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Kampf des Sommers und Winters. Geschichtliche Entwickelung und geographische Verbreitung der Sitte. Von Dr. Konrad Zacher in Halle. I. In Bd.3O Nro. 19 des „Globus" hat H. F. Schmidt dankeiiswerthe Mitteilungen gemacht über verschiedene volks- thiimliche Frühlingsfeicrn in Thüringen, und daran einige Notizen über die Arten und das Wesen dieser Feiern über haupt angeknüpft. Ursprung und Entwickelung derselben lassen sich aber noch genauer erkennen und verfolgen, als er es gethan hat; ja es ist sogar möglich, ganz ähnliche Feiern bei den Völkern des classischen Alterthums nachzuweisen. Diese eigenthümlichen, in verschiedenen Formen durch ganz Deutschland, durch England und Skandinavien, durch viele slavische Länder verbreiteten, und auch den romanischen Völkern nicht fremden Bräuche, die sich auf Empfang des Frühlings und Austreiben des Winters beziehen, haben seit Jahrhunderten nicht nur das Auge der aberglaubenfeindlichen Geistlichkeit auf sich gezogen, ihr höchstes Mißfallen erregt, und sie zu leider wohl oft erfolgreicher Bekämpfung veran laßt, sondern sie sind auch verschiedentlich Gegenstand gelehr ter Untersuchungen geworden. Aber erfolgreiche Behandlung konnten sie erst finden in unserm Jahrhundert, nachdem eine neue Richtung der Wissenschaft des deutschen Volkes Sprache, Sitte und Dichtung sich zum Gegenstand erwählt hatte, und haben sie gefunden durch die beiden genialsten und feinsinnigsten Kenner deutscher Art und deutschen Volksgei stes, I. Grimm und L. Uhland i). Durch dieser Män ner Forschnngen sind wir in den Stand gesetzt, nicht nur den jetzigen Zustand dieser Bräuche in den verschiedensten Gegenden unseres Vaterlandes zu überblicken, sondern auch ihre Entwickelung rückwärts bis in graue Zeiten zu verfolgen. Ein eigenthümlicher Charakterzug des deutschen Volkes ist von uralter Zeit her die innige, gemüth- und poesievolle Freude an der umgebenden Natur gewesen. Nicht nur die lebenden Wesen des Waldes und Feldes, mit denen er in Berührung trat, dachte der Deutsche sich als ihm nahver- wandte, menschlich fühlende und denkende Wesen; auch mit Wald und Feld und Berg und Heide selbst war er innig verwachsen, sie gehörten zu seiner Existenz, und an allen: Wechsel im Leben der Natur nahm sein eigenes Leben ge- müthvollcn Antheil. Bor allen entzückte ihn die Schönheit der sommerlich geschmückten Erde: der Winter war ihm ein feindliches, finsteres Wesen, das die leuchtende Sonne und mit ihr alle Heiterkeit und Freude raubt. Um so freudiger ward er erregt durch die Wiederkehr des wonnigen Frühlings, das Wiederaufleben der Erde im Mai. Es ist bekannt, welche große Rolle Frühling und Vogelgesang bei den deut schen Lyrikern des Mittelalters spielen. Wenn der Lenz cinzieht, dann schmückt sich die Erde mit fröhlichem Grün und bunten Blumen, dann beginnt die Zeit der Freude und Licbeslust. Häufig stellen sie sich den Frühling (den sie auch „Herr Mai" nennen) und den Winter persönlich dar, jenen als den frischen, jungen, siegreichen Helden und König, der durch Boten schon vorher seine Ankunft verkündigt und dem I) Grimm, Deutsche Mythologie, S. 715 ff.; Uhland, Neber die deutschen Volkslieder. Ges. Schr. Bd. III, S. 17 ff. Winter Krieg ansagt; mit reicher Gefolgschaft und mäch tigem Heere rückt er ein, im grünlaubigen Kleid, und ver treibt den Winter nebst seinen Gesellen, dem Reif und Schnee. Freudig wird er empfangen, wie ein einziehender König, und wie dieser reichlich Gaben vertheilt, so erthcilt er freigebig an Wald und Wiese, an Berg und Thal vnunooUotiin su- msrüksit. Eine reiche Samwlung von Dichterstellcn der Art hat Grimm zusammengestellt S. 719 ff. Das sind nun freilich Vorstellungen, wie sie der dichte rischen Denk- und Ausdrucksweise überhaupt gemäß sind. Aehnliches findet sich bei Dichtern aller Zeiten, und für uns liegt es am nächsten, uns an unfern Göthe zu erinnern: Vom Eise befreit sind Strom und Bäche Durch des Frühlings holden, belebenden Blick; Im Thale grünet Hoffnungsglück; Der alte Winter, in seiner Schwäche, Zog sich in rauhe Berge zurück. Von dorther sendet er, fliehend, nur Ohnmächtige Schauer körnigen Eises, rc. Aber bei den deutschen Dichtern des Mittelalters finden sich diese Gedanken so oft, daß wir in ihnen einen nationalen Zug und volksthümliche Vorstellungen erkennen müssen. Es zeigt sich auch hier jene Verwandtschaft zwischen der Poesie der Dichter und der unbewußten dichterischen Kraft des Volksgeistes. Alle ursprünglichen Schöpfungen des Volks geistes sind poetisch, und vor allem die religiösen, mythischen Vorstellungen; und alle Volksbräuche, die ja schließlich im mer mit jenen mythischen Vorstellungen Zusammenhängen, tragen einen poetischen Hauch. So auch die Volksbräuche, von denen wir hier sprechen, denen dieselbe Anschauung zu Grunde liegt, wie jenen bildlichen Ausdrücken der Dichter. Von ältester Zeit her faßte das deutsche Volk Winter und Sommer als persönliche Wesen auf, als feindliche Herrscher, die mit einander um die Herrschaft streiten. Und um der Freude über das Wiedererwachen der Natur Ausdruck zu geben, wurde dieserKamps vonWinter undSommer, bei dem der Winter unterlag, mimisch dargestellt. Dies ist die ur sprüngliche Form, aus der alle jene verschiedenen Arten der Frühlingsfeier hervorgegangen sind. Natürlich hat sich jener alte Brauch im Laufe der Zeit immer mehr uud mehr, an manchen Orten stärker, an anderen weniger abgeschwächt, und sich in seiner ursprünglichen Form nur selten noch er halten. Ein förmlicher Kampf findet noch statt in den Rhein gegenden, ferner in Schwaben, Bayern, der Schweiz und überhaupt den Alpenländern. Zwei Burschen, der eine als Winter in Stroh oder in Moos eingemummt, der andere, der Sommer, mit Epheu oder frischem Grün bekleidet, beide von zahlreichem Gefolge umgeben, treten auf und ringen mit einander, bis der Winter zu Boden geworfen ist. Dann wird demselben seine Hülle abgerissen, zerstreut, und ein som merlicher Kranz oder Zweig herumgetragen. Dazu singt das Gefolge ein Lied, welches den Sieger preist und begrüßt, den Winter verhöhnt, wie jenes Tra ri ra, der Sommer der ist da rc. oder: