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Georg Gerland: Bannu und die Afghanen. 315 Hindcrniß hinwegzuspringen. In der Mitte dieser schwie rigen Passage treten plötzlich alte Baureste auf, die einen tiefen Einblick in die ungeheure Kluft zwischen ehemals und jetzt gewähren. Links hoch ans dem Gipfel der 400 Meter hohen, steilen Felswände ziehen sich mächtige Befestigungen wohl vier Kilometer weit hin: jede Klippe, jeder Vorsprung ist mit einer Warte gekrönt; alle diese Einzelwerke sind untereinander durch starke Mauern verbunden; in der Mitte des Ganzen erhebt sich eine starke Citadelle, Kalar Doch- ter. Nach allen Seiten hin sind Bastionen vorgeschoben, und an den steilen Abhängen der Felsen ziehen sich deutlich erkennbar künstliche von oben her bestrichene Zugänge zu der sonst unnahbaren Festung hinauf. Alle diese Bauten ver danken ihren Ursprung unzweifelhaft der Sassanidenzeit, wie ihr ganzes Gefüge zeigt. Wie aber kam eine solche Festung in dies jetzt so schwer zugängliche Thal? Das Räthsel löst sich hundert Schritt weiter: inmitten des Stromes liegen die Reste einer uralten Brücke; das Wasser braust wild zwischen den noch erhaltenen drei Pfeilern hindurch, wo einst eine Culturstraße die Plätze der Menschen verband. Die Festung war bestimmt, den einzigen directen Verbindungs weg zwischen den Thälern von Schiraz und Firuzabad zu sperren. Heute freilich bedarf es dort keiner Festung mehr; die Cnlturstraßen sind aus Persien verschwunden, und fünf zig entschlossene Männer können dies Thal für die größte Armee sperren. Bei jedem Schritte weiter mehren sich die Spuren entschwundener Größe: verwitterte, kaum noch er kennbare Reliefs in den Felswänden des Thales, Reste alter Futtermauern zu beiden Seiten des Stromes, alles Ueber- bleibsel jener Zeit, als der römische Kaiser Valerianus, ein siebenzigjähriger Greis, von dem Könige der Neuperser als gefangener Sklave herumgeschleppt wurde. Rechts, jenseits des Flusses, liegen die ausgedehnten Ruinen eines alten Geberntempels, doch verhinderte der strö mende Regen einstweilen die Besichtigung. Ein zwei Tage später ausgeführter Besuch zeigte ihn als ein ausgedehntes, massives Bauwerk von 100 Meter Länge und 50 Meter Breite. Er enthält 16 verschiedene, bis 22 Meter hohe Räume mit gewölbtem Dache. Die sehr dicken Mauern sind von halb behauenen Steinen ausgeführt, durch einen festen, stuckartigen Mörtel verbunden und auch damit über kleidet. Die Räumlichkeiten sind an allen Seiten mit Nischen versehen, die ganz denen im alten Persepolis und in den heutigen persischen Häusern entsprechen; in dieser Be ziehung war der Baustil zu allen Zeiten derselbe. Alle Ornamente sind in Stuck ausgeführt, meist in enger An lehnung an die Vorbilder der persepolitanischen Zeit; natür lich aber bleibt der Eindruck schon wegen des verschiedenen Materials, noch mehr aber wegen jeden Mangels künstleri scher Gliederung des Ganzen weit hinter dem der älteren Baudenkmäler zurück. Eine Stunde später ritten die Rei senden inFiruzabad ein und nahmen ihrQuartier in dem Hause des erblichen Chefs aller Gaschgais, des Jlkani, der ihnen in der liebenswürdigsten Weise sein Wohnzimmer ein räumte, sich selbst in das „Enderum" (Wohnung der Frauen) zurückziehend. Firuzabad, auf den europäischen Karten meist als ein nicht unbedeutender Platz dargestellt, ist nur ein geringer Gebirgsflecken. Trotz seiner Lage unter dem 29. Breiten grade ist die Temperatur gemäßigt; denn das Thal liegt 1239 Meter über dem Meeresspiegel, und hohe Berge hal ten die südlichen heißen Winde ab. Die Stadt gehört dem Jlkani, einem stattlichen, klug aussehenden jungen Manne, erb- und eigenthümlich. Er ist in dieser Gegend die bedeu tendste Persönlichkeit; in seiner Begleitung bei Spazierritten hat er stets mindestens fünfzig Reiter, und sein ganzes Auf treten zeigt, daß er seine Wichtigkeit kennt. Die patriarcha lische Gewalt, welche er über die Gaschgais ausübt, und die ihm vor Jahresfrist durch den damaligen Gouverneur von Fars, Selle Sultane, einen Sohn des Schah, vorübergehend geraubt worden war, ist freilich kaum sehr bedeutend und nicht entfernt gleich der seines verstorbenen Vaters; seine Jugend und die vielen Zwistigkeiten zwischen den einzelnen Stammeshäuptern haben nach und nach das Band des Ge horsams sehr gelockert, und er ist jetzt mehr das Haupt sei nes speciellen Stammes, als sämmtlicher Gaschgais. Der Jlkani und seine nächste Umgebung zeigten ein lebhaftes In teresse für europäische Verhältnisse. Sie erkundigten sich nach der Größe, den Geldmitteln, der Truppenzahl der ein zelnen Länder, nach socialen Verhältnissen, Verkehrsmitteln und allem Möglichen. Als der Jlkani hörte, ich sei ein Preuße, sagte er mir: „Wir haben vordem nicht einmal den Namen „Preußen" gekannt; seitdem ihr aber Frankreich gegessen habt, wissen wir, wie mächtig ihr seid, und daß eure Soldaten zahlreicher und besser sind, als die jedes an dern Landes." Aufmerksam hörte er einer kurzen Darstel lung unserer militärischen Organisation zu, und erkannte ihre Bortheile auf den ersten Blick. Nach viertägigem Aufenthalte wurde wieder aufgebrochen, aber nicht ohne daß der Jlkani, der behauptete, dem Hissame Sultane für ihre Sicherheit verantwortlich zu sein, den Rei senden weitere drei Reiter und fünfzig Fußsoldaten nach Darab mitgab. Bannu und die Afghanen^. Von Prof. Georg Gerland in Straßburg. Bannu ist ein kleiner District in englisch Indien, da gelegen, wo der Kurum in den Indus fließt, südlich von Kalabagh, zum größten Theil westlich vom Indus, dicht am Fuße des mächtigen Suleiman-Gebirges; es ist etwa halb so groß als Wales und noch nicht lange, seit 1848, den Engländern unterworfen; die Unterwerfung wurde fast ganz friedlich vollzogen. Bannu besteht aus zwei großen Ebenen, U lüorbarn, Lanun, or oar b'routäsr. Uouckon, ll'rüdusr 1876. welche beide von mäßig hohen Kalkgebirgen umschlossen sind; das östlichste ist das berühmte Salzgebirge, dessen merkwür dige Salzfelsen am Jndusdurchbruch bei Kalabagh nebst einem großen Theil der Gebirgskette selbst zu Bannu gehö ren. Die eingeschlossenen Ebenen sind meist baumlos, in Klima und Natur ganz zum Pendjab gehörig, stark beein flußt von der südlichen Wüste: der Sommer ist trocken und sehr heiß, der Winter oft recht kalt, Regen fällt im Herbst in einzelnen Schauern, reichlicher im Frühjahr und im Win ter, in welchem auch Schnee und Hagel nicht selten sind,