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S. Kapper: Geflügelte Worte der Herzegowiner. 347 Aerger und weil er sich im Besitze des Zauberstockes wußte, schnitt ihr den Hals ab. Doch o weh! der bunte Stock hatte seine Kraft verloren, die Alte wurde nicht wieder leben dig. Erschreckt Uber die That und weil sie wohl wußten, daß der König die Geschichte nicht glauben würde, flohen sie und kamen niemals wieder. Tagga Khan aber behielt seine wohlverdienten fünfzehnhundert Rupis. Praktische Strafe. Ein alter Mann saß auf der Erde, als ein unverschäm ter junger Gesell sich heimlich hinter ihn schlich und ihm das Kleid über den Kopf zog. Der Alte stand freundlich auf uud gab ihm eiue Rupie. Ein Freund sah das und sagte: „Ei! du vergiltst Böses mit Gutem." „Keines wegs," erwiderte der Alte: „vielmehr habeich dem Kerl seine Strafe gegeben, ohne meine Hand zu besudeln." — Tags dar auf versuchte jener, in Hoffnung ähnlicher Belohnung, den Spaß an einem jungen Mann und ging mit einer tüchtigen Tracht Prügel heim. Tapfere Ausrede. Ein Feigling, tüchtig bewaffnet, ward von einem Räu ber auf offener Straße angegriffen und gab ihm seine Börse hin. Ein Bekannter, der davon hörte, fragte ihn, warum er nicht mit dem Räuber gefochten habe. „Wie konnte ich denn?" war die Antwort, „den Zügel hatte ich in der einen Hand, in der andern den Speer; ich sollte doch wohl nicht gar mit meinen: Munde gegen ihn fechten und wie ein Hund beißen?" Die zwei Schlangen. Zwei Schlangen lebten in einem Wald. Die eine hatte einen Kopf und hundert Schwänze, die andere hundwt Köpfe und einen Schwanz. Der Wald gerieth in Brand uud die erstere entfloh leicht, denn alle ihre Schwänze halfen ihr; die andere aber verbrannte, denn jeder Kopf wollte nach einer andern Richtung hin entfliehen. Auf inhaltliche Vergleichung dieser Erzählungen mit an deren mehr oder weniger weit verbreiteten gehen wir hier nicht ein. Man mnß sie sich Abends vorgetragcn denken, vor dem Gemeindehaus, in einer Versammlung nicht der feineren, vielmehr der durchaus nicht vornehmen Afghanen; von den längeren, künstlicher ausgesponnencn, freilich auch laugweiligeren Geschichten, an welche sich die gebildeten, modernen Pashto ergötzen, giebt Thorburn zu unserm lebhaf ten Bedauern kein Beispiel. Gerade die Vergleichung beider Arten wäre ethnologisch wie literarisch von größtem Inter esse. Auch genauere Angaben, wie und wo die Erzählungen gesammelt sind, vermissen wir. Außerdem theilt Thorburu Uber 1200 Sprichwörter mit, eine sehr wcrthvollc Samm lung, welche indeß keineswegs seine Vorrüthe oder die Volks- wcishcit der Afghanen erschöpft. Da wir schon Proben ge geben haben, gehen wir nicht weiter auf diese gnomische Poesie des Volkes ein. Geflügelte Worte der Herzegowiner. Mitgetheilt von Siegfried Kapper. I. Unter den Südslaven serbischer Zunge sind es die Herze gowiner und die ihnen benachbarten stamm- und geschlechts verwandten Dalmatiner und Montenegriner, welche letzteren bekanntlich niit nur geringen Ausnahmen eben nichts anderes sind als in den Wildnissen der Czernagora eiugewanderle Herzegowiner, die vor Allem durch dichterische Begabung, natürliche Beredsamkeit und jene Gewandtheit des Geistes und der Rede sich Hervorthun, die wir mit dem, der als die geistreichste geltenden Nation entlehnten, übrigens nndefinir- baren Wörtchen „Esprit" zu bezeichnen pflegen. Wie viel des Schönen, ja mitunter selbst Großartigen all die anderen südslavischen Stämme, die Bulgaren, die Serben in Ungarn, im heutigen Fürstenthum und in Altserbien, die Croaten und die Bosnier in ihren Volksgesängen aufzuweisen haben mö gen, sieht man näher zu, so wird man finden, daß es bei nahe regelmäßig die Herzegowina, Montenegro, Dalmatien oder die Morlacchci ist, aus denen die schönsten, sinnigsten, er greifendsten und bedeutsamsten Gesänge hervorgegangen. Die Geburtsstätte des unter dem Namen „Lazarica", dieLazaride, bekannten Fragmentencyklus, der den Untergang des groß serbischen Reiches zum Gegenstände hat und, an episch breiter Anlage, weitem Gesichtskreis und Höhe der historischen Auf fassung der Jliade gleich, populäres Gemeingut des ganzen Südslaventhums geworden ist, und zur Bewahrung und Hebung des nationalen Bewußtseins sowie der politischen Hoffnungen innerhalb desselben nicht wenig beigetragen hat, ist die Herzegowina. Die in ihrer Tragik grandiosen und erschütternden Gesänge von Ivan Crnojevitsch und dessen Söhnen sind Eigenthum theils der Herzegowina, theils Montenegros. Vuk Stefanovitsch Kawadzic und Tschubro Tschoikovitsch (Demetrius Milutinovitsch), die ersten Sammler serbischer Volksgesünge, sind beide Herzego winer, Letzterer von Geburt, Ersterer von Abstammung. Die von dem Letztgenannten vor vierzig Jahren veröffent lichte Sammlung enthält durchgehends nur Montenegrini- fches, wie es der Sammler in seiner Stellung als Secretär des Vladiken von Montenegro, Peter's 1., des nachmals Heiliggesprochenen, und als Erzieher und Freund Peter's II., des nachmaligen und letzten der Vladiken, an Ort und Stelle aus dem Munde der czernagorischen Rhapsoden aufzuzeichnen Gelegenheit nahm. Die bedeutendsten Poeten des Süd- slaventhums sind aus diesem Stamme hervorgegangen. Matthäus Katschitsch, in außerslavischen Kreisen kaum dem Namen nach gekannt, geschweige genugsam gewürdigt, ein Poet ersten Ranges, nicht nur ein Dichter aus dem Volke für das Volk, sondern ein nationaler Dichter im clas- sischen Sinn des Wortes in der Weise Arndt's und Uhland's, stammt aus Dalmatien. Man mag annähernd von der Bedeutung dieses Klostcrmönches, dessen Gesänge seit der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts (damals in Venedig) in unzähligen Auflagen gedruckt worden sind, sich eine Vor stellung machen, wenn man erwägt, daß die Kritik noch heute nicht ganz darüber im Reinen mit sich ist, ob diese Poesien das Werk eines einzelnen Menschen, oder nur eine von ihm veranstaltete Sammlung von Volksgesängen seien. Deme trius Milutinovitsch, der, allerdings ans der Heimath flüchtig, Befreinngshymnen sang und zum Ankampf gegen die osmanische Unterdrückung aufrief, stammt, wie bereits erwähnt, aus der Herzegowina. Peter II. Njegusch, der einzige unter den überaus zahlreichen südslavischen Poeten 44»