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Die p o lnis Von C. Einer der zahlreichen Jrrthümer, die über Polen ini all gemeinen Glauben stehen und dies fast in der Mitte Europas liegende Land noch heute zu einer halben tsrra inooKnitu machen, ist der, daß seine Oberfläche, soweit sie heute zum russischen Gebiete gehört, nicht viel mehr als eine platte Tief ebene sei und der landschaftlichen Reize von Berg und Thal wie jenes romantischen Zaubers, deu so manche Gegenden Deutschlands und der südlichen und westlichen Länder Euro pas besitzen, so gut wie gänzlich entbehre. Wie gesagt, ist dies ein Jrrthnm. In mehr als einer Landschaft des Weichsel landes werden die flachgeraden oder sanftgewellten Linien der Niederung durch Gruppen und selbst ganze Züge von Höhen und Hügeln unterbrochen, und da es zudem selten au beleben dem Gewässer und an Färbung gebendem Busch und Walde fehlt, so erfreuen oft die anmuthigsten Landschaftsbilder das Auge des Naturfreundes. Sogar in den nördlichsten Land strichen, am Ufer des Njemen, am See von Wigry und un weit der Ufergclände der Narew, finden wir Gegenden von malerischer Schönheit. Noch mehr ist dies natürlich in den süd lichen Bezirken der Fall, wo jenseits der Weichsel schon vor Lublin, diesseits hinter Radom die Landschaft einen hügeligen theilweise sogar bergigen Charakter annimmt, der ihr bis an die galizische Grenze treu bleibt.- Au der obern Weichsel bei Kazimierz, Jauowiec vereinigen sich natürliche Lieb lichkeit und interessante Denkmale geschichtlicher Cultur, um dem Beschauer der Landschaft ähnliche Genüsse darzubieten, wie wir sie an Donau und Rhein bekanntermaßen vielfach finden. Für den Naturfreund wie für denjenigen, der an Volk und Geschichte Polens nähern Antheil gewinnen und in Land und Leute einen lohnenden Einblick thun will, ist der Besuch der Südwestecke des Königreichs in erster Reihe zu empfehlen. In diesen Gegenden drängt sich soviel geographische Eigenart, landschaftlicher Reiz, historische Erinnerung, moderner Auf schwung, industrielle Thätigkeit und sonstiges mannigfaches Interesse zusammen, daß sie ein ebenso lohnendes Ziel für Touristen bilden können, wie manche vielbesuchte Strecken un serer übrigen Nachbarländer. Nur müßten freilich die Gasthöfe in Polen deu heutigen Ansprüchen besser genügen und die russischen Paßschwicrigkeiten in Wegfall kommen, wenn der Besuch häufiger werden soll. Von den nächsten Eisenbahnhaltestellen des russisch-pol nischen Inlandes, Strzemieszhce und Dombrowa, über die Kreisstadt Oltüsz etwa sechs Meilen, von Krakau und Krzeszowice nur drei Meilen entfernt liegt der vielgepriesene Mittelpunkt der sogenannten polnischen Schweiz, das Dorf Ojcow, eine Perle landschaftlicher und sagenhafter Romantik, zu deren Verherrlichung auch die Polnische Poesie eifrig und mit Erfolg beigetrageu hat. Mit dem Alpenlaud freilich wäre die Gegend besser nicht in Vergleich gebracht worden; eher läßt sie sich mit der sächsischen Schweiz in ein verwandt schaftliches Verhältniß bringen. Wie in letzterer erreicht auch in der Gegend von Ojcow kein Berg die Höhe von 2000 Fuß, und in der Masse, Form und Lagerung der Felsen zieht die polnische Schweiz noch vor ihrer sächsischen Namensschwester den Kürzer». Auch ist der Prondnik (kraänilr), der sich durch das Thal von Ojcow schlängelt, zwar ein recht mun terer klarer Bach, der auch recht schmackhafte Forellen spen det, aber bei Weitem keine Elbe, die Flöße und Schiffe auf che Schweiz. Petzet. ihrem breiten Rücken trägt. Immerhin apostrophirt Dmochowski mit nicht ganz unberechtigtem Stolze seine pol nischen Landsleute: „Schweifen durch der Fremde Lande Hast Du wahrlich nicht von Nöthen, Warst Du nicht an Prondniks Strande, Müssest Du vor Scham erröthen". . . Das frische Gewässer tränkt einen prächtigen Wiesengrund voll saftiger Gräser, überragt von theils kahl emporsteigen den, theils bewaldeten Felsenhöhen. Die Ojcower Flora ist als die reichste Südpolens anerkannt. Aeltere Botaniker hatten derselben sogar manche Specialitätcn vindiciren wol len, die sich schließlich nur als besonders schöne Exemplare gewisser Pflanzengattungen erwiesen. Der Botaniker Besser hatte sogar die herrlichen Birken Ojcows als eine besondere Species „bstula osvovisnsis" bezeichnet, aber auch gegen siebzig hier vorkommeude Pflanzen aufgezählt, die in der „Polnischen Flora" des Warschauer Professors Waga fehlten. Eine der größten Merkwürdigkeiten Ojcows, die gegen über der sächsischen Schweiz sogar einen Vorzug begründet, sind seine Höhlen, unter denen namentlich die nach dem Kö nig Ladislaus dem Kurzen („Lokietek") benannten beachtens- werth sind. Dieselben sind nur eine Viertelstunde von dem Dorfe entfernt, aber der Weg, der zu ihnen führt, ist zuletzt sehr steil und beschwerlich. Sie bestehen zum Theil aus langen schachtähnlichen Gängen, zum Theil aus hohen und weiten Wölbungen gleich Kirchenschiffen, aus denen wieder neue Gänge zu ferneren großen Kammern führen. Hier suchte und fand der genannte polnische König, als er von seinem Gegenkönig Wenzel von Böhmen schwer bedrängt wurde, Sicherheit vor der feindlichen Verfolgung, und seine treuen Anhänger brachten ihm heimlich alles hierher, was das Wohl des geliebten Fürsten erforderte. Jetzt stehen vor den denkwürdigen Grotten in den Sommermonaten mit Fackeln versehene Führer bereit, um uns in die Höhlen zu geleiten, und graubärtige Barden singen uns Lieder von den alten Zeiten, gewürzt mit satirischen Seitenhieben auf die Gegen- wart und ihre minder heldenhaften Menschen. Auf dem Gipfel des Berges, in dessen Schooße sich die Höhlen verzweigen, läßt der Wald einige Felsblöcke frei, von denen wir eine wunderbar schöne Aussicht auf die von hier nur drittehalb Meilen entlegene Jagiellonenstadt genießen. Wie durch Zauberei glaubt man auf einmal in eine Land schaft des milden Südens zu schauen, so sehr überrascht diese herrliche Fernsicht nach der Waldeinsamkeit der nähern Um gebung, die sonst nach keiner Seite eine weitere Aussicht bie tet. In voller Deutlichkeit stellt sich die schöne Königsstadt dar, die durch ihre liebliche Umgebung wie durch ihre ehr würdigen Gebäude und geschichtlichen Denkmäler den ersten Rang unter ihren polnischen Schwestern behauptet. Wir sehen die Prächtige Marienkirche, deren einer Thurm vou einem reichvergoldeten Kranze umschlungen ist, den Dom auf dem berühmten Wawel, wo die Helden und Könige des versunkenen Reiches ruhen, auch die Hügel um die Stadt, an denen so manche Sage, so manche geschichtliche Erinne rung haftet, — die aber von unserer utilitarischen Zeit an dieser Ecke der Drcikaiserbundsreiche mit wohlbefestigtcn FortS gekrönt worden sind.