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356 Das heutige Syrien. Bethlchemit dieser Leidenschaft nur im Innern des eigenen Hauses; wie Lortct versichert, aber in einem solchen Maße, daß ein körperliches und geistiges Sinken der Race in nicht gar ferner Zeit als unvermeidliche Folge hervortrctcn wird. Er bedauert dies um so mehr, als gerade die Ein wohner Bethlehems sich bis jetzt durch ihren „kräftigen, vor nehmen Typus, ihre hohe Intelligenz und Bildungsfähig keit, sowie durch Fleiß und Sparsamkeit« vortheilhaft vor dem übrigen Volke Palästinas ausgezeichnet haben. Als hervorragendster Industriezweig der Stadt muß die Verfertigung von Andachtsgegenständcn aller Art ge nannt werden, die fchon seit mehreren Jahrhunderten hier betrieben wird und heute über 500 Arbeiter beschäftigt. Syrien, beinahe die ganzen Ernten der Weinberge getrock net, nm entweder als Rosinen in den Handel gebracht oder für den inländischen Verbrauch zur Herstellung von Syrup und Branntwein verwendet zu werden. Von der verhäng nißvollen Leidenschaft für diesen Branntwein, sowie für- alle Arten von Spirituosen, einer Leidenschaft, die unter der mnslimifchen Bevölkerung Syriens in erschreckendem Maße um sich greifen soll, sind nach Lortet auch die syri- schcu Christen durchaus nicht frei. Namentlich in Bethle hem soll dieses Uebel innerhalb der letzten Jahre tiefe Wurzel gefaßt haben, und vielleicht um so liefere, als es auch hier, an dem „heiligsten Orte der Christenheit«, nicht an die Ocffentlichkeit tritt. Wie der Muslim fröhnt der Raulle. Wahre Kunstwerke an Kruzifixen in Perlmutter- und Holzschnitzerei, sowie in eingelegter Arbeit gehen aus diesen Werkstätten hervor; ein vielbegehrter Artikel derselben Art sind auch große Pcrlmuttcrmuscheln mit eingeschuittcnen Darstellungen ans der heiligen Geschichte. Rosenkränze aus Oliven- und Dümpalmcnkernen (welche letzteren für diesen Gebrauch in großer Masse ans Nubien Angeführt werden), zierlichere aus kunstvoll gearbeiteten Perlmutter-, Elfenbein- und Holzpcrlcn werden hier im Großen an- gefertigt und versandt, wie die aus großen Hornkugcln be stehenden Rosenkränze der Muslimen und die für die kop tischen und abesfynischcn Christen bestimmten Kruzifixe aus Rhinoceroshaut. — Was sich sonst in Bethlehem an In dustrie vorfiudct, hat fast uur lokale Bedeutung ; von den kunstvollen Geweben, Kleider- und Divanstvffen, die hier angefertigt werden, kommt nichts auf den ausländischen Markt, und doch würden namentlich die letzteren durch ihre glückliche Farbenzusammenstellung in Europa viele Lieb haber finden. Berühmt sind in ganz Syrien die kunst vollen Stickereien der Frauen von Bethlehem, die diese fast ausschließlich für den eigenen Gebrauch anfertigen. Der Brustlatz ihres dunkelblauen weiten Gewandes muß ebenso mit reicher Stickerei verziert sein, wie der dichte weiße Schleier, der von der eigenthümlichcn Kopfbedeckung herab fällt. Diese besteht in einer kleinen aus blauem und ro- thcm Tuche zusammengesetzten Mütze, die je nach dem Ver mögen der Eigenthümerin mehr oder minder reich mit silbernen Münzen benäht ist; nicht selten erhält sie dadurch ein Gewicht von mehreren Kilogramm. Lange Ohr gehänge, an denen zahlreiche silberne Ketten und Kettchen und eigenartige Ornamente von dreieckiger Form befestigt sind, sowie eine große Kinnkcttc vervollständigen den Kopf-