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346 Georg Gerland: Bannu und die Afghanen. medersitzen und alle die vom Grabe zurllckweisen, welche sich nicht mit dem vollen Glauben demselben nahten, daß ihre Gebete erhört wilrdeu. Der vierte mußte im Lande umher- zieheu und die Heiligkeit des Grabes Überall verkünden. Endlich hörte auch der König davon und erklärte, er wolle an jenem Grabe um den Sieg über seine Feinde und um die Geburt eines Sohnes beten. Der Vezier hörte das und gab seinen Dienern die nöthigeu Weisungen. Der König ging, ward aber am Wege von dem Fakir angehalten, wel cher ihn zu beten warnte, wenn er nicht vollen Glauben an Gottes Erhörung hätte. Der König ging weiter, als er aber eben »icderznkuien im Begriff war, trat der zweite Fa kir ihm entgegen und tadelte ihn heftig, daß er von Gott die Vernichtung seiner Feinde erbitten wollte, „denn/ sagte er, „deine Feinde, o König, stehen so gut in Gottes Hand wie du." Erstaunt, woher der Fakir seine Absicht wisse, blieb der König unentschlossen stehen, bis der Vezier vortrat und ihn beten hieß, wenn er in festem Glauben käme, daß Gott ihn erhöre. Der König betete und als er in die Stadt zurück- ging, begegnete ihm ein Bote mit der Nachricht, seine Feinde seien besiegt; als er aber in den Palast eintrat, meldete ihm ein Eunuch, daß die Königin soeben einen Sohn geboren habe. Außer sich vor Freuden, wollte er eben jenem Grabe reiche Schenkungen bestimmen, als der Vezier zu ihm sagte: „Komm mit mir, König, und lerne erst seine Heiligkeit ken nen." Sie gingen und der Vezier grub das Eselsgerippe aus; der König aber gestand zu, daß Glaube mehr werth sei als Heiligkeit. Der listige Betrüger. Zwei Brüder lebten in einem stillen Dorf, fern von der Stadt. Der ältere, Namens Tagga Khan, war klug und verschlagen, der jüngere dumm. Eines Tages gab Tagga Khan seinem Bruder eine Ziege, daß er sie zu Markte bringe, und jener, stolz über den Auftrag, machte sich auf den Weg. Nach einiger Zeit begegnete ihm ein Mann und fragte, wo er denn mit so einem elenden Hnnd hinwollte; er aber ant wortete aufgebracht: „Du Thor, das ist kein Hund, sondern eine Milchgeis." Etwas weiter begegnete ihm ein anderer Bauer, welcher ihm dieselbe Frage that, und er antwortete, wie zuvor, doch minder zuversichtlich. Noch etwas weiter traf er wieder einen andern Landmann, welcher ihn ebenso fragte; und jetzt antwortete er selbst zweifelhaft: „Es ist eine Ziege, wenn ich nicht irre, kein Hund." Und so ging er weiter, da er aber auch noch fernerhin ein paarmal wegen seines Hun des angeredet wurde, so glaubte er endlich selber, die Ziege sei ein Hund und ließ sie stehen, ging heim und schalt seinen Bruder, daß er ihm einen solchen Streich gespielt. — Die Männer, welche den Dummen augeredet hatten, waren sechs Brüder, eine Bande von Gaunern. Sie trieben die Ziege heim, schlachteten sie und feierten ein großes Fest. Tagga Khan merkte, daß sein Bruder betrogen war und beschloß, den Streich mit Zinsen heimzuzahlcn. Den näch sten Morgen ritt er zu Markte auf einem elenden Esel, den er aber prächtig wie ein persisches Streitroß aufgezäumt hatte. Dieselben Brüder begegneten ihm nach einander und fragten ihn, warum er denn seinem Esel ein so schönes Geschirr auf gelegt habe; er aber erwiderte: „Das ist kein Esel, sondern ein Butschaki." Der sechste Bruder fragte ihn, was denn ein Butschaki sei, und er antwortete: „o Herr, das ist ein Thier, welches hundert Jahre lebt und jeden Morgen mit seinem Dünger einen Goldklumpen von sich giebt." Nun hatte Tagga Khan sich so eingerichtet, daß er die Stadt zu Nacht nicht erreichen konnte; und als der letzte Frager ihn auffordertc, Nachts bei ihm zu bleiben, nahm er das an. Früh Morgens sattelte er seinen Esel, bückte sich, und nahm, als ob er das täglich thäte, einen Goldklumpen aus des Esels Mist, den er vorher hineingesteckt hatte. Die Brüder beobach teten ihn heimlich, wie Tagga Khan erwartete. Einige Tage nach seiner Heimkehr vom Markt kam die Gaunerbande zu ihm, wollte den wunderbaren Butschaki kaufen und bot fünf hundert Rupis. Tagga Khan, nicht faul, schloß den Han del nach einigen Scheinweigerungen ab. Als die Gauner fort waren, sagte er zu seinem Weibe: „In ein paar Tagen werden sie wiederkommen, wenn sie merken, daß der Esel keine goldenen Eier legt. Wenn sie kommen, sag, ich sei über Feld gegangen und laß eins von meinen grauen Kaninchen laufen, um mich zu rufen." Das Weib, obwohl sie ihres Mannes Plan nicht verstand, versprach es ihm. Nach ein paar Tagen, als er die Bande heran kommen sah, machte sich Tagga Khan aus dem Hause, in dem er eines seiner Kaninchen mitnahm. „Wo ist euer Mann?" fragte einer von den Gaunern das Weib beim Ein treten. Sie antwortete: „Er ging früh Morgens aus zu fischen, aber ich will ihn rufen lassen." Dann ließ sie das andere Kaninchen laufen und sagte: „Lauf schnell und hole meinen Mann." Nach einer Stunde kam Tagga Khan mit dem Kaninchen unterm Arme, welches er mitgenommen hatte. „Hat das Kaninchen euch gerufen?" fragte der Sprecher der Bande. „Ja wohl," antwortete Tagga Khan. Nach einem kurzen Geflüster bot ihm der älteste Bruder fünfhun dert Rupien für das Kaninchen, nnd Tagga Khan ging auf den Handel ein. Als sie weg waren, sagte er zu seinem Weibe: „Nach ein paar Tagen werden sie wieder kommen, wenn sie merken, daß ihr Kaninchen keine Botschaften ausrichtet. Ich will eine Ziege tödten und ihnen einbilden, ich hätte dir den Hals ab geschnitten und machte dich wieder lebendig." Dann nahm er seinen Stock und bemalte ihn in Ringen abwechselnd roth und grün. Einige Tage darauf sah Tagga Khau die Bande kommen, tödtete eine Ziege und gab seinem Weib die nöthi- gen Weisungen. Beim Eintreten überhäuften sie Tagga Khan mit Vorwürfen, er habe sie betrogen, und verlangten ihre tausend Rupis zurück. Er versprach das, wenn sie ihm seinen Butschaki und sein Kaninchen wieder brächten; und als der Streit immer heftiger wurde, rief er seinem Weibe, sie solle ein Tschilam (türkische Pfeife) bringen. Sie ant wortete nicht und brachte kein Tschilam, worauf Tagga Khan aufsprang und unter Schimpfreden gegen ihre Mutter und Großmutter und ganze Verwandtschaft in ein Nebenzimmer eilte. Ratsch, ratsch tönte es durch das gauzc Haus. „Au! au! au!" schrie das Weib. Gleich darauf kam TaggaKhan wieder mit einem blutigen Messer in der Hand, sein Weib hinter sich herschleifend, deren Gesicht und Hals mit Blut überdeckt war. Als sie lautlos niedersank, rief ihr grausamer Mann: „Du Hexe, erst letzten Freitag hab ich dir den Hals abgeschnitten und wieder geheilt, jetzt soll's aber nicht so rasch gehen." Die sechs Brüder waren versteinert vor Schreck und sagten kein Wort; sie saßen ängstlich in einem Winkel, während das Weib todt da lag und ihr Mann wie ein blu tiger Teufel vor ihr stand. Endlich aber kamen ihm Thrä- ncn in die Augen, er sagte: „Arme Gulijan, du bist mir doch immer ein gutes Weib gewesen," nahm den roth und grün bemalten Stock aus dem Winkel, rieb ihn in der Hand, rief Allah an und berührte mit dem bunten Stab den Hals seines Weibes, worauf sie wieder zu sich zu kommen schien und aufstand. Das konnte keinBetrug sein. Wieder wisperte die Bande zusam men und ihr Sprecher sagte: „Ueber das Frühere wollen wir nicht mehr reden; wir bieten dir fünfhundert Rupien für den Stock." Tagga Khan willigte ein und die sechs Brüder ginge». Als sie nach Hause kamen, hatte ihre Mutter ihnen kein Abendessen zurecht gemacht, und einer von ihnen, aus