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Mt besonderer Herücksichtigung der Anthropologie und Ethnologie. Begründet von Karl Andree. In Verbindung mit Fachmännern herausgegeben von Dr. Richard Kiepert. Braunschweig Jährlich 2 Bände ä 24 Nummern. Durch alle Buchhandlungen und Postanstalten 1882. zum Preise von 12 Mark pro Band zu beziehen. Leadville in Colorado. i. (Sämmtliche Abbildungen nach Photographien.) Im Jahre 1878 unternahm der Ingenieur Edouard de Laveleye eine Reise nach den Vereinigten Staaten, hauptsächlich um die kürzlich entdeckten Mineralreichthümer und die zu ihrer Ausbeutung in Anwendung gebrachten metallurgischen Processe kennen zu lernen. In New York rieth man ihm dringend zu einem Besuche der Silbermincn von Colorado, und da ihm dies zugleich die Gelegenheit bot, eine jener Ortschaften, welche vielleicht dereinst mit den heutigen Hauptstädten Amerikas wetteifern werden, in ih rer Kindheit kennen zu lernen, so entschloß er sich bei der schon vorgerückten Jahreszeit rasch und fuhr nach Den ver, der Hauptstadt des Staates Colorado. Dieselbe, heute einer der blühendsten Orte, wurde 1858 gegründet; ein Jahr später war das schöne Geschlecht erst durch drei Frauen vertreten, und erst im März 1859 wurde dort der erste Mensch geboren. 1878 zählte es 25 OOO Einwohner und war der Kreuzungspunkt mehrerer Eisenbahnen. Es besitzt mehr Banken, Schulen und Zeitungen, als manche europäische Residenz; überall trifft man auf Pferdebahnen, und die Luft durchkreuzt nach allen Richtungen ein Netz von Telegraphen- und Telephondrähten. Sicherlich ist der Komfort nur in wenigen unserer großen Städte so vor trefflich organisirt, als in Denver, dieser in einer Wüste verlorenen Stadt, deren Holzhäuser und stellenweise noch ungepflasterten Straßen ihren jungen Ursprung verrathen. Auf den ersten Blick fühlt man sich in eine neue Welt verfetzt: Wäschereien mit chinesischen Aufschriften, Berg werksarbeiter in Anzügen aus starker brauner Leinewand, Globus xvii. Nr. 4. zahlreiche berittene Trapper, den Karabiner umgehängt und den Revolver im Gürtel, geben der Stadt ihr ganz beson deres Aussehen, das sich durch die Mischung wilden und civilisirten Lebens charakterisier. Die Unterhaltung dreht sich nur um Bergwerke und Erze: so viel Unzen Silber, so viel Procent Blei, Zink oder Zinn auf die Tonne. Man wechselt mit dem ersten besten keine zehn Worte, ohne daß es sich um gekaufte oder verkaufte Aktien und Antheil scheine von Bergwerken handelt. Laveleye hätte binnen zwei Tagen an 50 Bergwerken kaufen können, die alle ihm angeblich Millionen gebracht hätten. Ja, ein geschickter Industrieller bot ihm umsonst die Koncession eines Erz lagers, das 60 Proc. Blei und 100 Unzen Silber auf die Tonne erhielt, ein Vermögen für europäische Verhältnisse; freilich stellte er als Bedingung den Bau einer Straße von der Grube zur Eisenbahn. Wie dem aber auch sei, so viel erscheint Laveleye sicher, daß Jedermann, der eine gehörige Dosis guten Willens und Lust besitzt, mehrere Jahre lang angestrengt zu arbeiten, noch heutigen Tags in den West staaten rasch sein Glück machen kann. Woher es kommt, daß so wenige Menschen dieses Ziel erreichen? Einfach, weil fast alle den sichern, aber längern Weg verschmähen und den direkten, aber gefährlichen vorziehen. Jeder sagt sich: „Mein Nachbar hat eine „Bonanza" gefunden und ist in wenigen Tagen reich geworden. Warum soll ich Jahre warten?" Aber Bonanzas finden sich nicht alle Tage, und diejenigen, welchen sie das Glück znspieltc, verschleu derten sie meistens in der Einbildung, daß der Zufall ihnen 7