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344 Prof. Ferd. Blumentritt: Eine Studie zur Bevölkerungs-Statistik der Philippinen. nicht aber jene der nicht unterworfenen Eingeborenen, und doch gehörte bis in die vierziger Jahre unseres Jahrhunderts nur ein verschwindend kleiner Bruchtheil der Oberfläche des Archipels den Spaniern! Freilich ist es nothwendig zu be merken, daß, von Mindanao und Sulu abgesehen, die nicht unterworfenen Gebietstheile wilde Berglandschaften und Wälddickichte umschlossen, welche naturgemäß eine nur dünne Bevölkerung aufweisen können, zumal der Malaie seinen Wohnsitz mit Vorliebe nur am Meeresgestade und an Fluß ufern aufschlügt, und jene nicht unterworfenen Stämme das Institut der Kopfjägerei pflegten, also eine Sitte, die der Vermehrung jener Horden unmöglich Vorschub leisten konnte. Heute haben sich die Verhältnisse auf den Philippinen vollständig geändert, die Korruption ist verschwunden, der Bcamtenkörper und das Offizierkorps genießen mit Recht den Ruf der Unbestechlichkeit, wenn man auch bei den ein zelnen Jndividnen derselben jenes, ich möchte sagen aktive Pflichtgefühl nicht antrifft, wie wir es bei deutschen Offizieren und Beamten zu finden gewohnt sind. Die Zählungen wer den auch jetzt nicht mehr zu rein fiskalischen Zwecken ange stellt; sie stehen heute im Dienste der Wissenschaft. Nicht mehr die Zahl der Tribute allein, auch die Zahl der Be wohner, ihre Alters-, Standes- und sonstigen Verhältnisse werden erhoben und die Regierung giebt sich alle erdenkliche Mühe ein vollständig genaues Zühlungsresultat zu erlangen. Und dennoch, wenn wir uns die Frage stellen, sollen wir den mitgetheilten Bevölkerungsangaben der officiellen Ccn- suslisten ein solches Vertrauen wie den europäischen eut- gcgenbringen, so müssen wir mit einem entschiedenen Nein! antworten. Warum dies? Die Ursache der Unzuverlässig keit der philippinischen Censuslisten liegt in den eigenthüm- lichcn Verhältnissen des Landes und seiner Bewohner. Ob wohl es keine größere Ortschaft (Pueblo) giebt, die nicht wenigstens eine Schule aufzuweisen hätte, so ist doch die Zahl derjenigen, welche sie besucht haben, eine nur geringe, besonders im Süden des Archipels. Nach der Absicht der Regierung sollen die Kinder in der Schule die spanische Sprache erlernen, aber bisher waren nur in den der Haupt stadt naheliegenden Provinzen Schullehrer aufzutreiben ge wesen, die nothdürftig die IwnKua eastkUs-nu stammelten '). Obwohl mit jedem Jahre die Verbreitung der spanischen Sprache wächst, so giebt es doch noch ganze Provinzen, in denen bei der Volkszählung des Jahres 1870 kein einziges die Schule besuchende Kind das Spanische sprechen konnte; es waren dies die Provinzen: Isabela de Basilan, Bohol, Burias, Nomblon und Samar. Nun sind die Beamten der Regierung durchwegs Spamer, welche direkt vom Mutter lande nach der Kolonie oft nach russischer Weise „auf dem Verwaltungswege" gesendet werden; sie sind der Sprache der Eingeborenen, mit denen sie zu amtiren haben, gar nicht mächtig und haben auch weder Zeit noch Lust dazu selbe sich zucigcn zu machen. Ich habe gesagt: keine Zeit, denn der spanische Beamte wird nur auf eine festgesetzte Frist (ge wöhnlich drei Jahre) in sein Amt (in der Kolonie) eingesetzt, dann wieder in das Mutterland zurückberufeu oder in eine andere Provinz, in welcher ein ganz anderes Idiom herrscht, versetzt, so daß er, nachdem er sich kaum eiu weuig mit den Verhältnissen seiner neuen „Heimath" vertraut gemacht hat, wieder den Rcisestab zur Hand nehmen mnß. Und wie 0 Eine Besserung ist in diesem Punkte zu bemerken, ins besondere seit der Gründung von Musterhauptschulen und Leh rer- beziehungsweise Lehrerinnen-Scminaren. Früher machte der Klerus der Regierung stillschweigend in dieser Hinsicht Opposi tion, damit Lie nur des Spanischen mächtigen Beamten der Vermittelung der Geistlichkeit nicht entrathen könnten. In neuerer Zeit hat sich auch dies geändert. viele Beamte überhaupt bleiben in ihrer Station bis zum Ablaufe ihrer Funktionsperiode? Die einen werden in der ungesunden Küstenstadt krank und müssen mit Urlaub nach Europa zurückkehreu, um in dem bessern Klima des Mutter landes i) die Gesundheit wiederzugewinnen, oder es trifft sie das Spanien eigenthümliche Loos der „Gösautia": sie wer den „oosautos^, d. h. plötzlich ohne jede Motivirung des Dienstes enthoben und in Disponibilität gesetzt, um ihre bis her innegehabte Stelle an einen beförderungsbedürftigcn Protsgs des Ministeriums oder eines hervorragenden Cortes- Mitgliedes zu verlieren. Das Damoklesschwert der 6ssuu- tla?) oder der Versetzung nach Cuba oder Puertorico schwebt ohne Unterlaß über dem Haupte jedes Beamten, das Anlangen jeder neuen Post kann ihm das Abberufungs oder Enthebungsdekret bringen; kein Wunder, daß der spa nische Beamte sich nicht erst die Mühe nimmt, die Sprache seiner Klienten zu erlernen. Wozu auch? Morgen trägt ihn der Dampfer oder die Brigg nach den Marianen oder nach Fernando Po. Ueberdies hat er ja in seiner Kanzlei eine Menge von Schreibern, welche als Mestizen und In dier (so. Malaien) ihm im mündlichen Verkehre mit den Eingeborenen als Dolmetscher dienen. Diese Schreiber sind die eigentlichen Exekutivorgane der Behörden, von ihnen hängt der Kanzleichef auf Gnade und Ungnade ab; was sie ihm sagen, muß er für bare Münze nehmen, und doch wim meln die Berichte spanischer, nicht etwa ausländischer, Autoren von Anklagen gegen diese Klasse der Eingeborenen. Man beschuldigt sie allgemein der vollständigen Unzuver lässigkeit, Faulheit und Verlogenheit, wenn nicht oft ärgerer Dinge. Mögen auch diese Angaben etwas übertrieben sein, so sind doch Fälle bekannt, wo die farbigen Schreiber ihre spanischen Vorgesetzten ans das Abscheulichste hintergingcn und ihnen das Schwarze weiß und das Weiße schwarz vorgestellt hatten. Ja es darf nicht unerwähnt bleiben, daß noch bis zum Jahre 1870 manche Provinzen thatsächlich ohne Chef blieben, wie z. B. die Provinz der Batancs-Inseln. Die aus Spanien hingeschickten Gouverneure erfuhren bei ihrer Landung in Manila, daß die Bewohner dcr Batanes so gut wie Wilde wären, daß der Gouverneur daselbst das ein samste Leben führen müßte, abgeschnitten nnd isolirt von der civilisirten Welt. Kein Wunder, daß sie unter allen erdenklichen Vorwänden ihre Abreise aus Manila so lange hinausschoben, bis sie auf einen andern Posten versetzt wur den oder sie das Schicksal der GosanUa erreichte. Das soll sich mehr als einmal ereignet haben s). Man wird mir vielleicht entgegnen: Die Gemeinden (Pueblos) haben doch eine Municipalvcrtrctuug, deren Chef — der „Goberuadorcillo" — mit den Oberbehörden nur Spanisch verkehren darf. Nun ja, das ist wohl wahr; aber sehen wir uns einmal die Sache genauer an. Wie cs mit der Kenntniß des Spanischen auf den Philippinen aussicht, habe ich bereits oben erwähnt, ich will darauf nun ausführ licher eingchen. *) Die Spanier haben noch immer nicht das Beispiel der Engländer nachgcahmt, Sanatorien sür ihre von den Tropen fiebern heimgesuchten Beamten, Offiziere und Soldaten in den kühlen Berglandschaftcn der Kordilleren Nordluzons zu errichten. Die Provinzen Bcnguet, Lepanto und Bontoc wurden sich zu diesem Behufs recht gut eignen. 2) Es soll vorgckommen sein, daß ein vom Mutterlandc in Manila angclangtcr Beamter bereits das Dekret erhielt, welches ihn von jener Stelle enthob, die er noch gar nicht angctreten hatte. Selbst als Anekdote hingcstcllt ist dies für die spanischen Zustände charakteristisch. 2) Man vergl. zu dem oben erwähnten das tressliche, nur leider durch zahlreiche Druckfehler entstellte Werk: ^xuntss tn- tsrosuntes sobrs ins islas bülixinas, Naäriä 1870.