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Dr. F. W. Paul Lehmann: Wanderungen in den Süd-Karpathen. 73 Blicke. Zur Rechten und zur Linken erhoben sich düstere Fichtcnwände, über ihnen ragten aus dem Krummholz her vor einige spitze Felsenzacken, und im Hintergründe wurden über dem Wasserfalle einige Formen der starren Hochgebirgs welt sichtbar. Ich gebe dem Falle wegen der Großartigkeit des Sturzes und der Schönheit der Umgebung vor allen mir bekannt gewordenen, gleichartigen Bildungen dieses Gebirges den Vorzug. Den mächtigen Wasserfall, welchen Samec in fei ner kleinen Schrift die „Alpen des Altlandes" H im Süden des Ncgoi anführt, habe ich nicht gesehen. Der eben ge nannte Verfasser führt von allen Wasserfällen nur diesen an nnd schreibt darüber: „Endlich ist ein Wasserfall auf südlicher Seite des Negoi zu erwähnen. Ein mächtiger Bach (Popolog?) stürzt nämlich da plötzlich 16 Klafter (30 m) tief auf einen nur durch diesen Bach seit jeher all- mälig ausgestemmten Felsabsatz, wo der Strahl sich in Tansende theilt, die wieder auf analoge Felsen 12 Klafter (fast 23 m) tief herabstürzen. Offenbar eine erhabene Er scheinung, aber auch ein dumpfer Donner, gegen den ein Gewehrschuß vollkommen, verschwindet." Neben dem Wildbache zur Glashütte hinabzugelangen, war nicht möglich, wir mußten wieder längs der Berglehnen auf- und abwandern und klettern und kamen unter jener Wäldbrandstätte hin, in die uns vor zwei Tagen unsere Vertrauensseligkeit in Giorgiu's Gebirgskenntniß hinein geführt hatte, in den Buchenwald und durch ihn schnell hinab znr Hütte, in deren Wirthshäuschen wir hungrig, durstig und ruhebedürftig anlaugten. Mit der Ruhe sollte es frei lich fürs Erste nichts werden, da Giorgiu plötzlich ein höchst eigenthümliches Abenteuer inscenirte. Da er wegen seiner Lügenhaftigkeit und der schlechten Behandlung des mit be- wundernswerthem Geschicke kletternden Pferdes mehrmals Verweise erhalten hatte, beschloß er heimzukehren. „Es sei kein Halfter und kein Futter für das Pferd vorhanden!" Als der Wirth das Nöthige beschafft hatte, erklärte Giorgiu plötzlich, das Pferd gehöre seinem Bruder, der desselben dringend zur Arbeit bedürfe. Da ich mich für seine Dekla mationen taub erwies und ohne ein Wort in das Häuschen ging, wandte er sich an die vor demselben versammelten Glasarbeiter und klagte diesen mit erhobener Stimme und lebhaften Geberden seine Noth. Die Arbeiter, meist Deutsch- Böhmen, hatten während der Sonntagsruhe den geistigen Getränken zum Theil mehr als genügend zugesprochen und erwärmten sich lebhaft für das Loos des Unglücklichen. Es entstand vor dem Wirthshause ein solcher Skandal, daß ich es rathfam fand, mich meines Revolvers zu versichern und hinauszutreten. „Er muß ihm zahlen, er muß ihn gehen lassen!" riefen die Glasarbeiter; „der Rumäne lügt ja!" versicherte halb ängstlich der Wirth. Auf meine Frage: „Wer will etwas von mir?" erhielt ich nicht sogleich eine Antwort und benutzte den Moment der Ruhe, um den Leu ten zu sagen: „Glaubt Ihr, daß dem Mann Unrecht ge schieht, so sagt ihm doch, er soll mich verklagen, und holt die Ortsbehörde. Es wird ja nicht schwer sein, einem einzeln I) Das Büchlein erschien 1865 in Hermannstadt und ge währt manche Belehrung. Der wackere Verfasser, ein Förster, ist selbst im Winter einmal auf den mehrfach besuchten Hoch gipfeln gewesen. Periodenbau und sprachlicher Ausdruck machen das Schriftchen oft unlesbar; vielfach vermißt man, was man bei dem offenen Auge und warmen Interesse des Verfassers be dauern muß, die nöthige naturwissenschaftliche Bildung. Ein Abschnitt handelt vom Einfluß des Mondes auf das Wetter, ein anderer, der sich meiner sachlichen Kritik entzieht, über Forst taxationsmethoden. Wo ich dem Verfasser eine Notiz verdanke, werde ich selbstverständlich auf ihn verweisen. Globus Xül. Nr. 5. im fremden Lande reisenden Manne Raison beizubringen." Ein Arbeiter rief: „Wir glauben ihm ja gar nicht, wie ist denn die Sache?" Ich antwortete: „Glaubt, was Ihr wollt, ich stehe nur dem Rede, der ein Recht hat, mich zu fragen." Giorgin schien zu empfinden, daß seine Chancen sich verschlechterten, er erklärte, er werde den „Richter" oder Schulzen von Kl. Kerz holen (!), warf sich wüthend aufs Pferd und sprengte davon — um nach fünf Minuten an dern Sinnes zurückzukehren mit der Frage, ob ich einen Stellvertreter annehmen werde. Obwohl es nicht unwahr scheinlich war, daß nach erfolgter Zahlung der Stellvertreter mit Giorgiu verschwand, erklärte ich mich zur Beruhigung der Glasarbeiter einverstanden, denn auf diese wirkte der Vorfall als plötzliche Unterbrechung der ermüdenden Einför migkeit ihres abgeschiedenen Lebens noch immer sehr erregend. Nach fünf Minuten hatte Giorgiu einen angetrunkenen Bauern aufgegabelt und ihm, wie ich später erfuhr, aus- einandergesctzt, mit dem preußischen Ingenieur, der täglich 40 Gulden von seiner Regierung bekäme, sei ein glänzendes Geschäft zu machen. Daß der Bauer den fünffachen Be trag der üblichen Taxe forderte, ging selbst Giorgiu's enra- girtesten Sachwaltern über den Spaß. Ich ließ dem be trunkenen Rumänen bedeuten, er solle mir mit seinen Lieb kosungen und Ergebenheitsbezeugungen drei Schritte vom Leibe bleiben nnd folgte der Einladung des Wirthes, mit meinem jungen Begleiter zum Abendessen zu kommen. Wir hatten uns gerade zu Tische gesetzt und freuten uns an dem lang entbehrten Anblicke einer säubern Decke und der glitzern den Teller, als ich mich plötzlich bei der Schulter gefaßt fühlte uud dicht vor mir das widerwärtige fchnapsduftcnde Gesicht des angetrunkenen Bauern erblickte. Wie elektrisirt hieb ich mit der Faust auf den Tisch und schnellte mit einem „äraon" in die Höhe. Der Bauer, dem meine Gesten nicht vertrauenerweckend erscheinen mochten, stürzte zur Thür hin aus und lief davon. Von draußen herein schallte es unter Gelächter: „Der Herr versteht's mit die Rumaner! Das seind Schweinhnnde!" Zwei Arbeiter erschienen im Zim mer und führten, während wir schweigend unsern Hunger stillten, diese Ansichten des Weitern aus, bis der Wirth sie bewog, uns wenigstens in Ruhe essen zu lassen. Giorgiu erbat und erhielt „einen Wein", die Gemüther hatten sich beruhigt und bald konnten auch wir uns der wohlverdienten Ruhe hiugebcu. Am nächsten Morgen wanderten wir unter Führung unseres Wirthes bei herrlichem Wetter nach der Arpaschcr Glashütte. Anfänglich gingen wir am rechten Ufer des Kerzerbaches im Schatten eines prächtigen Buchenwaldes dahin, dann wanderten wir ostwärts durch einen vom Weide betrieb arg mitgenommenen Niederwald, in welchem der Fußsteig unter dichtem Gebüsch und wucherndem Gras oft völlig verschwand. Zur Rechten erhoben sich von Buchen wald bedeckte Berglehnen, im Hintergründe des Arpaschielu- Thales, dessen rauschenden Bach wir überschritten, tauchten zackige, kahle Bergformen auf und verschwanden dann hinter der breit vorspringenden, rasenbedecktcn Bergnase der Albola (1941m), unter welcher der gleichnamige Bach entspringt, der die nördliche Hälfte dieses Ausläufers in zwei parallele Rücken gethcilt hat. Giorgiu verlor von dem schlecht gesat telten und bepackten Pferde zweimal die ganze Bagage, zer brach dabei aber glücklicher Weise nur seine eigene Schnaps flasche. Da er immer wieder auf das für den schwierigen Pfad hinlänglich bepackte Thier kletterte, faßte ich ihn schließ lich zu eindringlicherer Belehrung beim Bein und warf ihn ins Gras. Das half! Er fah mich zuerst wüthend an, war aber bald wieder ganz Wohlgemuth nnd delektirte sich an unreifen Haselnüssen, die er in Menge von den kräftig 10