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252 Emis Schlagintweit: Die Völker Ost-Turkistans. diese Menschenscheu gewiß auch der Behandlung zuzuschrci- ben, denn der Name Dolan genügt, um den Träger jeglicher Unbill auszusetzen und ihn auf gleiche Stufe zu stellen mit dem Esel, den er reitet." Eine Besonderheit dieses Stam mes ist das Eingraben ihrer Wohnungen in den Boden; darin gleichen sie einigen tibetischen Stämmen. „Man gräbt ein längliches Viereck in den Boden und bedeckt es mit einem flachen Dach von Rohr, getragen von Balken aus Pappel holz. Die Dächer ragen nur wenig über den Erdboden her vor; thatsächlich entdeckt der Reisende Wohnungen erst, wenn er über das Dach reitet. Diese erbärmlichen Erdlöcher theilt die Familie mit ihren Rindern, Eseln und Schafen; diese Wohnungen haben jedoch den Vortheil, im Winter den star ken Frost abzuhalten und im Sommer vor drückender Hitze Schutz zu gewähren." Eine Sitte, die gleichfalls bei den Tibetern sich findet, ist der vollständige Mangel an Eifer sucht auf die Frau: „Es ist Sitte, daß der Ehemann dem Gaste seine Frau abtritt und inzwischen in einem Nachbar erdloch Unterkommen sucht; nicht bloß führt der Mann der Frau Gäste zu, sondern diese mag Jeden empfangen, und Männerschuhe vor dem Eingang niedergelegt, sind — wie in Tibet — dem Manne ein Zeichen, daß er nun nicht ein treten kann." Ganz andere ethnographische Verhältnisse bietet das Ge birge südlich von Kaschgar, die Landschaften Sarigh Kul (Sirikul der Karten) und Pakhpuluk, welch letzterer Di strict hier zum ersten Male genannt wird. Hier ist die Bevölkerung rein arisch; man begreift bei der abgeschlos senen Lage die Reinerhaltung der Race, wenn man hört, daß die Verhältnisse noch solch ursprüngliche sind, daß bis zur Stunde Geld eine unbekannte Waare ist. Ihr Vieh ziehen sich die Leute selbst, ihren Bedarf an Getreide und Gefpinnstfafer bauen sie ebenfalls und das Wenige, was man von Anderen oder von auswärs beziehen muß, wird im Wege des Tausches eingehandelt. „Die Einwohner von Sarigh Kul kamen von Schighnan; ihre Sprache ist jene der Schigni-Völker i), die dortigen Sitten stimmen mit unseren überein. Die Wakhi und Badakschani sind Leute andern Schlages; wir verstehen ihre Sprache nicht, nur unsere Fürsten nehmen Mädchen von dort zu Frauen; auch die Kundschnd ?) (in den Hochthälern oberhalb Gilgit bis zu den Oxusquellen) sind verschieden von uns. Nur die Religion bewirkt einige Zusammengehörigkeit, indem alle diese als Schiiten, umgeben von Sunniten, die uns als Häretiker verunglimpfen, sich als Brüder betrachten. Die 1) Schighnan liegt auf der Westseite der Pamir genannten Hoch flächen und ist diejenige Landschaft, in welcher der Amu Darja (Orus) von der nördlichen in die westliche Richtung übergeht, um bald darauf wicdbr südlich sich zu wenden. („Der wahre Oberlauf des Orus nimmt eine Lage ein, welche die Mitte hält zwischen den älteren (die ihn nördlich von Faizabad fließen lassen) und meiner Karte, wo die Biegung nach Westen unter 38htz" nördl. Br. einge tragen ist." Capt. Trotter.) Nach den Reiseberichten eines indischen Kundschafters, der das Ländchen 1874 bereiste, ist cs der fruchtbarste Landstrich zwischen Hindukusch und Ferghana, und heißt bei den Anwohnern Zudschan oder „Zwcilebig", .weil Klima und Wasser so gesund sind, daß man ein doppeltes Leben erworben hat, wenn man diesen gesegneten Staat erreicht." 2) Major Montgomerie (6read TirAonometrieat Kurve)', Ue- xort tvr 1869/70, Debra Dun 1870, p. Xll) schreibt Kundschüt; Forspth und seine Begleiter Kundschud; bei der großen Sorgfalt, welche Forsyth der Orthographie geographischer Namen zuwendet, ist der Schreibart Kundschud der Vorzug zu geben und die Annahme der bekannten mißbräuchlichen Verwendung von u für ein kurzes dumpfes a ausgeschlossen. (Die Ravenstcin-Leitncr'sche Karte von Dardistan hatKanjut. Red.j lieber dieseKundschüt fehlen noch alle Nachrichten; wir werden sie nach Wohnsitz und Namen als tibetisches Volk zu betrachten haben, ihr Name führt auf die Bedeutung „Einer, der alles ciusteckt",und wird als ein vonNachbaren gegebener Spott name zu betrachten sein. Einwohner von Kaschgar wie auf der andern Seite jene von Bokhara bezeichnen uns als Tadschik, die Kirgisen nennen uns Sarten >). Dasselbe sagen sie aber anch von den Ba dakschani und Wakhi. Diese Bezeichnung paßt nicht für uns, wir sind etwas eigenes, die Sarigh Kuli, uud als solche bezeichnen uns auch die Badakschani." Oberstlicutcnant T. E. Gordon, der ihr Land durchzog, sagt von ihnen: „Diese Menschen unterscheiden sich von Kirgisen, Usbeken und den sonstigen Einwohnern Ostturkistans durch regel mäßige Züge und üppigen Bartwuchs; sie grüßen, indem sie die Hand zur Stirn führen, meist aber mit gekreuzten Armen wie die Turks." Vielweiberei findet man nur im Fürstenhause; sonst ist die einzige Frau die mit Liebe und Achtung behandelte Gefährtin des Mannes, dem sie das Hauswesen führt, spinnt und webt, auch im Landbau hilft; sie geht unverschleicrt. Scheidung ist nicht statthast; Witt- wen ist Wiederverchelichung nach einem Trauerjahr gestattet. Heirat!) ist ein Freudenfest für die ganze Verwandtschaft; die Braut wird dem Vater vergütet durch eiu Löscgcld in Pferden, Rindern, Schafen, zusammen im Werthe von 350 Mark. Der Bräutigam erhält vom Vater ein Ge schenk im Werthe von rund 10 Mark, ebensoviel derLandcs- fürst als Steuer. Die Verehelichung erfolgt unter folgen dem Cercmoniell: Ein Mulla oder Priester nimmt ein Stück gebratenen Schaffleisches, theilt cs in zwei Stücke, spricht ein Gebet darüber, haucht die Stücke an, taucht sie in Salz ein und giebt sie nun in die rechte Hand des Mannes, die linke der Frau; dann wendet er sich zu den Zeugen mit den Worten: „Diese Beiden sind Mann und Frau; was Gott gebunden hat, lastet den Menschen nicht lösen." Die Gäste tanzen, singen und spielen während dreier Tage. Weniger ausführlich sind die Nachrichten über die Ein- wohner! unter dem Mustagh im Pakhpuluk-(„den Pakhpa gehörend")Kreis von Jarkand. „Sie bewohnen die engen Schluchten und Thäler der Quellbäche des Jarkand-Flusscs bis hinauf zu den Gletschern von Toraghil, welche ihre Sitze von der Provinz Balti des Reiches Kaschmir trennen. Es ist dies eine äußerst arme Gegend, selbst den Grenznachbarn wenig bekannt. Die Einwohner sind so sehr unvcrmischte Arier, daß man die Männer nur in Röcke und Hosen zu stecken hat, um sie im Aeußcrn zu den schönsten Engländern zu machen. Ihre hohen Gestalten, Helle Hautfarbe, lichte Augen, sandfarbiges Haupt- und Barthaar kennzeichnen sie bei völlig kaukasischem Schnitt des Gesichtes als eine Race ganz verschieden von denen, welche die Gesandtschaft auf ihren Kreuz- und Querfahrten in Türkistan sonst hatte kennen lernen. Die Jarkandi nennen sie Papu, sie selbst bezeich neten sich als Pakhpa. Sic sprechen das Turki von Jar kand, jedoch in verderbter, den Einwohnern dieser Stadt schwer verständlicher Aussprache. Sie wollen unter sich keine andere Sprache reden; die geographischen Namen in ihrem Gebiete sind alle türkisch, doch sind die Namen der Land schaften, Thäler rc. sichtlich von anderm Ursprünge als die Lagernamcn und Ortsnamen der Ebene und lassen sich ety mologisch nicht deuten. Sic sind sehr arm; im Winter be ziehen sie Quartier in einigen Winterdörfern, im Sommer schweifen sie mit ihren kleinen Herden an Schafen und Horn vieh über die Berge und treiben in geschützten Lagen Acker bau. Ihre Waffen sind Schwert und Luntenflinte, ihr An- st „Sartc bedeutet so viel als ein „Seßhafter", im Gegensatz zum Nichtscßhaftcn (Nomaden); seßhaft sind alle Tadschik, aber nicht jeder Sartc ist ein Tadschik. Der Tadschik ist iranischer Abkunft; in alter, sehr früher Zeit, wo es noch keine seßhafte türkische Be völkerung gab, war es auch der Sarte, jetzt ist letzterer aber auch türki scher Abstammung." Lerch in „Russische Revue" Vd. 4, S. 279. Sprachlich bedeutet Sartc einen Städler, vergl. Lerch, das., Bd. 1, S. 32; Bd. 9, S. 410.