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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. PränumerationS- PreiS 22j Sgr. (s Thlr.) vierteljährlich, 3 Thaler für das ganze Jahr, ohne Er höhung^ in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Man pränumerirt aus diese« Beiblatt der ÄUg.Pr. StaatS- Zeitung in Berlin in der Expedition lMohren-Straß« Nr. 34); in der Propinz so wie im Auslande bei de« Wohllöbl. Post - Acmtern. Literatur des Auslandes. 89. Berlin, Freitag den 26. Juli 1833. England. Die Lebensalter der Gelehrten und Künstler. Unsere Zeit Hal eine wabre Wuth ans statistische Tableaumache- reien. Bald wird es keine Sphäre des Lebens, keine Richtung des Geistes, kein Winkelchen in dem Mikrokosmos des menschlichen Thun und Treibens mehr geben, das man nicht in Tabellen gebracht hätte, um daraus die Durchschnittszahl einer absurden Möglichkeit hcrvor- zudemonstrircn. Aber cs sind Zahlen, Zahlen, Zahlen! Nichts als Zahlen! Es sind Anweisungen, die aus der Bank des Lebens nicht für voll angenommen werden und mitten unter den Reichthümcrn der Wahrscheinlichkeit den theoretischen Millionair Hungers sterben lassen. Da bat ein Mr. Madden in London ein Buch herausgegcben, er nennt es eine Physiologie der Gelehrten"). Dies klingt wunderlich genug und hort sich fast an, wie eine „Monographie der Ratten." Aber das Wunderlichste an dem ganzen Buche sind sechs darin enthaltene Tableaus, welche die Relativität der Lebensalter m den verschiedenen Gelehrten- und Künsilcrklasscn durch Zahlen ver anschaulichen sollen. Zum Grunde liegt kein übler Gedanke. Es ist allerdings interessant, zu beobachten, "was die geistige Beschäftigung des Menschen für Einflüsse austtbt aus das Mehr ober Minder seiner Lebensdauer; nur muß man sich hüten, aus die Resultate, weiche da bei herauskommcn, etwas zu geben. Denn wie darf man eigentlich nach Kalender-Berechnungen die Lebensdauer messen bei schaffenden Geistern, welche über die kürzeste Spanne Zeit, die sie umsängt, doch siegreich hmauslebe»? Auch hat sich Mr. Madden die Sache gar zu leicht gemacht. Er stellt in seinen sechs Lebrnsläbrllen unter der Rubrik: Naturfor scher, Poeten, Philosophen, Mediziner, u. s. w. eine Reihe Namen bekannter, pst auch unbekannter Männer zusammen, fügt (mit vielen Fehlern in den einzelnen Angaben) das Lebensalter, das sie dem Kalender nach erreichten, bei, addirl diese Zahlen zu einer Total summe, vergleicht die einzelnen Totalsummcn, welche die verschiedenen Rubriken ergeben, mit einander und lässt dann die Majorität ent scheiden, indem die, welche cs in ihrer Rubrik zu den höchsten Zah len gebracht, alsdann zu dem höchsten Lebensalter ihm berufen und auserwählt scheinen. Ein Ucbclstand liegt hier schon in der Unvoll-, ständigkeil und Einseitigkeit, mit der die Namen der ausgesübrten Gelehrten und Künstler zusammengcstellt sind, indem unser Englischer Tableaumacher säst nur die Sterblichkeit und Unsterblichkeit seiner «igenen Landsleute bei seinen Angaben berücksichtigt hat. In seinem ächt Englischen Egoismus lag ibm z. B. an der Lebensdauer unserer Deutschen Nolabilitäten, die doch auch milzäblcn wollen, wenig, und hier fehlen viele bedeutende Namen. Man brauchte daher manche Tabellen nur immer durch Hinzustellung einer gleichen Anzahl von Namen zu verdoppeln, um hier und da ganz andere Resultate ber- vorzubringcn, obwohl sich nicht läugncn läßt, daß die Haupiresullate des Mr. Madden eine gewisse Richtigkeit des Prinzips siir sich ha ben. Die Rangordnung der Lebensalter, welche in den verschiedenen Rubriken gewonnen werde», ergicbt sich bei ihm als folgende: 1) Na- tursorschcr, welche ei» Durchschnittsaltcr von 75 Zähren erreichen; 2) Philosophen, mit dem Durchschnmsjabr 70; Z) Maler und plastische Künstler, mit sasi gleicher Lebensdauer als die Philosophen; 4) Juristen und Gesetzgeber, mit dem Durch schnittsjahr 60; 5) Mediziner, mit einer Lebensdauer von 68 Jahren; 6) Theologen, mit dcm Durchschnittsalter 67; 7) Phi lologen, mit dem Durchschnittsjahr 66; d) Musiker, mit dem Durchschnittsjabr 64; 0) Rom an dicht er und Kritiker, die wun derlich gcniig unter eine Rubrik zusammcngeworsen werden, mit dem Durchschuiiigjuhr 62^; 10) Dramatische S ch rift st eil er, die, man weiß nicht warum, von der Rubrik der Poeten überhaupt ansgcschie- den sind, obwohl Shakespeare, Goethe, Schiller u. s. w. darunter stehen, mit dem Durchschnittsjahr 62; 11) Autoren, die über Natur, Religio,, geschrieben haben, mit säst gleichem Durch schnittsalter, und endlich 12) die Poeten, mit der gerinasien Lebens dauer, im Durchschnitt von 57 Jahren. Da hat man das ganze EbaoS von Lebcnsbcstrcbungcn in den regelmässigen Schein eines Svstcms geordnet! Die Bruchrechnung des Dascyns, in einem mit Händen zu fassenden Ercmpcl so bündig 't IMe intiruutic^ ot xcnb", iilu»tr«wa roN-rniuc tbc -momniic., in lbe littergrv otiaraoter In rlw tuttüt* evuxtlttitloiml pcouIiiMtien oi mea ot xe. niu*. tt. N. Uaüünn. 2 V»l. l-oiulun. 18ZZ ausgerechnet, das; man glauben sollte, cs könnte sich nun Zeder da nach richten! Kann man irgendwo eine bedeutsamere Zusammen stellung von Unsinn, Ironie und Weisheit beisammen finden, die einen finniger anrcgle, lächcrlichrr neckte und zu tieferen Betrachtun gen über das menschliche Leben hinsührie, als in diesen Tabellen? Es ließe sich ein ganzes schönes Buch schreiben über diese absur den Tabellen, über die man sich ärgert, indem man zu gleicher Zeit über sie nachdenklich wird. Den Preis des Lebens tragen die Naturforscher davon. Es liegt eine große Weisheit in dieser Nr. 1. Man findet unicr den hier versammelten Lebensaltern, welche an den nährenden Brüsten Ler alina niator zu so hohen Zähren gekommen, noch den bekannten offiziellen Termin: „wenn's hoch kommt", überschritten; man findet weit vorgerückte Achtziger, ja Neunziger, keinen Einzigen aber mit nicht wenigstens einem halben Jahrhundert. Welche Aussicht zu noch mancher guten Fcsimahlzeit für die alljährlich wandernde Versamm lung der Deutschen Naturforscher! Und doch steht man Märlvrer ihrer Wissenschaft nirgends häufiger als in der Geschichte der Natur forscher! Da steht Kepler, als Sechziger, in den Annalen des Lebens cingczeichnet, in dem Glorienschein seiner Gesetze der Bewe gung mit hungerblcicher Miene sich spiegelnd; dort CopcrnicuS, dem sieben zig kummervolle Jabcc dcr Arbeit und Entbehrung hin- rcichtcn, um ihn erkennen zu lassen, daß das jammervolle lellurische Leben sein Ccntrum nickt in sich selber habc» kann; dort seht den göttlichen Greis Galilei, mit seinen 78 erhabenen Jahren, die ihm nickt zu lang wurden, um unter de» Foltern dcr Inquisition das System seines Copernicus zu vertheidigen und zu beweisen, daß es der heiligen Schrift nicht widerstreite, bis ihm endlich sein armes, wahrheitschauendes, der undankbaren Welt müdes Auge erblindete und er den Blick in die Tiefen des inneren, geistige», ewigen Son nensystems nicdertauchtr. Mit einem Auge kam dagegen noch der gute Herschel davon, nachdem er mit seinem siebenfüßigcn Newtv- nianischen Teleskop den Uranus gesunden halte. Herschel war be kanntlich früher Musiker gewesen und hatte es schon bis zum Musik Direktor in Batb gebracht. Hier könnte nun die schwierige, aber vollkommen zur Stelle gehörige Frage sich aufwccfen lassen, ob er, wenn cr Musiker geblieben, wirklich eben so alt geworden wäre, wie er cs daraus als Naturforscher wurde, nämlich seine vollen 82 Jahre") all? Nach Mr. Madden'S Tableau wäre er als Musiker unbedenk lich unter No. 8 gekommen, und hätte sonach vielleicht nur sein Durchschnittsjahr 64 erreicht! Herschel, dcr die Maddcn'sche Phy siologie dcr Gelehrten ohne Zweifel schon damals voraus gewittert bat, war daher klug genug, lieber dcr Musik Lebewohl zu sagen, bei der er, auf Grund jenes Tableaus, nur ans kürzere Lebcnsmclodiecn rechne» dürste. Er wandte sich jenem Berus zu, wo er gewiß war, daß ihn der Mr. Madden einst unter No. 1 in dcr Lcbens-Hypolhek einschreiben würde, und so wurde cr, zum Glück für einen gleich einem jungen Autor aus Bekaiitwcrduiig harrenden Planeten, Astro nom, um statt der musikalischen Rhythmen die Rhythmik der Sphä ren zu belauschen. In dcr zweiten Hypothek sichen die Philosophen. Ich gönne den Philosophen ein langes Leben, aber, offen gestandet ick wundere mich darüber, daß sic so all werden, da cS cigeittlick ganz unpbilosopbisch ist, alt zu werden. Methusalem, bekanntlich der Acltcste unter den Altwerdcndcn, wurde gewiß nur deshalb so alt, weil er kein Philosoph war. Aber man steht, die Philosophen vcr- stcbcii doch bei ihren Abstraelioncn auch »och von ioliden körperhaf ten Lcbcnsstoffen zu zehren, lind die abgeschlossene Fertigkeit des Ge danken-Systems, wonach sic alle hinstrebcn, verhilft ihnen auch von der anderen Seite wieder nickt da;u, schneller fertig mit dcm Leben zu werden, sondern die ganze Schwere niid Umständlichkeit dcr irdi sche» Materie müssen auch sie, gleich jedem anderen unphilosophi- schcn Erdensohii, langsam und rcglemcntsmäßig abbülsen, wie eine harte Schalstucht; sie müssen, wenn sic auch in ihrem System mit dcr Idee des Lebens längst serlig sind, doch noch lange leben. Qual und Strafe geling siir das vermeffenc Schncllleben der Reflexion! Wie wenig aber die Philosophen j» der Regel selbst ihr langes Leben als ein Gul zu schätze» wisse», beweist z.'B. Zeno, der Stammvater dcr Sioiker. Beging er nicht noch in seinem hohe» achtundneun- zigsteii Jabre einen Selbstmord, und bloß aus Verzweiflung dar über, weil cr sich bei einem Fall einen kleine» Finger gebrochen ') Mr Madden bat sich in seinem Tableau in -er Angabe von Herschels Alter um zwei Jahre verrechnet