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44 E. Metzger: Tiger auf Java. einigten Wildwasser entströmt. An dem untern Ende einer Thalstufe, die Plötzlich jäh abfällt, lag zwischen Felstrüm- mern und stark verwüsteten Knieholzbeständen eine, einer großen Hundehütte gleichende Stina, zn der wir den soge nannten Bergführer mit dem Pferde schickten, während wir thalauf wanderten, um den 2050 m hoch gelegenen Bergsee Lacu Builea zu besuchen. Das mit Grasflächen und TrUmmerhalden bedeckte Thal steigt l^/z üm langsam empor zwischen den verrüften Leh nen des mächtigen Buteanu und den pittoresken, Weiteroben geschilderten Felsenwändcn des Piscu Builea, zu dessen Kamme man aus der Mitte der Thalsohle in einem Win kel von 38" cmporblickt. Bei einem großen, aus mächtigen Blöcken bestehenden Trümmerhaufen, der sich durch den dunklen Schmuck des Knieholzes schon ans ziemlicher Ent fernung auf dem Thalboden markirte, und einer aus dem Buteanu breit vorspringenden Felsnase, an der ich Gletscher schliffe fand, verweilten wir längere Zeit und stiegen dann zu einer neuen Thalstufe empor. Merkwürdig kontrastir- ten die breiten buckelförmigen, theilweise aus dichtem Kalk stein bestehenden Erhebungen derselben mit den scharf und spitz aus den Abhängen und Kämmen hcrvortretenden Schichtcnköpfen der Schiefer; die tellerartigen, flachen Becken trugen in dem vergilbten, halbverfaulten Gras noch die Anzeichen der erst kürzlich geschwundenen Schneedecke. Wir kletterten über eine zweite, weniger hohe Thalstufe empor und standen plötzlich vor dem grünlichen, von einzelnen Schneelagern umgebenen See, der sich 300 m lang und nirgends über 100 m breit unter der ihn um 300 m über ragenden Wand des Gebirgskammes hinzieht. Durch einen niedrigen Felsenvorsprung wird der See in zwei fast gleich große Becken gegliedert. Der Untcrgrrwd war, obwohl sich nirgends senkrechte Wände unter den Wasserspiegel hinab senkten, immer nur auf geringe Entfernung sichtbar. Deut lich spiegelte das durch keinen Lufthauch getrübte Wasser das Bild der von Gewölk umspielten Berge wieder. Wir betrachteten still das interessante, engumrahmte Hochgcbirgsbild und wandten uns dann zurück zur Stina, über die hinweg wir unmittelbar in die Alt-Ebene blickten. Ein bildhübscher, dunkeläugiger Hirt sprang uns leicht wie eine Gemse entgegen und forderte uns in einer mit deut schen Brocken untermischten Rede ans, bei ihm zu nächtigen. So wenig uns der unfreundliche, tiefäugige Genosse dieses muntern Gesellen gefiel, und so wenig verlockend die Aus sicht auf eine Nacht in dieser erbärmlichen Stina war, wir blieben, um wenn irgend möglich in der Frühe des näch sten Tages die benachbarten Hochgipfel zu ersteigen. Tiger a Von E. Wer lange in einem fremden Lande gelebt und sich mit demselben vertraut gemacht hat, geräth gewöhnlich in ein gelindes Erstaunen, wenn ihm eine über dasselbe handelnde Reisebeschreibung in die Hände kommt, die von einem durch reisenden Besucher geschrieben ist, und er kommt zuderUeber- zeugung, daß Urtheile ä la. Tissot keine specifisch franzö sische Errungenschaft sind, wie man hin und wieder nur zu gern anzunchmen geneigt ist. So habe ich mich manchmal verwundert, was für merk würdige Sachen über die niederländischen Kolonien, deren wichtigster Theil Java mir durch längern Aufenthalt daselbst ziemlich bekannt geworden ist, geschrieben werden. Wie oft habe ich mir vorgenommen, nichts, was von Touristen über dies prächtige Land geschrieben ist, zu lesen und doch werde ich meinem Vorsatz untreu, wenn ich in einem, mir von der Buchhandlung zngeschickten Buche einen bekannten Namen aus dem malayischen Archipel entdecke und dadurch eine Art Heimweh in mir erweckt wird. So ging es mir auch mit Dr. O. Kuntze's „Reise eines Naturforschers um die Welt" (s. oben S. 13ff.) und bei diesem Werke, ich muß es gestehen, sand ich mich angenehm überrascht durch die Treue, mit der der Verfasser seine Beobachtungen ohne viel Reflektionen aufgefaßt und niedergeschrieben hat, und wenn ich nun anch die Auffassun gen des Herrn Verfassers nicht überall thcile und auch Jrr- thümcr durchaus nicht fehlen, ja sogar manche recht starke sich in seinem Buche befinden, so ist es gegenüber einem solchen Werke doch einmal der Mühe Werth zu versuchen, einzelne Punkte zu klären. Für heute möchte ich mir einige Worte über das Vor kommen von Tigern auf Java, welche Herr Dr. Kuntze doch zu sehr auf den Hintergrund zu schieben scheint, mit- zuthcilen erlauben. us Java. Metzger. Ich muß im Voraus bemerken, daß im Allgemeinen, was er Uber das Erscheinen dieser Thiere, namentlich aber darüber sagt, daß Europäer durch dieselben noch nicht an- gefallen worden sind und die Art, wie er dies erklärt, voll kommen richtig ist. Ehe ich jedoch hierauf näher eingehe, erlaube ich mir zunächst einige trockene Thatsachen mitzuthei- lcn, die den kolonialen Berichten sowie dein Budget von Niederl.-Indien entnommen sind, und über deren Zuver lässigkeit ich weiter sprechen werde. Auf Java (circa 19 Millionen Einwohner) werden in den Jahren 1878, 1879 nnd 1880 214 Menschen als durch Tiger getödtet in den Listen verzeichnet. Diese Zahl ist entschieden zn klein, denn nicht nur fehlen aus einzelnen Provinzen alle Angaben darüber, wie ausdrücklich bemerkt ist, sondern die mitgetheilten Zahlen beweisen für einzelne Theile des Landes deutlich, daß dort entweder besondere Schutzengel ihren Einfluß geltend gemacht haben müssen oder aber, daß die Beamten die richtigen Zahlen nicht mit- getheilt haben, resp. nicht im Stande waren dieselben zu er mitteln. Dagegen kann man durchaus nicht annchmen, daß mehr Unglücksfälle in die Listen ausgenommen sein sollten, als wirklich stattgefunden haben. Zur Vergleichung führe ich Folgendes an: In den Preanger Regentschaften (1^4 Millionen Einw.) sind in den erwähnten drei Jahren 99 Fälle verzeichnet. Dies ist meiner Ansicht nach ein Beweis, daß der Tiger doch nicht so ganz ungefährlich ist und Menschenfleisch liebt, wenn er es nur bekommen kann. Es ist wahr, die südliche Hälfte der Preanger gehört mit zu den wildesten Theilen des Lan des, aber der südliche Theil von Bantam, namentlich die vom Schiff aus gesehenen, so herrlichen Gegenden an der südlichen Einfahrt der Snndastraße, sind in diefer Beziehung