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Georg Gerland: Bannu und die Afghanen. 343 Lebensmittel schwer zn erlangen und bei jedem Gewitter und jedem Winde erfaßte grauses Entsetzen die feige Mannschaft der beiden Boote. So ging es vorbei bei Ras Tschakuvla (9.April), bei denMakakomo-Jnseln, bei Ras Maku- rungwe, wo die Ufer aus 70 bis 80 Fuß hohen, senkrecht aufsteigenden Granitfelsen bestehen, bei der Kowenga- Jnsel, wo mächtige Felsblöcke im wirrsten Durcheinander zerstreut herumliegen, und bei dem Dorfe Kit ata. Dort war kein importirtes Zeug mehr zu sehen, sondern das Volk trug Felle, Rinden- oder eigenfabricirtes Baumwollzeug. Das Wollhaar salben sie sich mit einem Gemisch aus Oel und rother Erde, so daß es wie in Blut getaucht aussieht. In Makukira (circa 7" 41' südl. Br.) fiel Cameron auf, daß die Kinder bis zum zweiten, dritten Lebensjahre gesäugt werden, dazwischen aber Bier trinken, wie anderswo in tro pischen Gegenden Kinder mit der Mutterbrust und der Ci garre abwechseln, so daß sie in der That den Geschmack für Bier mit der Muttermilch eiusaugen. Eine herrliche Landschaft kam am 15. April in Sicht, als sie unter 8" 11' die Insel Polungo erreichten. Ca meron beschreibt sie folgendermaßen: An der äußern Seite der Insel waren riesige Felsmasfen in den phantastischsten Formen zerstreut und aufgethürmt, mächtige überhängeude Blöcke, Obelisken, Pyramiden, Felsnadeln, kurz jede denkbare Gestalt, alles mit Bäumen überwachsen, die aus jeder Spalte und Ritze, wo sich uur ein wenig Erde gesammelt hatte, hervorwucherten, und von den Bäumen hingen 60, 70 Fuß lange Schlingpflanzen herab und durch dieses Laubgehänge schaute man hier und da in Höhlen und Löcher hinein. Und darunter dehnt sich der herrliche See aus, gebadet in tropischen Sonnenschein, wie leise athmend. Es schien, als sei es nicht Wirklichkeit, sondern ein Theatertablean, für eine Verwandlung bestimmt, und man Hütte fast erwartet, daß sich die Felsen öffneten und Geister und Feen herausträtcn. Alles still, kein lebendes Wesen rührt sich — da bewegen sich plötzlich die Schlingpflanzen und ein braunes Wesen erscheint, dann noch eines, dann ein drittes, endlich eine ganze Herde von Affen, die sich schaukelten und schwenkten und bei dem ungewohnten Anblicke eines Bootes schwatzten und schnatter ten. Ein Schrei — und rascher, als sie gekommen, waren sie wieder verschwunden, während das rollende Echo fast dem Donner an Stärke gleich kam.—Stellenweise sind die Fels blöcke so gelagert, daß das leichteste Erdbeben ganz gewaltige Massen von ihren luftigen Plätzen herabwerfen und die ärgste Vernichtung und Zerstörung anrichten kann. Am 17. April erreichte Cameron das Dorf Kasanga- lowa in 8" 40' südl. Br., seinen südlichsten Punkt auf dem See. Der Ort wird vonW atutas bewohnt, einem Stamme der räuberischen Mazitus oder Zulus, während die recht mäßigen Eigenthümer in das Gebirge geflohen sind. Alle Männer dieses Stammes führen Bogen und Pfeile, kurze Speere, Knüttel, eine kleine Axt und einen ovalen Schild; den schweren Knüttel haben selbst kleine Knaben. Zur Ele- Phantenjagd benutzen sie enorm fchwere Speere. Trotz ihres räuberischen Charakters zeigten sie sich gegen die Fremden sehr freundlich. Nach Art der Wagogo erweitern sie sich die Ohrläppchen und stecken Kürbisse oder mit Perlen ver zierte Holzstückchen hinein. Die Weiber tragen eine kleine Fellschürze und hinten ein zweites Fell, mehr zum Schmuck als zur Bedeckung; denn das Gesäß bleibt völlig nackt, wie Cameron meint, um vielleicht zu zeigen, daß sie keinen Schwanz haben. Reichere tragen Perlenschnüre um Kopf und Brust; mitunter wird alles Haar unterhalb dieser Schnur abrasirt, während es oberhalb derselben buschig stehen bleibt, was dann genau wie eine Pelzmütze aussieht. Allgemein werden die beiden oberen Schneidezähne angefeilt; manche feilen sie sogar ganz weg und ziehen sich die beiden unteren aus. Das Stammeszeichen scheint eine Linie aus der Stirn und je eine auf den Schläfen zu sein, letztere oft bis auf das Kinn verlängert. Ihren Lebensunterhalt gewinnen die Watuta durch die Jagd und damit, daß sie sich wie Heu schrecken in einem fremden Dorfe niederlasfen und nicht eher fortgehen, als bis sie alle Lebensmittel verzehrt und alle Hütten als Brennholz verbraucht haben, worauf ein anderes an die Reihe kommt. Nirgends stoßen sie auf Widerstand, sondern Alles sucht seine Rettung nur in der Flucht; denn ihr Kämpfen bedeutet schonungsloses Abschlachten. In Kasangalowa sah Cameron zum ersten Male in Afrika eine Frau mit Zwillingen. Bannu und die Afghanen. Von Prof. Georg Gerland in Straßbnrg. III. Wenn es uns in Thorburn's Buch bisweilen auffällt, daß der Verfasser über ethnologisch wichtige Dinge entweder gar keine oder nur beiläufige Nachrichten giebt, wo er so leicht aus dem Vollen hätte schöpfen können; daß wir viele hauptsächlichste Züge des ethnologischen Gesammtbildes an den verschiedensten, oft ganz zufälligen Orten finden und uns jenes Gesammtbild erst selber mühevoll zusammenstellen müs- fen: so haben diese Uebelstände in der Entstehungsgeschichte des Buches ihren sehr begreiflichen Grund. Ausgehend von Sprichwörtern, Erzählungen und dergleichen literarischen Sammlungen hat Thorburn seine ethnologische Skizze nur beigefügt, um jene zu erklären; wobei er dann Schritt für Schritt zwar weiter gekommen ist, aber doch nicht so plan mäßig, nicht so nach allen Seiten hin, als es zu wünschen war. Möchte er, dem ein so reiches Material zu Gebote steht, doch recht bald uns immer speciellcr einführen in Leben und Art der Afghanen Bannus und der Nachbarschaft, in welcher die Gebirgsgegenden von besonderm Jnterefse sind. Nachrichten über das Verhältniß der Stämme zueinander in Betreff ihrer Sitten und Gebräuche sowohl als namentlich ihrer Sprachen; Verbreitung der einzelnen Gebräuche über die verschiedenen Stämme hin; genau eingehende Schilderung (mit Maßangaben) der physischen Natur der Afghanen; dies und vieles andere der Art wäre von größter Bedeutung für die wissenschaftliche Forschung. Doch für jetzt wollen wir den Verfasser auf das Gebiet der Literatur begleiten. Wir erwähnten schon oben die Dum, deren jedes Dorf mehrere hat. Sie nehmen eine ganz eigen- thümliche Stellung in der Gemeinde ein: Sänger und Mu siker, zugleich Spaßmacher und Geschichtenerzähler, welchen