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46 E. Metzger: Tiger auf Java. über die leicht gekräuselten Wellen des Meeres zu werfen, so ließ ich mich doch hierdurch nicht anregen; ich war zu müde, diese träumerische Stille lud zum Schlafen ein und die malerische Gruppe, die ich vor mir hatte: um ein Feuer der Wedhana mit seinen Häuptlingen, um andere Feuer meine Träger und Arbeiter, alle mit der den Sundancsen eigenthümlichen Lebhaftigkeit sprechend und lachend, dazu das Stampfen und Wichern der Pferde in den an den Zaun grenzenden Ställen, das Krachen der Bambu, in denen der Reis gekocht wurde, waren mir zu bekannt, um noch ein besonderes Interesse zu erregen. Das Mondlicht wetteiferte mit den Flammen der mächtigen Holzfeuer, die angelegt waren, um die Tiger auf genügenden Abstand zn halten, beide warfen ein scharfes, grelles Licht auf die dun keln, nackten Leiber der Arbeiter und entlockten dem Schmucke und den Waffen der Häuptlinge blitzende Strahlen. Doch ich war, wie gesagt, zn müde und zog mich zurück. Kaum daß ich noch im Stande war, dem frugalen Abendessen einige Ehre zu erweisen; der dnmpfe Lärm in meiner Umgebung wirkte einschläfernd und bald lag ich auf meinem Feldbett zwischen Wachen und Träumen. Auf einmal fuhr ich auf, ich meinte einen fernen Schuß ge hört zu haben. Schnell ging ich in den Vorbau der Hütte, wo meine persönlichen Diener schlafen sollten, Niemand war zu sehen; am Zaune bemerkte ich Gruppen, die sich um die Häuptlinge, welche mit den Waffen in der Hand dort standen, gebildet hatten; die Wächter der Pferde waren zu ihren Thieren getreten, ihre Messer hatten sie gezogen, die Klingen blitzten im Mondlicht. Mit vieler Mühe erfuhr ich, daß ein Tiger um den Zaun geschlichen war, und daß man blind auf ihn geschos sen hatte, um ihn zu versagen. Bald aber kam er zurück und schlich vorsichtig an den Ställen entlang; vergebens suchte ich den Häuptling, dem das Gewehr gehörte, zn be wegen, scharf zu schießen, oder mich schießen zu lassen. Die einzige Antwort war: mein Herr, der Tiger hat uns nichts Böses gethan, ich wage es nicht ihm Böses zu thun; kommt er hier durch den Zaun, so werden wir Dich und uns schützen. Ich muß bekennen, wiewohl dieser Schlußsatz recht tröst lich klang, war mir doch gar nicht recht wohl dabei, denn die ungeheure Unverschämtheit des Tigers, der trotz der fünfzig bis sechzig Menschen, die anwesend waren und trotz des blinden Schusses in der Nähe des Zaunes lauern blieb, prophezeite nicht viel Gutes. Gleichwohl wagte ich es nicht aus kategorische Weise zu veranlassen, daß ihm eine gute Kugel zwischen die Rippen gejagt wurde. Man wird mir dies vielleicht verdenken, aber in mei nem Umgang mit den Eingeborenen habe ich immer ihren Glauben (resp. Aberglauben) und ihre Sitten, soweit als nur irgend mit meinen Arbeiten verträglich war, zu schonen gesucht, und namentlich nie meinem persönlichen Gefühl auf Kosten des ihrigen nachgegeben. Nachdem ich also durch einige trockene Bemerkungen die Häuptlinge vergebens zu überzeugen gesucht hatte, daß es doch gescheiter sei, diesem unverschämten Thiere — unver schämt nämlich, weil es sich erlaube meine, eines Stern guckers, Nachtruhe zu stören — etwas Böses zuzufügen, als abznwarten, bis es uns etwas Böses zugcfügt habe, wünschte ich ihnen wohl zu schlafen und bat nur noch einige blinde Schüsse abzufeuern, um den „Großvater" zum Rückzug zu bewegen. Das geschah denn auch und kein Tiger ließ sich mehr dort sehen, die Eingeborenen aber hatten Stoff zu mancher Erzählung gefunden, wobei sie ihre Muthmaßungen Uber die (frühere) Persönlichkeit des Tigers austanschten, der ganz freundlich gekommen sei, mich bei meiner Arbeit zu beob achten, und als er gesehen habe, daß ich nicht arbeite, und von Flintenschüssen gestört, ärgerlich weggegangen und nicht wicdergekommen sei. Weßhalb nun der Tiger nicht mehr Menschen und Haus- thiere frißt? Ein guter Wildschweinsbraten soll ihm lieber sein. Außerdem aber frißt er auch Hirsche, Rehe, wilde Hunde, Seeschildkröten, die ihm aber zuweilen übel mitspie len sollen. Von dem Reichthum des Thierreiches kann sich nur der eine Vorstellung machen, der dasselbe an einer be sonders günstigen Stelle beobachtet hat. Obwohl die Ge genden, die Dr. Kuntze besucht hat, theilweisc recht wildreich sind, ist doch die Gelegenheit nicht besonders günstig, um das Wild in Rudeln zu sehen, d. h. in einer Anzahl, die selbst für den erfahrenen Jäger etwas Ucberraschcndes hat. Weiter östlich, auch am Strande des indischen Oceans, giebt es solche Stellen, wo man in der Dämmerung Hunderte von wilden Schweinen sich unter die zahmen Büffel auf der Weide mengen sieht, die sich hierdurch nicht im Geringsten stören lassen. Daß nun der Tiger vorkommenden Falles sich lieber ein Schwein holt, als daß er sich der Gefahr aussctzt, mit den spitzen Hörnern eines kräftigen Büffels Bekanntschaft zu machen, ist ziemlich begreiflich. Außerdem ist der Tiger nach Allem, was ich von ihm gehört habe, ein feiges Thier. Abgesehen davon, daß ihm in allen Jagdgcschichtcn Blut durst und Feigheit vorgeworfen werden und daß doch sol chen Geschichten meist ein charakteristischer Zug zu Grunde liegt, welcher der Natur entlehnt ist, so ist mir doch ein Fall bekannt — ich habe den Mann und die schrecklichen Wunden, die ihm der Tiger bcigebracht hatte, selbst gese hen — wo der Tiger einem Menschen, den er von hinten besprungen, die Tatzen in die Schulter, die Zähne in den Nacken eiugeschlagen hatte, ihn aber wieder los ließ, als der Mann, wahrscheinlich unwillkürlich, krampfhaft mit den Händen nach ihm stieß (wobei er vielleicht das Auge traf). Allgemein wird behauptet, daß der Tiger nur einmal nach seinem Opfer springt, wenn er aber den Sprung verfehlt, ihn nicht wiederholt. Diejenigen Eingeborenen, welche wirkliche Jäger sind, was allerdings nicht häufig vorkommt, greifen den Tiger am liebsten Morgens ganz früh in seinem Lager an; ein wohlgezieltcr Schuß eröffnet und beendet gewöhnlich den Streit, ist er nicht tödtlich getroffen, so sucht der Tiger zn fliehen; nur wenn er keinen Ausweg findet, stürzt er sich aus seinen Feind. Andere, jedoch seltener und selten allein, lauern ihm auf, wenn er auf seinen Raubzügen ist und suchen ihn zu locken; Häuptlinge und Europäer veranstalten wohl auch große Jagden, bei denen der Tiger häufig nicht geschossen wird. Nebrigens beweist der Glaube der Eingeborenen an „gute" und „böse" Tiger — ein Unterschied, der wohl nur darauf beruht, daß die einen Nahrung die Menge unter dem Wilde finden, die anderen aber schlecht genährt sind oder aber auf ihren Liebeswegen vergessen haben der Jagd nach zugehen und nun, wenn sie zufällig einer Beute begegnen, den Einflüsterungen ihres knurrenden Magens nachgeben — daß wirklich Umstände bestehen, unter denen Menschen und Thiere den Anfällen des Raubzeuges weniger ausgesetzt sind. Diese ausfallende Erscheinung findet sich auch bei Krokodilen — man sieht die Eingeborenen manchmal an einer Stelle ganz ruhig baden, während nicht weit davon es von jenen Thieren wimmelt und kein Eingeborener es wagen würde, sich da ins Wasser zu begeben. Dies habe ich so häufig selbst gesehen, und es ist so gut beglaubigt, daß die Erklärung nur in ganz bestimmten örtlichen Ver-