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298 E. D. Noung's Umschiffung des Nyassa-Sees. an die Küste unmöglich machen, eine für den Nyassa-See charakteristische Erscheinung, die ihm schon von Livingstone die Bezeichnung „See der Stürme" eintrug. Es gelang übrigens trotzdem einen genügenden Ueberblick zu gewinnen und eine ausreichende Skizze des Sees aufzunehmen; der selbe erstreckt sich weiter nach Norden, als Livingstone glaubte, nämlich bis 9° 20" südl. Br., erreicht also fast die Breite, bis zu der sich der Tanganyika-See 50 Meilen westlich da von nach Süden erstreckt. Er ist ein auffallend tiefer, meist von hohen, namentlich auf der Ostseite steil in das Wasser abfallenden Bergzügen eingefaßter Binnensee, und wo In seln über der Oberfläche auftauchen, da sind es die Spitzen fast fenkrecht aus dem tiefen Grunde aufsteigender Felsenriffe, die durch gestrandete, von ihrem Entstehungsorte, den Deltas einmündender Flüsse abgetriebene Schilf- oder Grasinseln eine nicht eben große Ausdehnung gewonnen haben. Das erste Ziel Noung's war die Residenz des Häupt lings Makandschira, des vielleicht größten Sklavenexpor teurs auf der Südostseite des Sees, um von diesem die Er- laubniß zu erhalten, auch dort am Ausflusse des Loangwa eine zweite Mission zu errichten. Makandschira war längere Zeit in Zanzibar gewesen und zeigte sich daher mit dem Englischen wohl vertraut; sein Benehmen war höflich und zuvorkommend. Von dort verfolgte die „Jlala" ihren Weg nordwärts längs der Ostküste und kam bald in Sicht eines hohen Bergzuges, der sich über dem Dorfe Tschilowela auf- thürmt; an vielen Stellen fallen dort die Bergwände direct in den See ab, so daß eine Lothleine von 100 Faden in kurzer Entfernung vom Ufer keinen Grund mehr fand, und auf eine weite Strecke kein Ankerplatz für größere Schiffe existirt. Letzteres ist erst wieder in Lisewa der Fall, dem Landeplatze von Sklaven, die von Arabern von Kota Kota auf der Westküste aus übergeführt werden; übrigens nicht, wie man nach früheren Berichten annahm, mittelst einer Art Fähre. Die See ist hier wie anderswo viel zu tief, als daß bei den häufigen Stürmen ein kleines nicht seetüch tiges Fahrzeug darauf Stand halten könnte. Am 22. setzte ein so heftiger Sturm ein, daß die „Jlala" die Anker lich ten und von der Küste abhalten mußte; sie lief vor dem Winde her nach Norden bis jenseit der Inseln Likomo und Tschisamulo (auf Noung's Karte Chisamooloo, genau in 12« füdl. Br. und 35« östl. L. Gr.), wo in dem fort laufenden Zuge des Küstengebirges eine Senkung eintritt und sich ein fruchtbarer mit trefflichen Buchten versehener Küstenstrich aufthut. Alle Anzeichen, die starke Entwaldung, die Trümmerhaufen von Dörfern und die massenhaften Skelette, auf die das Auge in jeder Richtung traf, deuteten darauf, daß hier einst eine reiche Bevölkerung friedlich an gesessenwar; jetzt hatten sich die letzten armseligen Trümmer derselben Angesichts einer fruchtbaren Küste auf vereinzelte aus demWasser vorstehende Riffe und auf Pfahlbauten geret tet, um, fast nur vom Fischfang kümmerlich lebend, das nackte Dasein vor ihren Verfolgern zu schützen. In ihren Kähnen hatten sie fruchtbare Erde vom Ufer auf diese Felsen gebracht, und wo immer nur eine Spalte oder Senkung Halt ge wahrte, da sah man ein kleines Fleckchen mühselig empor gezogener Mauiokstauden oder Korn. Sehr interessant wa ren die Pfahldörfer, die meist 900 bis 1200 Fuß vom Ufer entfernt in 8 bis 12 Fuß tiefem Wasser erbaut waren. Reihenweise sind Pfähle in den Grund getrieben und auf ihnen eine hölzerne Plateforme errichtet, welche die Flur des Dorfes bildet und in einem Falle bis zu hundert Hütten Raum gewährte. Am 25. erhob sich abermals ohne irgend eine Warnung ein rasender Sturm mit sintfluthartigcm Regen, ein Wetter, wie man cs sonst nur im Atlantischen Ocean zu treffen pflegt, und zwang alle Hände an Bord, um nicht an die Küste geworfen zu werden, während der ganzen Nacht zu harter Arbeit. Als sich aber am Morgen das Wetter legte, bot sich den Reisenden ein Anblick von staunenerregender Groß artigkeit dar, den Münz über alles stellt, was er an präch tigen Naturscenerien gesehen. Der begleitende Bergzug war wiederum hart an das Ufer herangetreten, Kuppen von 10,000 bis 12,000 Fuß Höhe fielen senkrecht in das Was ser ab, und überall hatten sich durch den Regen des vor hergehenden Tages Wasserfälle und Cascaden gebildet, die wie silberweiße Seidenflocken aus allen Ritzen und Spalten herabhingen. Noung konnte dieser majestätischen Gipfelreihe keinen würdigem Namen geben, als den Livingstone's, des Entdeckers des Sees, der denselben sein „altes Heim" nannte, der aber, von räuberischen Ma Viti aufgehalten, diesen schön sten nördlichsten Theil nicht besuchen konnte. Die Livingstone-Berge begleiten die Küste bis zum Nordende des Sees und reichen noch darüber hinaus weit nach Norden; ihnen parallel läuft an der Westküste eine fast gleich hohe, aber nicht so nahe an das Ufer herantretende Bergkette; zwischen beiden erstreckt sich die flache und theil weis sumpfige Nordküste in südwestlicher Richtung. Hier wurde die offenbar breite Mündung eines Flusses sichtbar, der man sich leider nicht nähern konnte, weil wiederum ein heftiger Sturm drei Tage hindurch wüthete und das Schiff nach Süden trieb. Sobald es aber möglich war, an der Nordwestküste zu landen, befragte Aoung die Eingeborenen über diesen Fluß und erhielt die Auskunft, daß es der Ro vuma oder Röoma sei, der dort aus dem See nach Nord osten zu ausflösse (?). Dieselbe Auskunft erhielt schon Li vingstone an ganz anderer Stelle, und Noung hegt keinen Zweifel mehr an ihrer Richtigkeit; denn abgesehen davon, daß die Eingeborenen keinen Grund hatten, ihn zu täuschen, sah er auch in dem Wasser des Sees an jener Stelle eine Bestätigung ihrer Angaben. Ueberall nämlich, wo Flüsse und zwar augenscheinlich kleinere, als jener, in den See münde ten, war seine dunkelblaue Oberfläche, namentlich bei stür mischem Wetter, durch einen langen Streifen schmutzigen Wassers getrübt, und das war bei dem Rovuma nicht der Fall. Die Rückfahrt längs der Westküste nach Süden gewährte eine erquickende Aussicht auf die parkähnlichen Wälder und Waldlichtungen, die den Raum zwischen der Küste und den erst weiter im Innern ansteigenden Bergen einnehmen und von zahlreichen Rudeln Wildes anmuthig belebt sind. An einer Stelle zeigte sich hier ein alleinstehender wegen seiner Färbung besonders auffallender Berg von 4000 Fuß Höhe, der den Namen Mount Waller erhielt. Er gleicht einer abgestumpften Pyramide, welcher statt der fehlenden Spitze ein vollkommen quadratischer Block von grünlicher Farbe als Gipfel dient. Unter dieser seltsamen Kuppe befindet sich ein breiter horizontaler Streifen einer weißen Steinart, dem sich nach unten ein zweiter, offenbar von Thon gebildeter und schließlich ein tief schwarzer anschließt, welch letzterer vielleicht aus Kohle besteht, die allen Eingeborenen wohl bekannt ist. Die Natur hat hier ein Monument errichtet, das in seiner eigenthümlichen Gestalt an die Werke der Pharaonen im Norden des Erdtheils erinnert, das aber mit seiner wunder baren, außerordentlich effectvollen Färbung und seiner gigan tischen Größe Alles, was Menschenhände zu leisten ver mögen, weit hinter sich läßt. Im weitern Verlaufe der Fahrt zeigte sich die Küste, die schon Livingstone, sein Bruder und Dr. Kirk im Jahre 1862 besucht haben; Aung wandte sich daher wieder der Ostküste zu und erreichte sie nach einer stürmischen Fahrt, auf der einmal nicht weniger als zwölf Wasserhosen gleichzeitig dem