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Dr. F. W. Pa'ul Lehmann: Wanderungen in den Süd-Karpathen. 71 Wanderungen in den Süd-Karpathen. Von Dr. F. W. Paul Lehmann. IV. Buteanu und Bunatore. „Ich athmete lang und athmete tief und begrüßte das himmlische Licht", als ich am Morgen des 25. Juli aus der Schauerhöhle unter dem Builea-See, die auf der General stabskarte euphemistisch als eine Stina verzeichnet ist, her vorkroch. Auf dem harten, feuchten Felsen waren die Glie der steif und kalt geworden, da das spärliche, in einigen Die Süd - Karpathen zwischen Negoi und Coltia Visteamare. Knieholzstümpfen schwälende Feuer mehr für Rauch als für Wärme gesorgt hatte. Indessen machte die Klarheit, in der die Höhen erglänzten, gar bald die Nacht, in der „alle Ge- müthlichkeit aufgehört hatte", vergessen und gemahnte, wie es in einem rumänischen Bolksliede heißt: Die Gebirge zu ersteigen, Zu ersehn die ganze Welt, Auch zu sehn der Donau Fluth, Fein von Nebeldunst umruht. Nach Einnahme einer erwärmenden Tasse Thee und eines frugalen Morgenimbisses fühlten mein junger Freund und ich uns völlig frisch und reiselustig und wanderten mit Zurücklassung des lügenhaften Ignoranten Giorgiu unter unserer eigenen Führung aufs Neue das Hochthal hinauf. Wir ließen den Builea-See zu unserer Rechten liegen und gelangten nach Absolvirung eines tüchtigen Kletterstückchens auf den obersten Thalboden unmittelbar unter dem Vuna- tore. Wilder und kühner, als am Builea-See, thürmen sich die Felsen. Mächtige Trümmcrhalden und dicke Schnec- lager umrahmen einen kleinen, flachen Gebirgsteich, lieber die 500 ra zum zackigen Vunatorc emporstrebenden Felsen hinauf zu klimmen, hätte selbst ein Alpenfex bei dem besten Willen, etwas recht Halsbrecherisches zu unternehmen, nicht vermocht, da manche Partien der grotesken Wand senkrecht abstürzten. Wir konnten entweder über Schutthalden zu einer Scharte des Gebirgskammes emporsteigen, oder muß ten über steile Grashänge zunächst eine Einsattelung zwischen dem Buteanu (2353 m) und dem Vnnatore (2510 m) zu erreichen suchen. Wir wählten den zweiten Weg und stie gen auf den Klettersteigen der Bergschafe, nur einmal eine bedenkliche Stelle passirend, empor zu der rascnbedecktcu Einsattelung, von der wir in das schutterfüllte Hochthal des Arpaschielu hinabblickten. An einem hellschimmernd aus dem Kamme hervortretenden Kalkfelsen vorüber schritten wir auf schmaler Bahn ein Stück auf den Vunatorc zu. Immer schroffer senkten sich nach beiden Seiten die Abhänge, immer zackiger und schartiger ward der Grat; nach dem Arpaschielu fiel eine majestätisch vorspringende Felsenwand senkrecht ab. Aus diesem Thal herauf kam über die schrof fen Gehänge eine flüchtige Gemse, die ganz in unserer Nähe den Kamm erreichte und auf schwindlichtem Pfade in küh nen Sprüngen dem Vunatorc zueilte. Mir schien es ge- rathener, ihrem Beispiele nicht zu folgen. Ich wandte mich rückwärts gegen den Buteanu, dessen Gipfel ich ohne beson dere Schwierigkeit erreichte. Der Buteanu ist der höchste von allen auf den nörd lichen Ausläufern sich erhebenden Gipfeln und verbindet die Vorzüge eines Gipfels vom ersten Range mit denjenigen, welche vorgelagerte Höhen für die Umschau und den Einblick in den Bau einer Kette oder eines Massivs bieten. Ucber steile Abhänge blickt man vom Kulminationspunkte 700 bis 1000 m hinab in die tief einschneidenden, schnell nach Nor den fallenden Thäler, die zu beiden Seiten des im Süden aufragenden Vunatorc als groteske Amphitheater in den Kamm Hineingreifen. Wilder, zackiger und schroffer sind die Formen im Hintergründe des Arpaschielu, aber sie ent behren dafür des Reizes, welchen den Umgebungen des Lam Builea der Kontrast des grünschimmernden, glatten See spiegels verleiht. Die Kugel aus einem preußischen Jnfan- teriegewehre würde über die tiefen Thalschluchten weg gegen die Abhänge der Albota und des Piscu Builea fliegen, deren stattliche Kämme man in ihrer ganzen Länge überblickt. Von keinem im Hauptkamme gelegenen Punkte übersieht man die stattliche Reihe der durchweg mit gewaltigen Präcipissen nach Norden fallenden Gipfel, die Sättel und Scharten so gnt, wie vom Buteanu. Wegen seiner für den ganzen Nord abhang dominirenden Höhe schweift der Blick nach Westen und Osten über die benachbarten Kämme des Piscu Builea