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W. Erman: Ueber die vom Wüstensande verschütteten Städte Ost-Türkistans. 219 Ob auch das zuletzt erwähnte Na-Po-Po, welches von Römusat an den Lop-See verlegt, von Hule (Marco Polo I, S. 204) direct als Marco Polo's Lop aufgefaßt wird, als verödet zu denken ist, geht aus dem Bericht nicht hervor. Ebenso bleiben wir darüber im Zweifel, wie lange Zeit vor Hiusn-Thsang die Verwüstung dieser Reiche östlich von Chotan stattgefunden haben mag. Die nächste Nachricht eines Augenzeugen über diese Ge genden verdanken wir Marco Polo, der mehr als 600 Jahre später von Chotan zum Lop-See zog. Ueber die all gemeine Richtung seines Weges kann wohl kein Zweifel mehr obwalten, seit durch Johnson's, Shams und neuerdings durch Forsyth's weiter unten mitzutheilende Erkundigungen das bis dahin völlig in der Luft schwebende Tschartschan als noch heute existirend nachgewiesen ist und seine Lage annä hernd ermittelt werden kann. Damit ergiebt sich auch zu gleich, daß Marco Polo's erste Station östlich von Chotan, Pien (vielleicht verschrieben für Pein und ohne Zweifel dem Pi-ma der chinesischen Berichte entsprechend), in der Gegend des heutigen Kiria zu suchen ist (etwa unter 81° 38' östl. L. v. Gr. und 36° 57' nördl. Br. — vergl. Hule a. a. O. I, 198, und Rob. B. Shaw in UroossdiuZs öl' tüs R. CsoZr. 8oo. Uoudon. Vol. 16, p. 242 ss^.). Daß nun Marco Polo in den diesen Theil seiner Reise behandelnden Capiteln 36 bis 39 die verschütteten Städte mit keinem Wort erwähnt, ist bei der Ausdehnung, die diese Vorgänge hier gehabt zu haben scheinen, auf den ersten Blick befremdlich, findet aber seine Erklärung, wenn man erwägt, daß der Venetianer aller Wahrscheinlichkeit nach einen süd- lichern Weg einschlug als sein asiatischer Vorgänger, wodurch sich das zu durchmessende absolut wüste Gebiet auf ein erheb lich geringeres Maß reducirte. Denn während Hiusn-Thsang von Nijang aus bis Napopo 2000 Li durch die Wüste zurück zulegen hat, beginnt dieselbe für Marco Polo erst jenseit der noch einigen Anbau gestattenden Provinzen Pien und Tschartschan, und erfordert nur fünf Tagereisen bis Lop, das er ausdrücklich als eine große, als Station für die Reisenden nach Cathay (China) wichtige Stadt bezeichnet. Doch muß die Blüthe dieses Ortes damals die längste Zeit gedauert haben, da schon unsere nächste dem 16. Jahrhundert angehörige Quelle von seinem Untergang zu berichten weiß: Mirza Haidar sagt in seinem in Kaschgar verfaßten Tarich-i-Rashidi >) in Bezug auf das ostturkistanische Becken: „Im Osten und im Süden ist eine weite Wüste, die nur unfruchtbare Dünen und Hügel beweglichen Sandes enthält. Vor Zeiten gab es hier mehrere Städte; nur von zweien haben sich die Namen erhalten, nämlich Lob und Kank; alle übrigen sind unter dem Sande begraben/' und weiterhin heißt es: „Ehemals brauchte man von Khoteu nach Khatai 14 Tage; am ganzen Wege waren Städte und Dörfer so häufig, daß man nicht nöthig hatte, Reisegefährten zu suchen oder sich einer Karawane anzuschließen, sondern ohne Be fürchtungen die Reise allein oder zu Zwei antreten konnte. Jetzt aber ist der alte Weg aus Furcht vor den Kalmaks verlassen, und auf dem neuen braucht man 100 Tage." Nicht nur stimmen diese allgemeinen Angaben mit den oben mitgetheilten des Hiusn-Thsang gut überein, sondern wir werden auch durch die ausführliche Erzählung, die uns Mirza Haidar von dem Untergang von Katak H giebt, U Dieselben Details finden sich anch in einem persischen geo graphischen Werk, Heft Mim, aus dem Quatremöre in den Kotiees et oxtraits les manusorits le la lävl. üu roi I'. XIV, p. 474 seq. einige Auszüge mitgetheilt hat, nach denen ich citire. 0) So schreiben Forsyth und Vellew (leasümir anä Kasvgar p. 14), während Sir H. Rawlinson in einer Bemerkung zu For syth's Vortrag die Lesart Konak verthcidigt. lebhaft an die ältere Sage von der Verschüttung von Ho- lao-lo-kia erinnert, nur daß hier als Verschuldung nicht mehr die Verachtung Buddha's, sondern die der Lehre Mo- hammed's auftritt. Das Schicksal von Katak wurde lange vorausgesehen, da der Sand in regelmäßigem Fortschreiten begriffen war. Der Priester der Stadt warnte in seinen Freitagspredigten seine Zuhörer vor der nahenden Katastrophe. Endlich als die Gefahr eine immer drohendere wurde, theilte er seiner Gemeinde einen göttlichen Befehl mit, die Stadt zu verlas sen, um vor dem Zorngericht Gottes zu fliehen. Dann nahm er von der Kanzel herab förmlichen Abschied von sei ner Gemeinde und verließ ohne Zögern den der Verdammung verfallenen Ort. Während schon ein heftiger Sandsturm begann, brach er auf und eilte mit seiner Familie und so vielem Besitz, als er fortführcn konnte, von dannen. Nach dem er eine Strecke Weges zurückgelegt hatte, bemerkte einer seiner Begleiter, der Muezzin oder Gebetsausrufer, daß er etwas vergessen hatte, kehrte in die Stadt zurück und benutzte die Gelegenheit, um noch einmal das Minaret der Moschee zu besteigen und zum letzten Mal den Abendruf zum Gebet erschallen zu lassen. Als er herabsticg, hatte sich der Sand schon so hoch angehäuft, daß es unmöglich war, die Thür zu öffnen. Er mußte wieder auf den Thurm steigen, von wo er auf den Sand hcrabsprang und so seine Rettung bewerk stelligte. Um Mitternacht erreichte er den Scheich wieder; sein Bericht setzte alle so in Schrecken, daß sie sich eilig erhoben, um die Flucht fortzusetzen, indem sie sprachen: „Entfernung ist Rettung vor dem Zorne Gottes." Diese älteren Nachrichten erfuhren ihre erste Bestätigung in neuerer Zeit durchW.H. Johnson, der im Jahre 1865 im Dienste des Crsat TriAvnomstrioal 8urvs^ ok India von Leh aus nach Chotan vordrang. Die bezügliche Stelle seines Berichtes (ckournal ok tüs R. CsoZr. 8ooist^. Vol. 37, x. 5) lautet wie folgt: „Sechs englische Meilen nordöstlich von Jltschi (der Hauptstadt von Chotan) beginnt die große Wüste Takts, Makän. Ihre losen Sandmassen, die sich in gewaltigen, alles überwältigenden Wogen fort bewegen, sollen einst 360 Städte im Zeitraum von 24 Stunden verschüttet haben. Der Rand dieser Wüste" hat das Aussehen eines niedrigen Höhenzuges und besteht aus Hügeln von losem Sande, deren Höhe 200 bis 400 Fuß beträgt. Aus einer der verschütteten Städte wurde während meiner Anwesenheit in Jllschi Thee ausgegraben, der nach der Meinung der Eingeborenen von hohem Alter ist und von dem ich Proben mitgebracht habe. Goldmünzen von 4 Pfund Gewicht (?) und andere Gegenstände sollen außer dem noch in einigen dieser Städte gefunden worden sein. Ihre Lage ist aber nur wenigen Personen bekannt, die, um sich zu bereichern, ein Gehcimniß daraus machen. Allgemein bekannt ist nur die, in welcher große Quantitäten Ziegelthee gefunden werden, der jetzt auf den Märkten guten Absatz findet, da aller Handelsverkehr mit China unterbrochen ist. Sie liegt eine englische Meile nördlich von Urangkasch i). Ich bemühte mich, alte Münzen und Denkmäler zu erhalten, erfuhr aber, daß solche nicht in Jltschi und Harkand, wohl aber in Kaschgar zu bekommen seien, da letzteres eine von den alten Städten sei, die bei der Zerstörung durch Sand verschont geblieben sind. Jltschi und Harkand dagegen seien erst nach derselben gegründet. Diese Angabe scheint einigen Grund zu haben, da ich trotz eifriger Nachforschungen nie mals etwas von Ruinen sah oder hörte, während Kaschgar Urangkasch liegt drei englische Meilen südöstlich von der Hauptstadt. Forsyth befindet sich also im Jrrthum, wenn er in seinem Vortrage die von Johnson erkundete verschüttete Stadt „in dieMähe von Kiria, fünf Tagemärsche von Chotan" verlegt.