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Band XXXI. Mit besonderer Berücksichtigung äer Anthropologie unä Ethnologr Begründet von Karl Andree. In Verbindung mit Fachmännern herausgegeben von Braunschweig vr. Richard Kiepert. Jährlich 2 Bände L 24 Nummern. Durch alle Buchhandlungen und Postanstaltc» I 8 l zum Preise von 12 Mark pro Band zu beziehen. Peking und Umgebung. VI. Der chinesische Buddhismus. Einen ungleich größern Einfluß und Bedeutung als der Taoismus hat jedoch in China der Buddhismus erlangt, dessen Einführung Kaiser Ming-ti von der Han-Dynastie im Jahre 64 unserer Zeitrechnung gestattete. Diesem soll im Traume ein Mann (Buddha), welcher in der Hand einen Bogen und zwei Pfeile hielt, erschienen sein, und der Traum deuter — es ist das ein Hofamt in China — erklärte ihm, daß in Westasien eiu goldenes Heiligenbild dieses Mannes, Fo genannt, existire; man solle das Bild und einige seiner Reliquien durch eine Gesandtschaft nach China holen lassen. Seitdem besteht der ideographische Charakter, mit dem die Chinesen Fo oder Buddha bezeichnen, aus dem Bilde eines Mannes, eines Bogens und zweier Pfeile zum Gedächtniß jenes Traumes, wenn nicht etwa die Sache, wie meist in solchen Fällen, umgekehrt liegt, und die erklärende Geschichte erst aus dem Zeichen entstanden ist. — Im Laufe eines Jahrhunderts breitete sich dann der neue Glauben im Reiche der Mitte aus (zu einer Zeit wirkten allein in den Klöstern des nördlichen China an 3000 indische Priester) und hat seiner Zeit die dortige Civilisation mächtig unterstützt. An Anfeindungen hat es ihm natürlich zu keiner Zeit gefehlt, und noch heute verwünschen die Philosophen aus der Schule des Confucius das Andenken des Kaisers Ming-ti. Von Staatswegen wird natürlich auf diese Religion ebensowenig Rücksicht genommen als auf den Taoismus; die Staats religion duldet sie beide nur neben sich und verlangt von deren Anhängern dasselbe wie von den eigenen. Dazu kommt, daß die Anmaßung der buddhistischen Priester in demselben Globus XXXI. Nr. 13. Grade gewachsen ist, als der Einstuß ihrer Religion sank, mu daß die Chinesen überhaupt sich gegen religiöse Fragen mit dem größten Jndifferentismus und Skepticismus verhalten. So verfallen die Pagoden, welche namentlich in der Umge bung der Hauptstadt mit großer Pracht ausgestattet sind, allmälig und die Zahl der Gläubigen nimmt ab. So ist es vielleicht zu hoch gegriffen, wenn Reverend S. Beal, einer der besten Kenner des chinesischen Buddhismus, die Hälfte der gcsammten Einwohner Chinas für Anhänger des selben hält. Er sagt (Tüs Orisntal, 4. December 1875): „Es soll mehr Buddhisten in der Welt geben als irgend ein anderer Glaube Anhänger zählt. Dabei schlägt man jedoch die Menge der chinesischen und japanischen Buddhisten zu hoch an. Die Chinesen selbst dagegen sprechen in ihren historischen Werken von sich immer als von Confnciancrn, und auch die Japanesen fallen unter dieselbe Kategorie. Die Wahrheit liegt wohl in der Mitte, und wir werden nicht sehr fehlgreifen, wenn wir die Hälfte der Bevölkerung von China als Buddhisten ansehen, während das ganze Volk, abgesehen natürlich von den Mohammedanern und Juden, mit bud dhistischen Gedanken, Vorstellungen und religiösen Ceremonien vertraut ist, so daß man etwa 150 Millionen Buddhisten in China und Japan rechnen kann/' Wie gesagt, eifrige Anhänger des Glaubens sind das sicher nicht. Der Chinese hat ein Sprichwort, welches seine religiöse Gleichgültigkeit trefflich ausdrückt: „In seinen Mus-c- stunden betet man nicht; aber wenn der letzte Auqenblick naht, wirft man sich blindlings Buddha zu Füßen.» Genau 25