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A. Zehme: Aus und über Arabien. 107 Noch unmittelbar vor dem jetzigen Aufgebot aller dispo- nibeln türkischen Truppen gegen die drohende russische In vasion sendeten, nach demselben Gewährsmann, die Türken mit Vorliebe Recrutenmassen nach Jemen, weil von dort das Desertiren beinahe unmöglich sei. Doch würde, meint er, eine Erhebung in Hedschas und Jemen für die — da mals etwa 20,000 Mann starken — türkischen Truppen verhängnißvoll sein, weil ihnen nicht einmal ein Weg zur Flucht offen stände. — Später, im November 1876, erfährt man durch einen aus Jemen zurückkehrenden Beam ten, daß die Verbindung von Jemen und Asir „bis jetzt" nur zu Wasser möglich sei, weil die dazwischen liegende große Stadt Saade, die über 6000 Häuser habe, und der Stamm Suda (!) die Landverbindung unterbrächen und sich bisher noch nicht vor der türkischen Herrschaft gebeugt hätten. Auch aus den unterworfenen Districten dürfe die Regierung noch nicht wagen Recruten auszuheben, während das 7. türkische Armeecorps in Jemen nur durch Krankheit einen Jahres verlust von 1000 Mann gehabt habe; die türkischen Beam ten und Offiziere verständen es nicht, die arabische Bevöl kerung an die osmanische Oberhoheit zu fesseln. Der dafür interefsirte Leser früherer Berichte, theils in dieser Zeitschrift, theils in „Arabien und die Araber seit hundert Jahren", erinnert sich vielleicht, daß diese Eventualität ebenso gewünscht wie erwartet wurde. In Bezug auf die Person und Machtstellung desGroß- scherifs von Mekka wird dem im letzten Bericht (Früh ling 1876) Mitgetheilten eine interessante Bestätigung zu Theil: erstens ist in der That Großscherif Abdallah-ebn- Aun noch am Leben, und zweitens steht er in ungeschwäch tem Ansehen, so daß die Türken trotz des „Chalifates von Stambul" mit dem mekkanischen Edelmann wohl oder übel rechnen müßen. Im Sommer 1876 hatte nämlich der türkische Gouverneur in Medina einen Araber-Häuptling wegen eines vor 15 Jahren begangenen Todtschlages ver haften und wahrscheinlich ohne Untersuchung und im Gehei men hinrichten lassen. Zugleich fahndete er auf dessen Bru der, der aber mit Drohungen antwortete und mit seinen „Anhängern" auf Medina losrückte. Die türkische Be satzung empfing sie mit Artillericfeucr, ohne besondern Ein druck zu machen. Da erschien am zweiten Tage des Kampfes ein Abgesandter des Großscherif und vermochte den Türken nicht nur, das Feuer einzustellen, sondern auch seine Be schwerden gegen den Araberscheich der Entscheidung des Groß- scherifs selber zu überlassen, was den vertrauensvollen Abzug der Aufständischen zur augenblicklichen Folge hatte. Uebrigens lebe, sagt die Nachricht weiter, Abdallah-ebn- Aun herrlich und in Freuden, was man ja bei den reichen Erträgen der immer noch oder vielmehr wieder großartigen Pilgerfahrten nicht verwunderlich finden wird. Auffällig ist mir das Fernere: der Großscherif wie die Scherife im Allgemeinen (also der religiöse Adel) seien ge heime Anhänger der Wahabi, die„nunüber das ganze Innere der großen Halbinsel verbreitet wären" ; die Be wohner der heiligen Städte aber wie des Küstenlandes über haupt hegten gegen diese „unbeugsamen Puritaner und Zer störer der Heiligengräber" Haß und Furcht, ein Umstand, der den Türken bei der „jüngst erfolgten" Unterjochung der Asir sehr zu Statten gekommen sei. Was es mit dieser Unter jochung für eine Bewandtniß hat, wißen wir nun wohl, die Nachricht aber vom geheimen Wahabismus des Großscherifs liest sich gleich einer wörtlichen Copie der Sachlage, wie sie etwa um das Jahr 1803 u. ff. zur Zeit der großen Wahabi-Fürsten Abd-el-Aziz und Saud sich darstellt. Die Consequenz, die man aus diesem Verhältniß zu ziehen be rechtigt ist, will ich nur andeuten: wenn der Großscherif in Mekka wieder mit dem Wahabismus rechnet, dann ist dieser letztere noch eine Macht. Ich habe schon erwähnt, daß einer der Corrcspondenten der „Allgemeinen Zeitung" in Dschedda und Hodeida Beobachtungen über die Zustände an der Westküste gemacht hat; diese fallen sehr zu Gunsten der letztgenannten Stadt aus. Suez habe seit der Eröffnung des Canals um zwei Drittel seiner Einwohner abgenommen, Dschedda um ein Drittel, Aden finde in Hodeida den Vergelter dafür, daß es Mekkas Ruin verschulde — diese letzte Behauptung unzweifelhaft von einer ähnlichen Unkunde dictirt wie die: Arabien, das Land, wo bis vor fünf Jahren keines Eroberers Fuß Spuren hinterlaßen habe, liege jetzt ganz ruhig zu des Türken Füßen und sei dem Europäer mit Ausnahme der heiligen Stätten offen. Wer so etwas schreibt, kann wohl nur sehr ungenügend über die Halbinsel und ihre den Euro päern noch nicht eben sehr zugänglichen Räume unterrichtet sein, davon ganz abgesehen, daß es eine starke Zumuthung an die Leichtgläubigkeit der Leser ist, von dem zn des Türken Füßen liegenden Arabien zu sprechen: der Schreiber ver wechselt den schmalen Küstensaum mit ganz Arabien. Werthvoller sind die sachlichen Nachrichten über die Handelsverhältnisse an der arabischen Westküste. Mo natlich geht ein Dampser des österreichischen Lloyd von Con- stantinopel über Suez nach Dschedda und Hodeida, nimmt für alle Haupthäfen Europas Waaren, die in Port-Said, wo ja Kohlen eingenommen werden müssen, durch denLloyd- Agenteu weiter befördert werden. Der Lloyd, welchem die türkische Regierung das Fehlende einer vollen Fracht für jede Fahrt nach einem bestimmten Satz vergütet, ist dafür verpflichtet, Frachten und Passagieren der Regierung den Vorzug vor anderen zu geben, auch die Schiffe bis zu acht Tagen auf den Halteplätzen zur Verfügung der Regierung zu halten. In Dschedda wird, hören wir, ein Lcuchtthurm noch immer schwer vermißt; auch die Wasserversorgung bleibt mangelhaft, da die Cisternen, im Besitz der geistlichen Be hörden, schließlich übles Regenwasser in ungenügender Menge bieten, die Anlage artesischer Brunnen aber von jenen hinter trieben wird. Der Sklavenhandel, namentlich mit Kindern, geht ohne Scheu von Statten, auf Haschisch und Opium wird dagegen im Reisegepäck gefahndet, ebenso auf Wein und gegohrcne Getränke, Artikel, die doch bei dem schlechten Wasser heilsam wären. Behufs Herbeiführung der Mekka- Pilger von Malakka und Holländisch-Jndien haben seit ein paar Jahren eine Anzahl von Sejjids (also Leute von schii tischem Religionsadel) eine Dampfschifsfahrtsgesellschaft ge bildet und gute Segelschiffe zur Unterstützung gemiethet, wo bei gute Geschäfte gemacht worden sind. Dem südlicher gelegenen Hodeida wird, wie gesagt, eine bedeutende Zukunft prophezeiet. Es ist in der That jetzt schon der Hauptexporthafen für den jemenischen Kaffee, dessen Verkauf nicht mehr allein auf dem Hofe des Zoll hauses, sondern auch sonst in der Stadt geschieht. Die Oke (—2^ Pfund) kostete im September 1876 etwaig Mark, der Ausfuhrzoll variirt zwischen 1 und 8 (!) Procent, auf die Verpackung rechnet man 2^ Procent Aufschlag. Die Versendung aus dem Innern, wo der Kaffee im October geerntet wird, nach der Küste geschieht das ganze Jahr hin durch, Ihre Manufacturbedürfnissc beziehen die Banianen und Parst in Hodeida aus Aden. Im September feierten die Moslims das Fest (die Ziara) ihres Stadtheiligen, Sa dik, durch Waffentänze, Vermummung und Aufzüge. — Die Einfuhr geistiger Getränke, natürlich auch hier nominell verboten, erfordert zahlreiche Backfchisch an die türkischen Zoll-