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276 CH. Uri arte's Wanderungen in Dalmatien. ausgerissen hat, wie dies auf einer Marmorsculptur in der uralten Domkirche zu Cattaro zu sehen ist. Seit dem Jahre 809, wo die Venetianer seine Reliquien zu Schiffe von Nicüa nach Cattaro brachten, übt dieser wehrhafte Heilige, der unter Kaiser Philippus das Martyrium erlitt, sein Pa tronat über Stadt und Umgegend aus. — Jenseit Perasto wendet das Schiff seinen Lauf nach Süden und nähert sich langsam Cattaro. Immer wilder und düsterer wird die Umgebung, die Berge immer höher, und nur einen schmalen Uferstreifen lassen sie zwischen sich und dem Meere, auf wel chem einzelne größere Orte, wie rechts Perzagno, links Do- brota, sich erheben, letzteres vorzugsweise der Wohnort rei cher Schiffsherren, welche auch sonst an diesen unfreundlichen Gestaden ihre zerstreuten Billen zu stehen haben, so daß z. B. das Ufer von Cattaro bis zu den Catene von einer selten unterbrochenen Häuserreihe bedeckt erscheint. Jene Rheder und Capitäne sind meist weitgereiste Leute und haben die Truhen voller Ducaten; aber sie verschmähen es doch, sich mit ihren Schätzen an einem lieblicher» Flecken Erde nieder zulassen, sondern kehren stets wieder in die Heimath zurück. In dunkler, halb städtischer, halb national-slavischer Tracht wandeln sie, den langen Tschibuk in der Hand, gemessenen Schrittes durch die Straßen, sitzen mit ihren Genossen plau dernd in einem der kleinen Kaffeehäuser oder spähen auf der Marina unter den ankernden Küstenfahrern herum, ob sich nicht in irgend einer Weise ein vortheilhaftes Geschäft, irgend ein Handel machen lasse. Weib und Tochter aber bleiben unter allen Umständen zu Hause — es wäre eine Schande, wenn sie sich auf der Straße und vor fremden Männern sehen ließen, eine Schande für den Herrn des Hauses, für die Weiber, für die Familie. Man fühlt, daß man sich hier an der Grenze des Orients befindet. Am ausgeprägtesten ist diese Abschließung des weiblichen Geschlechts in Dobrota, das fast ganz im Besitze von Schifsscapitänen sich befindet. „Folge davon ist — erzählt Th. Schiff S. 121 —, daß man in ganz Dobrota kaum eines erwachsenen Mannes an sichtig wird. Früher erlernten die Dobrotaner die Führung eines Schiffes nur praktisch und konnten selten schreiben und lesen. Seitdem der Staat aber die Ausstellung eines Ca- pitänpatents von dem Erfolge einer theoretischen und prak tischen Prüfung abhängig macht, besuchen sämmtliche Jungen die nautische Schule, lernen etwas Tüchtiges und gehen dann auf die See. Natürlich sind sie immer auf kleinen Reisen begriffen, schicken Briefe aus Newyork, Marseille, London, St. Francisco, Hongkong und Gott weiß woher sonst noch, aber nach Dobrota kommen sie alle zwei oder drei Jahre einmal auf wenige Tage." Aber auch Frauen sieht man auf den Straßen Dobrotas nicht, denn sie verlassen ihr Haus nur, um in der Barke die Kirche zu besuchen; sie leben völlig abgeschlossen von der Welt, und dies geht so weit, daß die Fran vom Hause nebst ihren Töchtern nicht in der Gemein schaft der männlichen Familienmitglieder sich zu Tische setzt, fondern allein speist. Trotzdem aber haben es die wegen ihrer Schönheit berühmten Dvbrotanerinnen stets verstan den — und die letzten solcher Fälle sind noch nicht gar zu lange her —, ihre sestungsartig ummauerten und mit Schieß scharten versehenen Wohnhäuser tapfer gegen räuberische An griffe der Montenegriner zu vertheidigen und höchstens von einem Knechte unterstützt die Söhne der Schwarzen Berge mit blutigen Köpfen heimzusenden. Dobrota mit seinen Gärten macht noch einen anmu- thigen Eindruck; dann aber werden die Berge immer höher und schroffer; ihre Farbe wird schwarzgrau, tiefe Schatten breiten sich über die enge Bucht, in welcher zur Winterszeit die Sonne erst zwei Stunden vor Mittag aufgeht. Am Ende dieser düstcrn Bucht liegt eine kleine Masse alterthüm- licher Häuser, von alten Mauern umgeben und von einem Fort überragt — es ist Cattaro. * Die Bocchesen werden in ganz Dalmatien als etwas Besonderes, Eigenthümliches angesehen und nicht ohne Grund. Denn sie haben cs verstanden, ihren nur von Felsen und Salzwasser erfüllten Erdenwinkel zu einem der reichsten Gebiete des Landes umzuwandeln. Der Ackerbau freilich bringt wenig ein, und wenn auch die Bergeshänge durch künstlichen Terrassenbau zum Fruchttragen gezwungen wor den sind, so würde deren Ernteerträgniß die Bewohner des Kreises höchstens nur ein Drittel des Jahres erhalten. Obendrein ist der Sommer hier zwischen den hohen nackten Felswänden so heiß und trocken, daß Quellen und Bäche versiegen und stellenweise das Trinkwasser von weit her ge holt werden muß; nur Herbst und Frühling sind angenehm, der Winter reich an Regen wegen der nahen Hochgebirge. Die Schifffahrt dagegen ist es, welche den Bocchesen zu Wohlstand verhilft, und wenn auch alljährlich gar manche ihr Grab in den Wellen finden, so bringt es doch die Mehr zahl dahin, in oft verhältnißmäßig noch jungen Jahren sich zur Ruhe zu setzen, das väterliche Haus auszubauen, es mit Seltenheiten aus fernen Ländern, namentlich mit Waffen, zu schmücken und dort in rauher, unzugänglicher Stille ihr Leben zu beschließen. Ganz verschieden in Sitten und Gebräuchen von den jenigen Bocchesen, die unten am Meeresufer wohnen und zur See ihren Lebensunterhalt gewinnen, sind jene, welche mehr landeinwärts im Gebirge sitzen, namentlich die Be wohner von Crivoscie, einer aus mehreren Dörfern be stehenden Gemeinde zwei Stunden nördlich von Risano. Staatlich gehören die wenigen hundert Crivoscianer zwar zu Oesterreich und speciell zum Kreise Cattaro, in der That aber sind es eine Art Montenegriner, halb unabhängige Serben, nach türkischen Angaben Abkömmlinge geflüchteter türkischer Untcrthanen, wie die Uskoken. Dort oben Hausen sie in elenden, aus über einander geschichteten Steinen er bauten Hütten, und das Einzige, was sie besitzen, sind außer Schafen und Ziegen ihre Waffen, die sie nie von ihrer Seite lassen. Von Jugend auf an alle Beschwerden und Entbeh rungen gewöhnt und voller Kriegslust, sind sie treffliche Schützen und geübte Bergsteiger und erprobten seit je ihre Künste an ihren Erbfeinden, den Türken, denen sie auch kürzlich wieder im bosnischen Aufstande in Menge gegenüber gestanden haben. Haben sie doch auch im Jahre 1869 den Truppen ihrer eigenen Regierung, welche sie, wie alle ihre übrigen Unterthanen, zum Kriegsdienste heranziehen wollte, den blutigsten Widerstand geleistet. Ganze Regimenter voller Disciplin und Muth suchten, als die Civilbeamten nichts auszurichten vermochten, vergeblich sich Einlaß in das Hoch- thal von Crivoscie zu erzwingen: 300 bis 400 Männer vereitelten alle Anstrengungen. Ein Hagel von Kugeln lichtete die Reihen der Soldaten, mächtige Steine rollten auf ihre Köpfe; bei Kujesowatz verloren die Truppen allein 1ö Offiziere und bei Maina wurden ihnen zwei ganze Com pagnien aufgerieben, ohne daß die Angegriffenen einen ein zigen Mann einbüßten, wie sie überhaupt in dieser ganzen Campagne nur einen Verlust von 11 Todten und 73 Ver wundeten hatten. Endlich fah sich die Regierung, welcher dieses Gemetzel schon ein ganzes Regiment und mehrere Millionen Gulden gekostet hatte, gcnöthigt, den fruchtlosen Versuchen Einhalt zu thun, die Crivoscianer vom regulären Kriegsdienste zu befreien und ihre Steuern herabzusetzen. In den Bocche hat jedes Dorf fast seine eigene Tracht und bewahrt dieselbe so streng, daß man auf Bildern aus dem vorigen Jahrhundert sofort die Angehörigen der cinzel-