allein an Gänsen jährlich 11,000 Stück; die Zahl der alljährlich getödteten Hunde wird auf mindestens 100,000 Stück geschätzt. In Anbetracht aller Um stände dürfte daher nach Lasarewski's Taxirung der von den Wölfen im europäischen Rußland an Hausthieren angerich tete Schaden mindestens die Summe von 15 Millionen Ru beln betragen. Das ist aber nur der kleinere Theil des ver nichteten Werthes, denn vielleicht vier Mal so viel Nahrung muß die Natur an Wild liefern, um den stets bellenden Ma gen des Wolfes zu befriedigen. In Deutschland würde man das freilich in nationalökonomischer Hinsicht kanm als einen Verlust bezeichnen können, da bei uns das zur Ernährung des Wildes nöthige Quantum wirthschaftlicher Producte an Werth bei weitem den des Wildes übersteigt. Das ist aber in Ruß land bei einer minder dichten Bevölkerung und noch lange nicht so weit gediehener Ausnutzung des Bodens größtcn- theils nicht der Fall, und so veranschlagt Lasarewski den Verlust an Wild (vielleicht etwas zu hoch) auf jährlich 50 Mil lionen Rubel. Schließlich muß man noch die Verluste der Hirten und Nomaden in Sibirien in Anschlag bringen, die sich zwar der statistischen Beobachtung fast durchgängig ent ziehen, die aber, wie unter andern aus A. v. Middendorff's Schilderungen hervorgeht, namentlich an Renthieren ganz außerordentlich sein müssen. Die Ausrottungsmittel, welche zur Zeit in Anwendung kommen, erfüllen ihren Zweck nur in sehr unvollkommenem Maße; namentlich liefert die Jagd mit Feuerwaffen nur mäßige Resultate. Es fehlt in Rußland ganz an einer un seren Forstbeamten entsprechenden Institution; die Bauern haben entweder keine Gewehre oder ihre Jagdlust ist gering; wo aber hier und da große Grundbesitzer stellenweise ener gischer vorgegangen sind, ist man die Plage doch nur vor übergehend losgeworden, weil gelegentlich wieder neue Wölfe einwanderten. Außerdem hat man berechnet, daß bei die sen Treibjagden durch Verbrauch an Hunden, Schießmate rial und Löhnung der einzelne Wolf auf 30 bis 40 Rubel zu stehen kommt, und durch die Aufhebung der Leibeigen schaft sind die Kosten noch gestiegen und diese Art Jagd sel tener geworden. Fallen oder Gruben nützen nur sehr wenig, da die Thiere zu schlau sind, um sich darin zu fangen; da-