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246 CH. Iriarte's Wanderungen in Dalmatien. das Malerische an ihm ist uns schon so vertraut, daß es nichts Anziehendes mehr für uns hat. Er selbst habe zwar von mohammedanischen Ländern nicht viel gesehen, nur die europäische und astatische Türkei, Marokko und Algerien, dort aber habe er gefunden, daß der Bazar einer Stadt in dem französischen Algerien etwa dieselben Formen, Farben und Ansichten darbiete wie der von Tanger, Tetuan, Fez oder Smyrna. Umrahmung wie Inhalt find hier wie dort dieselben; die Leute haben dieselben Manieren und Gesten, der Islam scheint ihnen allen denselben Stempel aufgedrückt zu haben. Selbst die Mohammedaner des fernen Indien mögen gewisse hervorstechende Charakterzüge mit ihren türkischen Glaubensgenossen gemeinsam haben. Aber die Südslaven in Bosnien, der Hertzegowina, Bulgarien, Serbien und Monte negro, theils Mohammedaner, theils griechische oder katholische Christen, zeigen bei mancherlei Aehnlichkeit in der äußern Erscheinung sehr auffallende Eigenheiten, die sie von den Türken unterscheiden, in der Tracht sowohl wie in der Hal tung, Geberde, Gesichtsfarbe, im Gang und Benehmen. Und darin liegt ein Hauptreiz einer Reise durch jene Gebiete. Die Mittagsstunde eines Markttages in Borgho-Ploce ist für einen Freund des Malerischen, Lichtvollen und Bunten ein wahres Fest. Da drängt sich im Schatten eines mäch tigen Baumes der Ragusaner, das Weib aus Canali und Breno, der Hertzegowiner, der bosnische Maulthiertreiber, der türkische Zaptieh, der österreichische Soldat und Finanz beamte, und scharf heben sich die bunten Gestalten von dem grellweißen Hintergründe der sonnenbeschienenen Mauern Trachten von Trebinje in der Karawanserai bei Ragusa. ab. Da fügt der Zufall Gruppen zusammen, wie sie das erfinderischste Auge des Malers nie zu Stande brächte. Den Abschluß des Ganzen bildet nach Norden hin eine mächtige, graue, nur von wenigen grünen Fleckchen unterbrochene Berg wand, während nach der andern Seite der kleine Hafen von Ragusa sich zeigt und draußen auf hoher See Karavellen und Polacker tanzen und sich die mittelalterlichen Bastionen in das Meer hineinschieben, aus welchem ganz in der Nähe die Gärten des Scoglio (Felseiland) Lacroma und dahinter die blauen Inseln, eine über der andern, bis an den fernen Horizont emportauchen. Ragusa verdankte — so heißt es — seinen Wohlstand dem Handel, der Unabhängigkeit und der Neutralität. Alle drei Factoren wirkten aber nicht dauernd und gleichmäßig dabei mit und sind nicht immer wörtlich zu verstehen; denn der eigentliche Handel machte nach dem großen Erdbeben von 1667 mehr bloßer Schifffahrt Platz, wobei nicht der Ver kauf, sondern nur der Transport der Waaren lohnte, und die Unabhängigkeit der kleinen Republik ist selten eine ganz vollständige gewesen. Anfangs, im zehnten Jahrhundert, war es das mächtige Venedig, welches, freilich vergeblich, dem Ragusaner Handel Abbruch zu thun versuchte und welches lange Zeit einen kleinen Tribut erhielt. Von 1358 bis 1526 waren die Könige von Ungarn Ragusas Schirmherren. Als aber im 14. Jahrhundert die Türken ihre Residenz in Brussa hatten und die nordwestlichen Küsten Kleinasiens beherrschten, knüpfte Ragusa alsbald auch mit ihnen Ver bindung an und zahlte an den Sultan einen jährlichen Tri but, der im Laufe der Jahrhunderte und mit dem Näher- rllcken der türkischen Macht mehr und mehr wuchs, ohne