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382 Aus allen Erdtheilen. Was für eine Urbevölkerung hatte das Balticum? Döring neigt zur Ansicht, welche vielfach im baltischen Lande verbreitet ist, daß eine germanische Urbevölke rung vorhanden war. Die Griinde, womit diese Hypothese gestützt wird, sind keineswegs stichhaltig. Man sollte diese Hypothese ohne Weiteres fallen lassen, sie wird sich nicht beweisen und bestätigen lassen. Wir betreten den Boden der Thatsachcn mit den Befunden, welche uns das 12. und 13. Jahrhundert giebt und sehen zu dieser Zeit zwei nicht verwandte Volksstümme auf baltischem Boden: Vertreter der finnischen und der letto-slavischen Bölkerfamilie. Wir sehen im Norden in Estland und in Nord-Livland die Esten, in West-Livland die Liven, in Kurland die Kuren und hinter ihnen landeinwärts Letten und Lit- tauer. Für Estland und Nord-Livland mögen ohne Widerrede die Esten als Urbewohner gelten, aber wie steht es in Süd-Livland und Kurland? Sind die Liven resp. Kuren oder die Letten die Ureinwohner? Döring be rührt diese Frage gar nicht; es scheint ihm entschieden zu sein, daß die Kuren resp. die Liven die Ureinwohner der Gebiete sind, auf welchen ihre Nachkommen noch heute sitzen. Es möge aber daran erinnert werden, daß diese Frage keineswegs endgültig entschieden ist. Nach der Auffassung einiger Forscher ist die Urbevölkerung des Balticum eine finnische: im Norden Esten, in Livland Liven, in Kurland Kuren. Wann diese finnischen Stämme in das Balticnm von Osten her einwanderten, bleibt unbestimm bar, ob sie bereits Jemand vorfanden, bleibt zweifelhaft. Hinter ihnen her kamen Vertreterder letto-slavifchen Bölkerfamilie, und drängten in Süd-Livland und Kurland die Finnen bis auf die Küsten, um sie schließlich gänzlich zu absorbiren und sie im Lettenthum verschwinden zu lassen. Wo sich die Liven und Kuren am längsten erhielten au den Küsten, da sind die Spuren noch heute am deutlichsten. Nach Auffassung anderer Forscher, z. B. Koskinnen (Hel- singfors), war die Urbevölkerung des Balticum, speciell in Süd-Livland und Kurland, eine lettische; von Norden und Westen her über das Meer drangen dann die Liven und Kuren — nachdem der Strom der finnischen Völkerschaf ten über Estland hinaus nach Oesel gezogen — in Liv land und Kurland ein; an den Küsten fetzten sie sich fest, längs den Flüssen, derDüna, der S alis, schoben sie sich wie ein Keil in das lettische Gebiet hinein. Schließ lich wurden sie doch vom Lettischen absorbirt. Eine Ab wägung der die eine und andere Auffassung stützenden Be hauptungen dürfte hier zu weit führen. Für das That- sächliche des fetzigen ethnographischen Zustandes von Süd-Livland und Kurland haben beide Auffassungen die gleiche Bedeutung, sie weisen darauf hiu, daß die let tisch redende Bevölkerung Livlands und Kurlands nur zum Theil aus Letten, zum andern Theil aus letti- ! sirten Finnen besteht. Aus allen Europa. — Unter den großen Städten des Deutschen Reichs weist (nach der Registrande des großen Generalstabes Bd. XII) in dem Zeitraum von 1867 bis 1880 keineswegs die Residenzstadt Berlin, sondern Hannover die stärkste Steigerung der Bevölkerung auf, nämlich von 73 979 Einwohnern auf 137 576, also um 44 Proc.; dann kommen Stuttgart (117 021 Einwohner) mit 41,5 Proc., Leipzig (148 760 Einwohner) mit 40 Proc., endlich Berlin (1 122 385 Einwohner) mit 38 Proc. Auch in verschiedenen Mittel städten Deutschlands war die Bevölkerungszunahme stärker als in Berlin. — Von A. Hartleben's Jllustrirten Führern gingen uns zwei neue handliche Bände zu, auf welche wir bei beginnen der Reisezeit aufmerksam machen wollen: Josef Rabl's Führer durch das Pusterthal und die Dolomiten (mit 50 Bildern und 1 Karte; Preis 5,40 Mark), welcher einen der besuchtesten und schönsten Theile der österreichischen Alpen und anhangsweise das Eisackthal, Bozen und Meran behandelt, und A. Heksch's Führer durch Budapest und Umgebungen (mit 41 Bildern und 7 Karten und Plänen). Im selben Verlage erschien von I. Meurer, dem Präsi denten des Alpenclub Oesterreich, ein „Handbuch des alpi nen Sport", welches praktische und theoretische Anleitun gen sür das Reisen in den Alpenländern, für den Aufent halt im Gebirge, für Bergtouren und ganz speciell Rath- schläge für Hoch- und Gletschertouren enthält. Das Buch behandelt in seinem 1. Abschnitte die theoretische Seite des alpinen Sport; im 2. die Art und Weise, wie die verschicde- denen Gattungen Reisender ihren Gebirgsaufenthalt am ge eignetsten einrichteu; im 3. die entsprechende Bekleidung und Ausrüstung sür Gebirgsreisen; im 4. Abschnitte werden die Alpenländer einer Untersuchung in Bezug auf die specielle E r d 1 h e i l e n. Eignung der hervorragenden Orte und Gegenden für die verschiedenen Kategorien Alpenreisender unterzogen; der 5. Abschnitt endlich beschäftigt sich mit den alpinen Korpo rationen. — In dem halben Jahrhundert von 1830 bis 1880 haben sich die Juden in Cisleithanien von 355695 auf 1005 563 vermehrt, also nahezu aus das Dreifache, die Anhänger anderer Bekenntnisse dagegen von 15 232 447 nur auf 21 125 142, d. h. noch nicht um die Hälfte. In ganz Oesterreich-Ungarn machen sie 3,8 Procent der gesammtcn Bevölkerung aus, sind im Heere aber nur etwa zur Hälfte, mit 2 Procent, vertreten, suchen also dem Militärdienst theils auszuweichen, theils sind sie zu demselben untauglich. Nach dem Glaubensbekenntnisse gab es 1876 im österreichischen Heere 567 743 römische, 92 865 griechische Katholiken, 70 070 Orthodoxe, 78 528 Evangelische, 16 880 Juden, 1534 Uui- tarier, 107 Armenier, 186 andere Christen und 52 Muha- medaner. (Nach der Registrande Bd. XII.) — Die Zahl des Klerus in Italien ist noch immer sehr groß. Nach der Zählung von 1871 hatte der Weltklerus 96288 Priester, 4297 niedere Kleriker und 483 Eremiten aufzuweisen. An Ordensgeistlichen wurden 38 388 gezählt, wie Curcio meint, weit unter der wirklichen Anzahl, da sehr viele säkularisirte Klostergeistliche, welche in ihren Fa milien leben, sich bei der Zählung nicht als geistliche Perso nen eintragen ließen, aber doch ihre gesetzliche Pension be ziehen. Die Oberleitung dieses Heeres steht den 31 Erz bischöfen und 244 Bischöfen zu, die oberste dem Papste mit seinem Kardinalskollegium und den 72 ihm unmittelbar unterstehenden Erzbischöfen und Bischöfen. Höchst beträchtlich ist die Zahl der im Auslände wirkenden italienischen Geist lichkeit, in den Missionen, als Bedienstete der Santa Jnfan- zia, in speciellen unmittelbar vom obersten Kirchenhaupte übertragenen Aufgaben, und namentlich in Geschäften der