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Georg Gerland: Bannu und die Afghanen. 331 dem aber völlig vernachlässigten Todtenurnen in allen Grö ßen zu Tage. Die Untersuchung mehrerer von ihnen zeigte, daß sie vollständige Skelette enthalten, sowohl von Erwachse nen als von Kindern, und somit die Möglichkeit gewähren, anthropologisch den Racentypus zu bestimmen, welcher vor 2500 Jahren diese Gegenden bevölkerte. Auch andere Zweige der Wissenschaft blieben nicht unberücksichtigt, wie z. B. eine Sammlung von Eidechsen, Schlangen, Jnsecten, Spinnen, Skorpionen, Skolopendern, Landschnecken rc. angelegt wurde. Andreas' Hauptstudien waren jedoch auf das Sprachliche ge richtet, und wie er in Puna Studien über Ursprung und Quellen des Rituals der Parsi gemacht, in den Küstenstäd ten von Balutschistan Sammlungen zu einer Grammatik und einem Vocabularium der Brahui-Sprache angelegt hatte, so erforschte er in Buschir bei den Dorfbewohnern und Häupt lingen die dialektischen Eigenthümlichkeiten der Gegend, ihre Sprichwörter, Sitten, Traditionen und historischen Erinne rungen. Gegen Ende October 1876 beabsichtigen die Reisenden die ihnen von Hamburg aus aufgegebenen Forschungen zu beginnen und zunächst eine große Felseninschrift in Gisekun zu untersuchen. „Von dort aus wollen wir — schreibt Dr. Stolze Ende October aus Schahbagh — Tengistun und Deschti nach allen Richtungen durchkreuzend, über Achram nach Chormudsch gehen, den Chormudsch besteigen, den Lauf des Flusses Mund untersuchen und dann auf Kreuz- und Querwegen nach Firuzabad Vordringen, dort Kalar Dochter (s. oben) und die anderen sassanidischen Baudenkmäler unter suchen und auf einer nördlichen Route, vielleicht über Chischt nach Rudhilla und dann event. nach GenLwe gehen. In Rudhilla finden sich, wie wir in Erfahrung gebracht, diesel ben Todtenurnen, wie hier, und in GenLwe Ziegel mit Keil inschriften. Wir werden unsern Weg aufs Sorgfältigste durch astronomische Beobachtungen, fortlaufende photogram nietrische Aufnahmen, Compaßpeilungen und den Pedometer bestimmen und hoffen eine reiche Ausbeute davonzutrageu. Schon besitzen wir eine vorläufige Karte von Tengistün und Deschti mit vielen Hunderten sorgfältig bestimmter Orts namen und haben Verbindungen mit allen dortigen Chefs angeknüpft." Ueber die Resultate dieser Reisen wird nach Hamburg berichtet werden. Ehe jedoch die Reisenden ihr neues Unternehmen begannen, hatten sie noch ein Abenteuer zu bestehen, welches ihrer ganzen Expedition leicht ein un vorhergesehenes Ende hätte bereiten können, und welches wir hier als eine weitere vortreffliche Illustration persischer Zu stände mittheilen. Sie waren am Abend des 29. October, eines Sonntags, in Gesellschaft eines Beamten des englischen Telegraphen, Mr. Allen, nach einer etwa 7 Kilometer von Schahbagh entfernten Schlucht gegangen, wo sich noch ein Wassertümpel von etwa zwei Meter Länge gehalten hatte, um dort vielleicht eine Hyäne, einen Fuchs oder sonst ein Wild, das meilenweit her dorthin zusammenkommt, bei dem prachtvollen Mondlicht zu erlegen. Nach zwei Stunden vergebenen Wartens kehr ten sie ermüdet nach Hause zurück. Als sie nun in schnellem Schritt das nur 300 Meter von Schahbagh entfernte Dorf Ravani, wo jeder Einwohner sie genau persönlich kannte, linker Hand Passirten, eröffneten die Einwohner plötzlich aus einer Entfernung von etwa 15 Meter ein scharfes Feuer, was sie noch fortsctzten, nachdem sie bis auf etwa 8 Meter sich ihnen im schnellen Laufe genähert hatten. Die Euro päer waren so überrascht, daß sie im ersten Augenblicke gar nicht daran dachten, von ihren Waffen Gebrauch zu machen. Wer konnte auch erwarten, daß drei wohlbewaffnete Euro päer wenige hundert Schritt von ihrer Wohnung von Leuten, denen sie tagtäglich zu verdienen gegeben, die sie bei jeder Krankheit hülfbereit unentgeltlich mit Arznei versehen haben, würden angegriffen werden? Einer der Dorfbewohner schien vernünftiger und er mahnte die anderen auf das drohende Zurufen der Angegrif fenen, von denen zum Glück keiner trotz der geringen Distanz auch nur die leichteste Verwundung davongetragen hatte, zur Ruhe; widerwillig und zögernd ließen sie endlich von ihnen ab und das Feuern schwieg. Nun gingen die drei Europäer energisch auf ihre An greifer los und verlangten Rechenschaft, ohne zunächst an deres als Spott und Hohn davonzutragen; ja zwei Kerle, deren einer im Dienste des dortigen holländischen Consuls steht, zeigten, als die meisten sich einschüchtern ließen und einzelne davonliefen, nicht übel Lust, es nochmals zu Thätlich- keiten kommen zu lassen. Dem Verlangen, den Angegriffe nen nach ihrem Hause zu folgen und ihre Identität feststellen zu lassen, leistete keiner Folge, und den Reisenden blieb nichts übrig, als nach Schahbagh zurückzukehren und sich gegen etwaige nächtliche Angriffe in ihrem Hause zu verbarricadiren. Am folgenden Morgen telegraphirte Dr. Andreas den Her gang sofort nach Teheran an Mirza Hussein Chan sowie an die englische und russische Gesandtschaft und bat um Bestra fung der Schuldigen; aber obgleich umgehend von allen drei Seiten die Untersuchung und Bestrafung zugesagt wurde, so scheinen doch die Localbehörden absolut nichts gethan zu ha ben und ließen die Schuldigen entwischen. Ueber den gan zen Ausgang der Angelegenheit sind noch keine Nachrichten eingelaufen; doch werden wohl die Angegriffenen Genug- thuung erhalten haben. Denn sie erkannten sofort, daß, wenn dieser Angriff dicht bei Buschir, wo Alles für ruhig und geordnet gilt, unbestraft bliebe, sie im Deschti und Ten- gistun, wo fortwährend gefochten wird und der kleine Krieg gar nicht aufhört, keinen Augenblick ihres Lebens sicher wären, und sie waren entschlossen, nicht eher aufzubrechen, bis die Sache regulirt wäre. Bannu und die Afghanen. Von Prof. Georg Gerland in Straßburg. II. Das Privatleben der Bewohner Bannus schildert uns Thorburn in einer Menge einzelner Züge, welche ethnolo gisch sehr interessant und für unsere Kenntniß des östlichen Afghanistan nicht ohne Bedeutung sind. Das Kind erhält seinen Namen zwei Wochen nach der Geburt, ganz ohne alle Ceremonie; neben der Muttermilch giebt man ihm täglich etwas Ghi, geschmolzene Butter, das Köstlichste, was die Afghanen kennen. Sie soll die Verdauung fördern, wie man auch Einreibungen des ganzen Körpers mit Ghi für höchst gesund hält. Die Mutter drückt und knetet Kopf und 42*