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I. Mestorf: Kelten und Galater. 119 recht heiß und lebhaft herging. Daß dies auch gegenwärtig der Fall, ist bei dem herrschenden Interesse für anthropolo gische und archäologische Studien wohl begreiflich. Vielleicht war die Leidenschaftlichkeit, mit welcher der Streit geführt wurde, der Erledigung desselben hinderlich; Einseitigkeit darf man der Behandlung der Frage indessen nicht zum Borwurf machen. In der Versammlung der deutschen Anthropologen in München 1875 empfahl Prof. Ecker in launiger Weise, wenn man mit einem Fremden über die Kelten spräche, stets zu fragen: „Mit wem habe ich die Ehre zu reden? Sind Sie Philologe, Historiker, Archäologe oder gar Craniologe?" Denn die Kelten der Linguistik, der Archäologie, der Geschichte und der Craniologie seien wohl zu unterscheiden. Wir wer den uns heute nur mit „den Kelten der Archäologie" be schäftigen, und zwar unter Anknüpfung an ein kürzlich er schienenes Buch des bekannten französischen Archäologen Alexander Bertrand, betitelt-' J.rollsoIoAis oslkigns «k gauloiss 1). Als Director des Nusss äss Jmtägnitös nnkionalos zu St. Germain-en-Laye befindet sich Herr Ber trand in der glücklichen Lage, über ein reichhaltiges Material zu verfügen. Er verbindet außerdem mit einer großen Bele senheit eine auf Autopsie beruhende Kenntniß der bedeutend sten Alterthümersammlungcn Europas, weshalb man, im Hin blick auf die große Wichtigkeit der Keltenfrage für die Ge schichte Mitteleuropas, erwarten darf, daß die Ergebnisse der Bertrand'schen Forschungen von unseren Geschichts- und Alterthumsforschern nicht unbeachtet bleiben werden. Das Bnch besteht aus einer Sammlung von Abhandlungen und Borträgen, von welchen einige vor mehr denn zehn Jahren geschrieben wurden, und da konnte es nicht ausbleiben, daß die Ansichten des Verfassers in Folge fortgesetzter Studien sich seitdem über diesen oder jenen Punkt geändert haben. Wo dies der Fall ist, findet man in angefügten niit Datum und Jahreszahl versehenen Noten kurze Berichtigungen, wes halb es sich bei flüchtigerem Lesen des dicken Bandes empfiehlt, diesen kleinen Noten besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Der Verfasser sondert sein Material in drei Abtheilun- gen: älteste Zeit, keltische Periode und gallische Periode. In der erstgenannten behandelt er die Steinzeit, zunächst die sogenannte paläolithische Zeit, repräsentirt durch eine Be völkerung ohne Namen, welche sich nach seiner Ansicht nicht aus eigener Kraft zu einer höheren Cultur emporarbeitete, sondern von einer von Norden cindriugenden überlegenen Cultur berührt ward, welche er die hyperboräische nennt. Cha rakteristisch für letztere sind die geschliffenen Steinwerkzeuge und jene megalithischen Denkmäler, welche unter dem Namen Dolmen, »Ilses eonvsrtss, Steinhäuser, Gangbauten, Riesen- betten n. s. w. von Südskandinavien längs der Westküste Europas südwärts ziehen bis nach Spanien und über die Straße von Gibraltar bis nach Afrika hinein. An ein Dolmenvolk (wie z. B. Bonstettcn in seinem Lssai sur les ckolirmim es zeichnet), d. h. ein Volk, das, von Skandinavien aus, den Meeresküsten folgend, südwärts zog und überall, wo es sich aufhielt, Spuren seiner Cultur hinterließ, glaubt Herr Bertrand nicht mehr mit der früheren Sicherheit, wohl aber an eine Culturströmung, welche, dem bezeichneten Wege folgend, auch das westliche Frankreich berührte und dort Wurzel faßte, — oder, wie er an einer anderen Stelle sich ausdrückt, an eine allgemeine gleichartige Cultur verschiedener Bölkerstümme. Eine im Jahre 1875 vollendete Karte ver anschaulicht die Verbreitung dieser vorgeschichtlichen Stcin- denkmäler in dem heutigen Frankreich. Das Gebiet dersel- 9 eoNiczue et Anuloise. tNömoires er doaumarUs relntiks nux Premiers temps de notre Nistoire nationale, karis, vidier et vomp. 1876. XXXII II. 464 S. gr. 8. mit 10 !itho- graphirten Tafeln und 80 in den Tert eingedruckten Holzschnitten. ben liegt westlich von einer Linie, die man von Brüssel ab wärts bis an die Rhonemündung zieht, und wird im Süden durch die Garonne begrenzt. Sie folgen dem Laufe der Flüsse, von der Mündung aufwärts, doch sind sie sehr un gleich vertheilt. Während in einigen Districten deren nur einzelne vorkommen, findet man sie in anderen zu Hunderten bei einander. An den alten Verkehrsstraßen längs der Seine, Saone und Rhone fehlen sie, wie sie überhaupt dem alten Keltcndistrict zu Cäsar's Zeit fremd geblieben zu sein scheinen. Der Verfasser sieht hierin einen Beweis, daß die Dolmen bauer ein Volk anderer Abstammung und Cultur waren, welches neben den Kelten lebte, ohne sich deren höhere Bildung anzneigncn. Diese Abhandlung, betitelt Dss Llonnmvnts ckiks oel- tignss, welche sechs Bogen umfaßt, mit zahlreichen Abbil dungen von Grabdenkmälern der Steinzeit, wurde 1861 von der Joacksmis ckss Insorip-tions preisgekrönt. Sie hatte das große Verdienst, den damals noch herrschenden Jrrthum zu beseitigen, daß jene kolossalen Steindcnkmäler sämmtlich von der keltischen Bevölkerung hcrrührtcn, und bleibt als systematische Specialuntersuchung mustergültig. Der Ansicht, daß die sogenannte hyperboräische Cultnr von Skandinavien ausgegangen sei, können wir freilich nicht bei treten. Es müßte dies geschehen sein, bevor sich in der nor dischen Steinaltcrcultur die charakteristischen Typen ausgebildet hatten, welche sie heutzutage kennzeichnen, und auch die süd wärts getragenen Elemente müßten später eine selbstständige Entwickelung erfahren haben, welche sich dem Charakter der älteren Steinzeit näher verwandt zeigt als der nordischen jün- gern Periode. Wie der Verfasser über die Beziehungen der von der westlichen und nördlichen völlig verschiedenen östlichen Gruppe der Steingcräthe denkt, sagt er auch in der im Februar 1876 angefügten Note nicht. Herr Bertrand gehört zu den Archäologen, welche keine reine Bronzezeit anerkennen. Nachdem er die skandinavischen Sammlungen studirt, hat er sich freilich gemüßigt gesehen, dem Norden eine solche zuzusprechen, in Bezug auf Miltel und Südcuropa aber hält er an seiner früheren Ansicht fest, die jedoch keineswegs von allen französischen Archäologen getheilt wird. Wir sehen vielmehr auch dort zwei sich ziem lich schroff gegenüberstehende Parteien, von welchen die eine dem ganzen Lande eine hinter der Kenntniß des Eisens zurückliegende Bronzecultur zuspricht, während die andere, an deren Spitze Herr Bertrand steht, nur im südöstlichen Gallien Spuren einer Cultur findet, in welcher zwar die Bronze vorherrschte, aber auch das Eisen schon bekannt war. Die Ansicht des Verfassers Uber den Herd der Bronze industrie und ihren Weg nach Europa ist in Kürze folgende. Von dem östlichen und südlichen Ufer des Kaspischen Meeres bewegte sic sich langsam westwärts, die Länder des Kaukasus berührend, längs der Ost- und Nordküste des Pontus, über Thracien, und weiter die Donau und den Duiepr aufwärts in Europa eindringend: westlich bis an die Pyrenäen, nord wärts bis an die Ostsee, die kimbrische Halbinsel hinauf nach Südfkandinavien. Wir hätten da eine Gabelung eines aus gemeinsamer Quelle sich ergießenden Stromes. Den süd lichen Arm nennt der Verfasser die keltische, den nördlichen die hyperboräische Bronzecultur. Ohne cs direct aus- znsprechen, scheint er eine Verwandtschaft beider anzunehmen. Den Namen hypcrboräisch wählte er für den nördlichen Arm, weil die Alten die nicht scythischen Völker des Nordens so zu benennen pflegten. Die Länder, welche von dem nörd lichen Strom berührt wurden, blieben im Besitz einer reinen Bronzecultur 9, ohne Kenntniß des Eisens, wohingegen der 9 Der Verfasser hebt an mehreren Orten hervor, daß auch im Norden mit dem Erscheinen der Bronze eine Umwälzung aller In»