Volltext Seite (XML)
316 Georg Gerland: Bannu und die Afghanen. Die Staub- oder Sandstlirme des Sommers sind eine echte Wüstenerscheinung; bleibt der Frühlingsregen aus, so ist Mißwuchs und Hungersnoth die sichere Folge; und da dies nicht selten geschieht, da die Regenmenge im Ganzen nicht ausreicht, so muß der Indus und sein Wasser helfen: eine reichlich angelegte Canalisation spendet dem Lande seine verhältnißmäßig doch nicht geringe Fruchtbarkeit. Bannu wird von Afghanen oder Pashto bewohnt, von Stämmen, welche vom östlichen Eran allmälig niedergestiegen sind und sich über den westlichen Theil der Jndusebenc, in einigen Gegenden bis östlich vom Indus ausgebreitet haben. Die Afghanen sind für die Ethnologie von besonderm In teresse. Politisch völlig unabhängig von einander, sind ihre einzelnen Stämme auch mundartlich geschieden, und die Frage liegt nahe, ob diese Stämme alle eines einheitlichen Ursprun ges sind. Es ist ja bekannt, daß mitten in Afghanistan fremde Stämme mongolischer Abkunft wohnen, die zum Theil ihre (west-) mongolische Sprache behalten, zum größern Theil freilich das Persische angenommen haben, allerdings bei ziem lich getreuer Bewahrung ihrer mongolischen Körperbeschaffen heit. Zudem ist neuerdings die Ansicht aufgestellt morden, die afghanische Sprache, zwar an und für sich unabhängig, bilde doch den Uebergang von den indischen zu den cranischen Sprachen, ja sie neige sich mehr zu jenen als zu diesen. Wir würden demnach auch dem afghanischen Volke eine ähn liche Stellung geben müssen; wir würden es als ein Ueber- gangsvolk aufzufassen haben zwischen Indien und Eran. Derartige Uebergangsvölker kann es geben und giebt es, wenn anch nicht eben häufig, und wenn ihre ganze Art auch schwer zu erklären ist. Sieht man von Entlehnungen und Mischungen ab — was indeß nicht leicht ist und eine sehr eingehende Kritik erfordert —, so giebt es zwei Arten solcher ethnologischen Uebergänge, welche auf ganz entgegengesetztem Wege zu Stande kommen, die eine durch Differenzirung, die zweite durch Angleichung. Beide, Differenzirung und An gleichung, beruhen wieder auf drei Hauptpunkten: erstlich auf den Einflüssen der äußern Umgebung, des Milieu der Franzosen, wozu wir also Klima, Nahrung, Laudesart u. s. w. rechnen; zweitens auf den historischen Schicksalen der betref fenden Völker und drittens auf ihren Culturverhältnissen; welche drei Punkte allerdings in mannigfacher Beziehung unter einander selbst stehen. Zweifelsohne bildeten Inder und Eranier irgend einmal ein Volk. Die Inder stiegen von Nordwesten nach Indien herab, etwa dem Lauf des Ka bul parallel; möglich war es, daß sie sich durch diese Wan derung von allen Eraniern ein- für allemal trennten, mög lich aber auch und auf den ersten Blick, bei dem ganz all- mäligen Borschieben solcher urzeitlichen Wandermassen, wahrscheinlicher, daß sie sich sehr langsam lostrennten, daß sie sich sehr allmälig differenzirten und, indem etwa gleich zeitig die Eranier sich nach Westen verbreiteten, so konnte es geschehen, daß die Völker vom Osten zum Westen eine ethnologische Uebergangsreihe bildeten. Wenn hiergegen auch der schroffe, plötzliche Absturz des cranischen Hochlands in das indische Tiefland spricht, so ist die Sache doch interessant und ethnologisch, auch psychologisch wichtig genug, um sie genau zu untersuchen. Leider ist dies deshalb nicht leicht, weil wir über die Afghanen selbst noch verhältnißmäßig wenig wissen. Die Natur ihres Landes erschwert das Reisen in demselben gar sehr, und nur äußerst selten wird ein wissenschaftlich gebildeter Mann längere Zeit in diesen wilden Gebirgen, bei diesen rohen Gebirgsstammen zu verweilen haben. So ist unsere Hauptquelle für das Gesammtwesen der Afghanen immer noch Elphinstone, dessen Bericht aus dem Anfänge dieses Jahrhunderts durch die späteren Reisenden meist nur bestätigt, seltener weiter geführt und noch seltener und nur in Einzelheiten berichtigt werden konnte. Daher ist jeder neue Beitrag zu unserer Kenntniß dieser Völker von hohem Werth; für die oben ange regten Fragen aber sind namentlich die Afghanenstämme von Wichtigkeit, welche an der Grenze Indiens oder in Indien selber leben, in Bannu und nördlich und südlich von diesem District, lieber sie bietet uns reichhaltige und vielfach neue Mittheilungen ein Buch, welches neuerdings bei Trübner in London erschienen ist, das oben genannte Werk von Thor burn. Der Verfasser, seit 1871 in Bannu Settlement- Officer, mußte in Folge seiner amtlichen Stellung ein mög lichst genaues Studium auf Sprache und Eigenart der Afghanen seines Bezirkes verwenden; die Früchte seiner Ar beit sind in dem genannten ziemlich starken Bande niedergelegt und ethnologisch wichtig genug. Die Pashto Bannus gehören selbstverständlich der großen östlichen Abtheilung der Afghanen an; sie selber aber zer fallen wieder in mehrere Haupt- und Unterabthcilungen, wie wir aus Thorburn's Darstellung erschließen können. Zu nächst breiteten sich in dieser Ostgrenze der afghanischen Be völkerung Stämme aus, welche vom Westen kamen, die Bannudzai, sicher mit den Weziri (Waziri) zusammen gehörig, deren Andrang ausweichend sie nach Bannu kamen. Sie trieben die Khatak vor sich Hec, die heute im Gebirge westlich von Kalabagh wohnen, und ebenso die jetzt ver schwundenen Mangal, und Hani, welche Stämme wahr scheinlich alle zu dem großen Stamm der Weziri in näherer Verwandtschaft standen. Aber auch von Süden drangen Afghanen herzu und zwar Stämme, welche früher am Takht-i- Suleiman und nordöstlich bis Tank hin gesessen hatten, die Marwat und ihre Vorläufer, die Niazai, welche letz ten, wie sie die sonst unbekannten Pothi vertrieben, selbst wieder von den nachrückenden Marwat vertrieben wurden, zum Theil in die Gebirge der Khatak, zum Theil, wie die Jsa-khel und Aman, in die Ebenen diesseits und jenseits des Indus, welche die Gebirge von Kalabagh abschließcn. Nach Thorburn kamen die Bannudzai im 14. Jahrhundert unserer Zeitrechnung, die Weziri, deren wenig gekannte Haupt masse im Suleiman-Gebirge seßhaft ist, im Anfang des 17. Jahrhunderts; aber zu keiner Zeit haben diese Wander züge , welche sich auch noch in unserm Jahrhundert nachwei sen lassen, geruht. Das liegt in der Natur der Sache. Alle afghanischen Stämme bestehen aus einer großen Menge einzelner Clanschaften (Khel, Khail), deren Zahl sich allmälig durch die Vermehrung der Familien selber vermehrt. Natür lich wurde ihnen durch dies Anwachsen ihre Heimath zu enge, um so eher, je unfruchtbarer sie war; und um neuen Platz zum Leben zu haben, wanderten sie aus oder wurden von mächtigeren Stämmen gewaltsam verdrängt, deren Gewalt- thaten sie dann auf die Stämme, auf welche sie zufällig stie ßen, ihrerseits übertrugen. Ganz ähnlich sind die Wande rungen der Araber und anderer Wüstenbewohner veranlaßt und vollzogen. Eine eigenthümliche und höchst merkwürdige Sitte der Afghanen beförderte solche Wanderungen ganz besonders leicht. Es ist dies die Institution des Vesh (Vaish), eine eigenar tige Vertheilung der Stammesländereien, welche indeß keines wegs, wie Elphinstone und Spiegel meinen, nur bei dem großen Stamme der Jusufzai streng durchgeführt ist: wir finden sie nach Thorburn's Bericht ebenso streng in Bannu bei den Marwats, allerdings einigermaßen verschieden von den Gebräuchen der Jusufzai. Thorburn konnte und mußte als Settlement-Officer diese Einrichtungen durchaus geuau kennen lernen. Das Abweichende in seinen Nachrichtcn beruht auf der verschiedenen Anwendung der gleichen Institution bei den einzelnen Stämmen. Nach Elphinstone hat jeder Stamm