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72 Dr. F. W. Paul Lehmann: Wanderungen in den Süd-Karpathen. und der Albota hinweg, so daß ein zackiger Kamm hinter dem andern emporragt. Wir sehen von einer ermüdenden Aufzählung der zur Rechten und Linken nach einander auf ragenden Ausläufer ab und fassen nur die hervorragenden Partien des schauerlich wilden Panoramas ins Auge! Majestätisch ragt im Südwesten mit weißen Schnecflecken geschmückt der große Negoi aus dem Kamme hervor und etwas nach Rumänien zurückspringend sein ebenbürtiger, gleichnami ger Bruder. Der die zwischenliegenden Kämme des Piscu Builea und Domma weit überragende Negoi-Ausläufer er scheint vom Buteanu aus gesehen noch imposanter, als von der Serbota aus. Bier beträchtliche Schneefelder lagen über der Waldgrenze in den von Felswänden umrahmten Vertiefungen seines Ostabhanges. Jenseit des Picioru Negoi grüßt als alter Bekannter der durch seine stäche, grünbewachsene Kuppe kenntliche Scara-Gipfel herüber und hinter ihm wie der taucht die drcigipstige Csorta empor. In seinem Total eindruck war das im Südosten entrollte Bild noch gewaltiger, als das eben geschilderte. Hier zogen graue Wolken die Thäler hinauf gegen den Kamm und erschwerten auf dem noch unbekannten Gebiete die Orientirung, da immer nur der eine oder der andere der Hochgipfel in nackter Wildheit aus dem wallenden Gewölle hervortrat. Wir stiegen auf den Thalboden unter der Wand des Vunatore zurück und kletterten von hier über steile Schutt halden zu einer Einsenkung des Kammes, von der wir nach Süden in einen kleinen Gebirgsteich, den Jäsere Keprerecze, hinabblickten, dessen Spiegel nicht unbeträchtlich höher als der des Builea gelegen ist. Aus dem Gebirgskamme erhoben sich vor der Paltina (2393 in) noch zwei Gipfel, deren Namen ich nicht nennen kann. Nach Südosten senkten sich die Schluchten znm Capriratiathale^), welches zum Quellgebiete des an Kurtea d'Argis und Pitesti vorüberstießenden Argis gehört. Auf dem Gebirgsausläufer zur Linken des Caprira- tiathales erhob sich der Munte Rijos und seitwärts hinter ihm ein etwas kleinerer ganz ähnlich geformter Gipfel, beide mit Steinhaufen auf den Spitzen. Der im S.-O. sich er hebende Munte Rijos ließ uns den Nordabhang sehen und machte den Eindruck einer dem Rücken aufgesetzten, flachen, stark von der Verwitterung angegriffenen Riesenppramide. Unter ihm traten an den Abhängen zum Capriratiathale vier mit Schutt und Schnee gefüllte Einsenkungen hervor.^ Im Allgemeinen ist der Anblick der langen, grasbcdeckten Rücken monoton und öde. Wir stiegen höher gegen den Vunatore empor längs eines nach Siebenbürgen als schroffe Wand, nach Rumänien als steiler Grashang sich absenken den Grates, der in einer gerade südlich des Vunatore gelege nen Spitze gipfelte. Noch trennte uns vom Hochgipfel eine scharf in einen Grat eingeschnittene Scharte, von der zwei wilde Kamine hinabführten in die Hochthäler zn beiden Seiten des etwas aus dem Kamme vorspringenden Berges. Wir betrachteten eben prüfend die nicht gerade einladende Passage, als wir zu unserm Erstaunen auf der höchsten Spitze einen singenden Hirten bemerkten, der, sowie er unser ansichtig ward, gewandt und leicht zu uns herüberkletterte und ver wundert meine Karten und Instrumente betrachtete. Zu erfragen über die uns unbekannten Knppen und Thäler des Südabhanges war von dem muntern Csobanen nicht viel, denn ihm war alles „Munte« und „Verfu«, d. h. „Berg« und „Hochgipfel«, und mein Kompaß und Meßknecht inter essanter, als die ganze Gebirgswelt. Die Kletterei nach dem Vunatore hinüber erinnerte mich lebhaft an die vom kleinen zum großen Glöckner. Waren st Augenscheinlich derselbe Name wie Keprerecze; Capriratia schreibt die Gen.-St.-Karte. die Dimensionen hier kleiner und fehlte der trügliche Schnee, so fehlten dafür auch Seile, Steigeisen und die vorzüglichen Kaiser Führer! Eine dctaillirte Schilderung des sich uns vom Gipfel des Vunatore darbietenden Panoramas würde den Leser bei den nothwendig werdenden Wiederholungen ermüden. Die nähere Umgebung ist bereits hinreichend charakterisirt, die Ferne zeigte im Norden und Süden mit geringen und, wie mich dünkt, vortheilhaften Vorschiebungen die von dem 6 Kin entfernten Negoi genossene Aussicht. Rumäniens Ebene lag jenseit der weit in dasselbe verlaufenden Höhenzüge in einem leichten Dunstschleier, der nur undeutlich in weiter Ferne einen Kirchthurm (Pitesti?) durchschimmern ließ. Die Generalstabskarte, die sich in allen zu Siebenbürgen gehörigen Gebieten vortrefflich bewährt hatte, zeigt auf den nach Rumänien hinüber greifenden Theilen einige kleine Ungenauigkeiten. So fehlt der Gemsenteich „Jäsere Kepre recze« auf der Karte; der Rücken, den sie als vom Vuna tore ausgehend zum Munte Rijos zeichnet, zweigt sich erst etwas weiter östlich vom Kamme ab. Aus dem Arpaschielu würde man, wenn man nicht den Hals bei der Kletterei bräche, Uber eine scharf einschneidende Scharte direkt hinüber gelangen in die obersten Schluchten des Capriratiathales und nicht nöthig haben, erst das südlich des Vertopelu (2459 in) einschneidende Thal zu betreten, welches die Generalstabskarte zu weit nach Nyrdwesten verlängert. Auch in Bezug auf die Terrainschraffirung ließe sich Einiges sa gen. So sieht Munte Lepisita auf der Generalstabskarte aus wie eine schmale, flachwellige Hochebene, die plötzlich mit Steilwänden in die sie umschließenden Thalschluchten abfällt. Diese Zeichnung paßt nur für den nördlichsten Theil des Rückens unmittelbar hinter der Paltina, wo aus einer kleinen Hochfläche ein einzeln stehender Felsenpfeiler aufragt; weiterhin verläuft Munte Lepisita als hochgewölbtcr Rücken, dessen Abhänge, wie alle anderen, zwar steil, aber keineswegs durchweg schroff und felsig sind. Im Ganzen scheint dieser Theil der Karte nur eine Vergrößerung der im Maßstabe 1:288 000 von dem österreichischen Gencralstabe herausgegebcnen Karte der Walachei in sechs Blättern zu sein. Natürlich führe ich diese meine Beobachtungen nicht an, um an dem schönen Kartenwerke zu mäkeln. Die Aufnahme dieses unwegsamen Hochgebirges ist bei der Schwierigkeit der Verpflegung und den Unbilden der Witterung wahrlich keine Kleinigkeit. Niemand kann mehr Ursache haben, als ich, den Generalstäblern dafür dankbar zu sein, daß sie ihre Darstellung nicht wie gewöhnlich hart an der Landesgrcnze abbrachen, sondern auch das anstoßende rumänische Gebiet mit berücksichtigten *). Wohlbehalten kehrten wir zu unserm am Morgen ver lassenen Ausgangspunkte zurück, hießen Giorgiu das Pferd beladen und stiegen an den rechtsseitigen Gehängen hin ziem lich steil hinab, um jene Thalstufe zn überwinden, Uber die gleich hinter der Stina der Bach rauschend und tosend in Stromschnellen und Fällen aus der Region des Knieholzes in den Fichtenwald hinabstürzt. Wir erreichten einen klei nen Thalboden, auf dem eine verlassene, halbverfallene Stina stand. Hier machten wir zwischen üppig wucherndem rumsx unter einem mächtigen Ahorn Halt, um noch einmal in Muße unsere Augen an dem Thale zu weiden. Vor allem fesselte der prächtige Wasserfall, dessen schäumende Fluth zwischen dem Grün buschiger Erlen niederwgllte, unsere st Das ist auf der Grenze gegen die Walachei mit Terrain- fchraffirung, Angabe der Waldgrenze, aber ohne Einzeichnung von äquidistanten Horizontalen geschehen. Die Sektionen, welche in die Moldau übergreifen, brechen die Darstellung an der Landesgrenze ab.