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zu unterscheiden. Eine abnorm niedrige, schmale und zurück- treteude Stirn endigt in dem so spitz auslaufenden Schädel, daß der Hut eines zehnjährigen europäischen Knaben be quem einem ausgewachsenen Indianer paßt. Die Stirn er scheint aber noch schmäler, als sie ist, dadurch, daß die Kopf haare ganz nahe an die Augenbrauen herantreten, oft nur einen stark daumenbreiten freien Zwischenraum lassen. Ko kette Mestizenmädchcn, welchen dieses unangenehme Erbtheil zugefallen ist, helfen sich hier und da durch Rasiren — sie sind dann gewöhnlich häßlicher als zuvor! Mit großen, prachtvoll tiefschwarzen Augen, gleich Ster nen, starrt das indianische Kind die ungewohnte Erscheinung des Fremden an, stundenlang, ohne einen Laut von sich zu geben, als wäre ihm die Furcht vor dem Unterdrücker schon angeboren! Beim Heranwachsen ändert sich die Physiognomie; sie wird breit und platt, die an die Azteken mahnende, wie ein Haken gebogene Nase nähert sich dem regelmäßig geformten Mund, der die prachtvollsten Zähne verbirgt — so lange ein grünlicher, zähe haftender Schleim nicht den leidenschaft lichen Cocakauer verräth. Das Weiße der Augen nimmt eine gelbliche Färbung an, aber der geschlitzte, beinahe chinesische Schnitt der unter allen Umständen tiefschwarzen Augen gicbt ihnen ein ver schleiertes Aussehen. Große Sorgfalt verwendet der In dianer auf sein langes, straffes, schwarzes Haar, welches bei den Männern zu einem Zopf, bei den Weibern in zwei Zöpfe geflochten auf dem Rücken hängt. Erst sehr spät fängt es an sich zu bleichen, und Individuen mit ganz wei ßen Haaren, welche hin und wieder angetroffen werden, sind jedenfalls von ihrem hundertjährigen Geburtstag nicht sehr weit entfernt. Trotz der oder mehr noch wegen der aufs Allernothwendigste beschränkten Lebensweise erreichen sie ein hohes Alter; viele aber erliegen dem unmäßigen, immer mehr um sich greifenden Branntweingenuß; periodisch for dert auch eine Typhusepidemie unzählbare Opfer. In den Städten wird unentgeltlich geimpft. Die Indianer haben also Gelegenheit sich vor den Pocken zu schützen, profitiren indcß nur wenig von dieser wohlthätigcu Einrichtung. Die Pocken sind daher in jenen Gegenden endemisch, richten aber lange nicht mehr die Verheerungen an wie früher, weil auch die Indianer sie besser zn kuriren gelernt haben. Gar verschieden lantcu die Urthcile, welche über diese Race abgegeben worden sind. Der eine heißt sie faul, krie chend und falsch, der andere fleißig, furchtsam und willig. So ziemlich die Mitte zwischen diesen Extremen wird zu einer richtigen Bcurtheilung führen. Schon der Umstand, daß sie in ihrer socialen Stellung in zwei Kategorien zu theilen sind, dentet an, daß sie unter verschiedenen Gesichts punkten betrachtet werden müssen. Die Comunarios, d. h. solche Familien, welche auf Ländereien angesiedelt sind, welche vom Staat beansprucht werden, zahlen eine höhere Kopf steuer als die ColouoS (Hörige), welche die Landgüter der Privatpersonen zu bewirthschaften haben. Sie sind daher auch turbulenter, gewissermaßen spröder als letztere, welche, obwohl frei und nicht gerade Sklaven, doch von ihren Her ren in einem möglichst strengen Abhängigkeitsverhältniß gehalten werden. Jede Familie bewohnt eine kleine Hütte, deren vier Wände aus Lehmziegeln errichtet sind. Nur durch eine ganz niedere, enge Thür kann sich etwas Licht hincinstehlen. Das mit Cordilleragras (iollu) bedeckte Dach hat keinen Rauch sang, und wenn in der Hütte gekocht wird, gestaltet sich der Aufenthalt darin zu einem unerträglichen. Ueberdieß wird, wer einmal sich verleiten ließ, sein Nachtlager unter einem solchen Obdach aufznschlagen, es nicht zum zweiten Mal versuchen. Lieber wird er vor der Thür unter freiem Him mel bivouakircn, so gut es geht, als von Legionen jener schnell hüpfenden Peiniger um die ganze Nachtruhe gebracht zu werden. Der in der Hütte herrschende Schmutz ist so un sagbar, wie derjenige des Wirthes selbst. Wie sie steht und geht, schläft die Familie, Jahr aus Jahr ein, in den glei chen Kleidern auf dcu gleichen Schaffellen. Bor dem Was ser haben die Indianer eine unüberwindliche Scheu. Sie waschen sich nie und sind folglich mit Läusen überdeckt. Ungenirt, am Hellen Tage, lesen sie sich gegenseitig das in den Kleidern und auf dem Kopf sich aufhaltendc Ungeziefer ab, um es sofort zu verspeisen. Eine ganz originelle aber sehr wohlthätige Einrichtung soll, um der krassen Unreinlich keit einigermaßen zu steuern, unter den Jncas bestanden haben. Für jeden Kopf war ein Läusetribut zu entrich ten, bestehend aus einem fingerlangen Schilfrohr voll dieser Parasiten. Zur Kleidung dienen ihnen die selbst gewebten und ge färbten Wollstoffe (ssrAa). Die Männer tragen eine kurze, indigoblaue Jacke, blaue oder schwarze Weste, bis an die Knie reichende anliegende Hosen aus weißer naturfarbener Schafwolle, Filzhut und einen meist dunkelfarbigen Poncho. Hier sei aber sofort bemerkt, daß besonders in Betreff der Ponchos, je nach den Cantonen und Provinzen, welchen die Indianer angehören, ein großer Unterschied in Farbe und Zeichnung herrscht. Wer viel mit diesem Volk zu thun hat, ist im Stande augenblicklich zu sagen, aus welcher Gegend der Träger dieses Kleidungsstückes stammt. Die kräftigen Waden sind unbekleidet, ebenso die Füße, welchen nur die aus Rindsleder geschnittenen Sandalen (osotus) Schutz gegen die Unebenheiten des Bodens gewähren. Bei den Weibern ist der Oberkörper von einer ihrer Büste anpassenden Jacke (subon) umschlossen; zwei bis drei übereinander angelegte Röcke (xoUsras) schützen den Unter körper ; jung haben sie dralle, plumpe Formen, älter werden sie abschreckend häßlich. Auch die Weiber haben Sandalen, den Kopf bedecken sie sich mit einem bizarren hohen Hut, der mit schwarzem Tuch oder Baumwollsammet überzogen ist und einige Aehn- lichkeit mit der Ulanen-Czapka hat. Dem Poncho der Männer entspricht das Pnllo der Wei ber, nur daß, statt wie beim Poncho den Kopf durch die in der Mitte befindliche Ocffnung zu stecken und die Decken von allen Seiten über die Schultern, Brnst und Rücken herabhängen zu lassen, das Pnllo über den Rücken und Schultern gelegt auf der Brust mit dem Topo (silberne oder messingene in Löffelform auslaufende Nadel) zusammcn- geheftet wird. Was von silberner Scheidemünze in Realen, Medios und Cuartillos in ihre Hände fällt, bleibt der Circulatton entzogen und schmückt ihre buntfarbigen Geldbeutel, auf welche ordentliche Münzsammlungen ausgenäht sind. Män ner sowohl wie Weiber sind von Kindheit ans an handbreite Binden aus starkem Wollstoff (kujus) gewöhnt, welche, drei- oder viermal über der Hüfte geschlungen, dem Körper, ohne einen nachthciligcn Druck auszuübcn, einen fester» Halt geben. Es ist sicher, daß dieser Gebrauch sie befähigt, erstaun lich große Distanzen mit Leichtigkeit zurückzulcgcn. Bon ihrer Schnelligkeit und Ausdauer im Laufen können ganz bemerkenswerthe Beispiele angeführt werden. Die Postillone, welche im Jnlande die Reisenden von einer Station zur andern begleiten, halten mit einem Maulthicr, das die lan gen sechs spanischen Leguas in drei Stunden znrücklegt, gleichen Schritt. Die Conriere, welche früher die Post vom Hochlande nach der Küste (85 LcguaS) zn befördern hatten,