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358 Das heutige Syrien. aus byzantinischer Zeit. Der Tradition nach soll cs, wie ja fast alle christlichen Bauwerke Palästinas, von der heili gen Helena errichtet sein, und zwar über der Stelle, wo der znm Kreuze Christi verwendete Baum gestanden hätte. Ein mit Marmor eingefaßtes Loch im Fußboden der Kirche be zeichnet den Standort des Baumes auf das Allergenaucstc. In jedem Falle hat das Kreuzkloster eine lange und wechsel volle Geschichte hinter sich, und gehört in seinen ältesten Theilen schon der vorislümischen Zeit an. Unzählig oft ist cs von den Arabern theilwcise zerstört und geplündert wor den; das zeigt heute noch der Zustand und das verschiedene Alter seiner einzelnen Theile; so mögen auch die Erzählun gen von den oft wiederholten Ermordungen der Klosterinsas sen zum großen Theil aus Wahrheit beruhen. Zur Erin nerung an die unerschrockene Ausdauer der frommen Brüder wird noch heute in der Kreuzkirche ein ungeheurer „Blut fleck" an der Stelle gezeigt, wo einmal fämmtliche Mönche, der Prior an der Spitze, nach tapferer Vertheidigung ihres Heiligthums von den Arabern niedergcmetzelt worden wären. Anch das Krcnzkloster besitzt schöne große Gartenanlagcn; seine Hauptanziehung bildet aber heute seine ungemein reiche Bibliothek, die „fast die gcsammte Palästinalitteratur" und eine Anzahl sehr wcrthvoller Handschriften umfassen soll. Ein Ausflug nach JLfa, den Lortet in den nächsten Ta gen unternahm, führte ihn durch die Gegend, in welcher die Mehrzahl der Palästinareisenden ihre ersten Eindrücke vom heiligen Lande empfängt. Das Projekt einer Eisenbahn verbindung zwischen Jerusalem und der wichtigen Hafenstadt, von dem schon öfters und zuletzt vor etwa zehn Jahren viel die Rede war, ist trotz der schon gemachten Vorarbeiten nnd Vermessungen scheinbar ganz eingeschlafen; man hat sich da bei begnügt, die vcrkehrshinderlichen, nicht unerhörten, son dern eben nur türkischen Zustände der alten Straße etwas zu verbessern, und die Beförderung der Reisenden und Waa- rentransporte nach wie vor allen möglichen Zufällen und Verzögerungen ausgesetzt zu lassen. Vom JLfathore Jeru salems ausgehend, führt die Straße zunächst lange Zeit zwischen verschiedenen großen, zur Stadt gehörigen Nieder lassungen hindurch, unter denen die große russische und die neue jüdisch-deutsche Kolonie die bedeutendsten sind. Dann folgt eine Strecke trostloser unbewohnter Oede, dürre Hügel und trockene kleine Thäler dazwischen, elendes, verkrüppeltes Eichcngebüsch — das Dorf Kulöniye, wahrscheinlich das ncutcstamcntliche Emmaus, bildet die erste reizende Oase; die zweite das auf der Höhe gelegene Kariet el-'En ab, d. i. Traubcnstadt, mit seiner reichen Umgebung von Obst gärten. Im Munde des Volkes führt der hübsche Ort heute nur noch den Namen Abu Gösch, nach dem Anführer einer gefürchteten Räuberfamilie, der bis vor etwa 50 Jah ren hier mit seinen sechs Brüdern und ihren 85 Kindern als Schrecken der Umgegend und der Pilger gehaust hat. Erst unter der ägyptischen Herrschaft wurde dem Unwesen, das viele Jahrzehnte bestanden hatte, ein Ende gemacht; doch gilt die Gegend heute noch für so unheimlich, daß die Maulthiertreiber nie einzeln, sondern immer nur zu mehre ren an den „Schlössern" von Abu Gösch vorbeizichen. Bald hinter diesem Dorfe passirt die Straße die große Schlucht des Wadi 'Ali, deren Wände jetzt von üppig wucherndem Isnorium rosmarinikolium in voller Blüthe bedeckt waren. Bei dem Dorfe Latrnn, etwa auf der Hälfte des Weges, nimmt die Landschaft einen andern Charakter an; man nä hert sich der Ebenc und sieht deshalb auf beiden Seiten der Straße weite Felder sich ansdehnen. Getreidefelder, auf denen die Ernte jetzt im vollen Gange war, wechseln mit großen Rüben- und Gurkenfeldern ab. Während des hei ßen Sommers bilden hier, wie fast überall in Syrien, rohe Gurken das Hauptnahrnngs- und Erfrischungsmittel des Volkes, und zwar wird vorzugsweise eine dunkelgrüne,, schlangenförmige Art von etwa einem Zoll Durchmesser und 12 bis 15 Zoll Länge angcbaut. Immer nnd immer wie der wurden während der Fahrt dieses heißen Tages dem Reisenden diese bescheidenen Früchte als beste Erquickung an geboten, und überall am Wege sah er die Fcldarbcitcr nicht nur, sondern auch die kleinen nackt am Boden spielenden oder von den Fellahwcibern rittlings auf der Schulter ge tragenen Kinder sich mit ersichtlichem Wohlbehagen daran erlaben. Ramle, das Lortet gegen Abend erreichte, kündigt sich schon von weitem durch seine grüne Umgebung an, in der zwischen Oelbäumen, Sykomoren und Karubcn auch einzelne Palmen emporragen; sämmtliche Felder in der Umgegend der Stadt sind mit hohen Kaktushecken eingefaßt, in denen sich zahlreiche Nester wilder Tauben befinden. Die kleine Stadt, von deren 3000 Einwohnern etwa ein Drittel grie- chifche Christen find, ist heute nur als Durchgangsort für den Handelsverkehr zwischen JLfa und Jerusalem von eini ger Bedeutung. Im 8. Jahrhundert von den Arabern ge gründet, soll sie lange Zeit hindurch blühend und groß ge wesen sein und Jerusalem weit übertroffen haben. Die Kreuzfahrer stifteten an dem damals noch wichtigen Orte ein Bisthum. So ist denn auch die heutige Hauptmoschee, zu der Fremde nur schwer Zutritt erlangen, eine alte christ liche Kirche aus jener Zeit; ihr viereckiger, in ein Minaret verwandelter Glockenthurm bildet jetzt das einzige hervor ragende Gebäude innerhalb der unregelmäßig gebauten, weil häufig durch Krieg und Feuersbrünste beschädigten Stadt. Denn der berühmte Thurm von Ramle, der „Thurm" xar exosUones, liegt außerhalb der Stadt, an ihrer südwestlichen Seite. Zwischen hohen Kaktushecken, dann über einen alten Friedhof gehend, erreicht man das seltsame Baumert, das der Ueberrest einer großen, von dem Erbauer der Stadt hier errichteten Moschee ist nnd auch heute im Munde des Volkes noch den Namen Dschami el-abiad, d. i. die weiße Moschee, führt. Die Umfassungsmauern des alten Haupt gebäudes, das etwa 600 Schritt im Geviert maß, sind noch deutlich erkennbar. Sehr merkwürdig sind die weiten unter irdischen Grüfte, die sich unter dem Thurme und seiner gan zen Umgebung befinden; die muslimische Tradition macht aus diesen Grüften die Grabkammern von 40 Gefährten des Propheten; die christliche läßt 40 Märtyrer in ihnen begraben sein. Eine arabische Inschrift an seiner Außen seite nennt als Jahr der Erbauung des heute stehenden Thurmes, der als ein Minaret der alten Moschee nachträg lich zugcfügt wurde, das Jahr 1318 unserer Zeitrechnung, bezeichnet auch den Erbauer auf das Genaueste; trotzdem halten viele das hübsche Bauwerk mit seiner Spitzbogcnthür, den zierlichen Fenstern und den schlanken Strebepfeilern an den vier Ecken für ein Werk der Kreuzfahrer. Dem sei, wie ihm wolle — auf jeden Fall ist die Aussicht, die man von der Spitze des Thurmes genießt, eine ganz unvergleich lich schöne, und am schönsten bei Abendbelcuchtung. Die fruchtbare, gartenartigc Umgebung von Ramle, das ansehn liche Städtchen selber mit seinen vielen kleinen Kuppeldächern, nach Westen hin, jenseits der rcichangebanten Ebenc, dcr glänzende Streifen des Mittclmeeres; nach Osten das Ge birge. Eine Menge von großen Dörfern im weitern Umkreise der Stadt lassen den Reichthum der Küstenebene, der Ebenc Saron der Alten, deutlich erkennen. Freilich be steht ihr Boden größtenteils aus Sand — heißt lwch auch Ramlc die „Sandstadt" —, doch ist er ungemein wasser reich, nnd die hier allgemein in Gebrauch stehenden Schöpf räder vertheilen diesenReichthum in der ersprießlichsten Weife