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74 Ch. Nusser: Die Aymara - Race. gedeihenden Sträuchen riß. In der Arpascher Glashütte trennte ich mich ungern von meinem treuen Gefährten, des sen Stiefel den Dienst für weitere Bergtouren absolut ver sagten; während er, gefolgt von Giorgiu und seinem Brau nen, thalwärts wanderte, schickte ich mich in Gesellschaft eines deutschen Glasbrenners zu neuen Exkursionen an. Die Aymara-Race. Von CH. Nüsser in Basel. I. Von den verschiedenen indianischen Stämmen, welche die spanischen Eroberer bei ihrem Eintritt in Peru vorfan den, sind es vornehmlich zwei, die Quichua- und Aymara- Indianer, welche sich Dank ihrer großen numerischen Stärke einem gänzlichen Untergang entziehen konnten. Zwar gicbt keiner der spärlichen, sich ost widersprechenden Berichte, welche bis auf unsere Zeiten gekommen sind, glaubwürdigen Ausschluß über die eigentliche Scelenzahl des Jnca-Reichcs, allein es darf angenommen werden, daß sie eine ungeheure gewesen sein muß. Schon die meilenweit sich erstreckenden Spuren uralter Wasserleitungen und Ruinen einstiger Ansiedelungen sind sprechende Zeugen, daß unter der Jnca-Dynastie das Hoch plateau der Anden, von Quito bis Potosi und noch weiter südlich bis Tupiza, eine Bevölkerung von vielen Millionen zu ernähren hatte. Das konnte es auch bei der Genügsam keit jener Race, bei der tiefdurchdachten gesellschaftlichen Ordnung, welche jedem Individuum seine Rolle zuwies, wo aber auch der Staat zu gleicher Zeit sorgfältig über die Bedürfnisse des Einzelnen wachte. Diese Achtung vor den staatlichen Einrichtungen, welche sich selbst jetzt noch, dem seit Jahrzehnten andauernden republikanischen Zersetzungs- proccß zum Trotz, in der Bedeutung ausspricht, die im ärm lichsten Jndianerdorfe der mit Silber beschlagenen vara (Stock) des eingeborenen Alcalden zu Theil wird, erfreute sich von Seiten der Spanier nicht der gebührenden Würdi gung. Und doch, welch' andere Resultate hätte die spanische Regierung aus dem Erwerb jenes Erdtheils erzielt, wenn sie dem nnr zu oft unverantwortlichen Treiben ihrer Beam ten und Günstlinge mit energischer Hand Einhalt zu gebie ten verstanden hätte! Es darf hier wohl betont werden: sie suchte die ersten Fehler durch nachträgliche, zum Schutz der Eingeborenen erlassene Gesetze wieder vergessen zu machen, vermochte aber mit ihren guten Absichten nicht mehr durch zudringen. Die zügellosen Abenteurer, welche sich zuerst in die er oberten Provinzen theilten, brachten den Landesbewohnern neue Krankheiten, neue, ihrer bisherigen Lebensweise wider strebende Lasten und Einrichtungen mit. Wie wilde Thiere, denen ein Menschenleben gleich Null ist, wüthete ein Theil derselben unter den hiilflosen Eingeborenen. Was die letz teren im Laufe der Zeit aber mehr als alles andere aufrieb, war der Zwang zur Bergwerksarbeit, zu den Obrajes (Fa briken für Wollstoffweberci rc.) und die damit verbundene unmenschliche Behandlung. Die Folge war, daß diese Stämme, welche gegenwärtig noch ihre alten Wohnsitze auf der Hochebene der Anden ein- nehmen, auf ein paar Millionen Seelen zusammengeschmol zen sind. Die Aymaras hatten sich zwischen die viel zahlreicheren, ihnen auch an Intelligenz weit überlegenen Qnichuas hin- eingeschobcn; zu welcher Zeit aber und aus welchen Ursachen dieses Eindringen ftattfand, ist ein Umstand, der nie ge nügend aufgeklärt werden wird. Das Sprachgebiet der Aymaras ist ziemlich scharf ab- gegrcnzt. Es erstreckt sich auf eine Länge von circa hundert spanischen Leguas von Puno am Nordende des Titicaca- Secs bis nach der Minenstadt Oruro, nimmt die ganze Breite des Gebirgsrückens von der westlichen zur östlichen Cordillera ein und steigt sogar noch in einige der heißen, vom Ostabhang auslaufenden Thäler, die Dungas, nieder. Hier begegnet es aber bald wieder dem Quichua-Jdiom, durch welches es von allen Seiten eingcschlossen ist; nur am Westabhang nicht, an welchem die wenigen, früher cxi- stirenden Ureinwohner durch die Mestizen verdrängt worden sind; denn eine große Bevölkerung konnten die zwischen der sandigen, steinigen Küste auftretenden fruchtbaren Einschnitte überhaupt nicht beherbergen. Die Aymaras nehmen also noch genau den gleichen Platz ein, den sie zur Zeit der Ankunft der Spanier inne hatten. Am dichtesten sind sie am Ufer des Titicaca in der bolivianischen Provinz Omasuyos gruppirt. Glücklicher als ihre nordamerikanischcn Brüder, bleibt ihnen deren trauri ges Schicksal erspart, denn sie sind Ackerbauer, hängen an der Scholle und würden unter vernünftigen, sittlichenden Regierungen wieder ganz gut gedeihen, ein noch nützlicheres Element der dortigen Gesellschaft sein, als sie es schon sind. In ihrer physischen Beschaffenheit bieten die Aymaras das Bild eines kräftigen Menschenschlages dar. Sie sind durch gehends von Mittelgröße, mehr zu gebückter als aufrechter Haltung geneigt. Es ist dies von der von Jugend auf angenommenen Gewohnheit, Lasten auf dem Rücken zu tra gen, abzuleiten. Der atacko, ein über die Schulter und unter dem entgegengesetzten Arm durchgehendes zusammen gefaltetes Tuch, dessen Enden auf der Brust geknüpft wer den, und in welchem sie Lebensmittel und andere Gegen stände mit sich sichren, fehlt bei beiden Geschlechtern niemals. Die tagelang gebückte Stellung beim Feldbau, welcher noch mit den denkbar primitivsten Werkzeugen und Pflügen be trieben wird, die Sitte, die Kinder, welche nicht selten bis zum dritten Jahre gestillt werden, fortwährend auf dem Rucken zu tragen, muß diese Anlage zu einem gewölbten Rücken im Gefolge haben. Beine und Schenkel sind kurz, so daß die Körperhälfte nicht wie bei der weißen Nace dem Schooßbcin entspricht, sondern weiter oben zu suchen ist. Je kälter und dem Winde ausgesetzter die Gegend ist, in welcher sich der Indianer aufhält, desto gebräunter ist seine Hautfarbe. Vom dunkeln Knpferton der Hochlandsbewoh ner geht sie beim Indianer der Dungas in Gelb über, nicht nur der anhaltenden Transpiration wegen, sondern auch in Folge der schädlichen Dünste, welche der Körper in der damit gesättigten heißen Atmosphäre aufzusaugen hat. Es gehört eine lange Ucbung dazu, die bartlosen, alle wie in einer Form gegossenen Gesichtszüge der Indianer