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Prof. Ferd. Blumentritt: Eine Studie zur Bevölkerungs-Statistik der Philippinen. 343 Eine Studie zur Bevölkerungs-Statistik der Philippinen. Bon Prof. Fcrd. Blumentritt. Bis in die allcrneneste Zeit herein bildete die Basis der Volkszählung der Philippinen nicht etwa die Kopfzahl der Bevölkerung, sondern der „Tributs", d. h. die Kopfsteuer. Der „Tributs" wurde bereits 1571 vom Eroberer des Ar chipels, Don Miguel Lopez de Legazpi, cingcführt und zwar in der Weise, daß je ein Ehepaar einen vollen, eine einzelne ledige Person den halben Tribut zu entrichten hatte. Wenn auch die Höhe dieser Steuer im Laufe der Jahre und Jahr hunderte sich erheblich geändert hat und immer mehr und mehr gestiegen ist, so ist doch der Einhebungs- und Zäh- lungSmvdus derselbe geblieben und 2000 „Tributes" ent sprechen demnach z. B. durchaus nicht derselben Zahl steucr- zahlender Individuen, sondern der doppelten, also in die sem Falle der Zahl von 4000 Steuerträgern. Daß wir uns aus der Ziffersumme der Tribute kein klares Bild der Sceleuanzahl der Inselgruppe vorstellen können, liegt offen zu Tage, abgesehen davon, daß von den nicht unterworfenen Stämmen gar keine Angaben mitgctheilt werden konnten. Da eben nur die erwachsenen arbeitsfähigen Jndividnen diese Abgabe zu leisten hatten, während, wie dies auch jetzt uoch der Fall ist, die Kinder, Greise, Krüppel und Brcsthastcn von der Zahlung des Tributes befreit waren, so läßt sich nur schwer die Kopfzahl bestimmen, die auf einen Tribut zu rechnen wäre. Denn in manchen Provinzen ist die Zahl der Kinder eine sehr große, doch erreichen nur sehr wenige das Pubertätsaltcr; hier würden also auf einen Tribut mehr Seelen zu rechnen sein, als in einzelnen Gegenden Nord luzons, wo die Weiher in Folge der gebückten Haltung bei der Pflege der Tabakskulturcn zu Fehl- und Todtgeburten neigen. Aber selbst abgesehen hiervon ist die Seelcnzahl auf Grundlage der Tributeinheiten schwer auch nur an nähernd richtig zu berechnen, indem nicht nur einzelne Per sonen , sondern ganze Kasten von der Zahlung der Kopf steuer befreit sind. So zahlen weder die Weißen noch deren Mischlinge (niöstÜMs kspasiolos) den Tribut, bei den Chi nesen und Malaien (Inäioo) sowie den Mischlingen der beiden letztgenannten Stämme (den insstisos cks sauFlo^) sind die Mitglieder der Gemeindevertretung (Kolwrnuckor- oillos, taniankas, oakwMS äo baranga^ eto.) nicht nur für ihre eigene Person, sondern auch für ihr Eheweib und ihren erstgeborenen Sohn von jeder Zahlung des Tributes für die Amtsdauer dispensirt. Außerdem genießen dieselbe Begünstigung „für ewige Zeiten" die Nachkommen der von den Spaniern depossedirten Fürsten sowie die Descendenten von Eingeborenen, welche sich hervorragende Verdienste in den Kämpfen der Spanier gegen innere wie äußere Feinde erworben hatten. Ja selbst ganze Ortschaften erhielten das Privileg von jeder Steuerzahlung enthoben zu sein, wie dies für die Stadt Cebü zu bemerke» ist. Trotz des verschiede nen Zisfcrwerthes, den ein Tribut also je nach der Provinz, in der er erhoben worden ist, repräsentirtc, hat man dennoch summarisch sür den gesammten Archipel eine bestimmte Zahl genommen, welche der Anzahl der Seelen entsprechen sollte, welche auf einen Volltribut entfallen. Gewöhnlich nahm man 4 bis 5 Seelen auf den Tribut der Malaien und Me- stizos de Sangley an. Bei den Chinesen wäre diese Zahl zu hoch gegriffen, denn sie brachten früher keine Weiber mit und die mit Eingeborenen erzeugten Sprößlinge gehörten bereits der Kaste der Mestizos de Sangley an, welche einen niedrigeren Tribut als die Chinesen entrichten. Man zählte deshalb auf den Chiuesentribut anfangs nur zwei Individuen, später bei der Einführung der Personallicenz ließ sich die Kopfzahl dieser Mongolen genauer ermit teln. Officiclle Zählungen der vom Tribut befreiten Kasten wurden gar nicht veranstaltet; man ließ deshalb in die Bevölkerungslisten nur die Malaien und chinesischen Mestizen, seltener die Chinesen aufnehmen, die Weißen, die spanischen Mestizen und Japanen ließ man entweder ganz weg (was zumeist der Fall war) oder schätzte deren Zahl ganz willkürlich ab und addirtc dieselbe zu der Summe der Malaien, chinesischen Mestizen und Chinos. Aber nicht einmal für die Richtigkeit der Tributzifscr gab es bis in die Mitte nnscres Jahrhunderts eine Garan tie! Es muß nämlich beachtet werden, daß seit dem Ab schlusse des Westphälischen Friedens die Geschichte der Phi lippinen die Geschichte eines Verfalles und einer Korruption ist, die ohne Gleichen in der Weltgeschichte dasteht. Der Archipel wurde als Deportationskolonie nicht nur des Mutter landes, sondern auch amerikanischer Kolonien angesehen, die Beamten, die Soldaten der Philippinen rekrutirten sich mit wenigen Ausnahmen aus dem Abschäume der spanischcu Nation. Eine natürliche Folge dieses Umstandes war eine grenzenlose Korruption, welche sowohl die Funktionäre der Civil- wie Militärgcwalten wie eine unabwendbare und un heilbare, epidemische Krankheit ergriff; man lese mir die von heiligem Zorne entflammten diesbezüglichen Notizen eines Sinibaldo Mas, eines Herzogs von Almodovar nach oder blicke zwischen die Zeilen, welche die alles vertuschen den Fray Gaspar de San Agustin, Fray Juan de la Con cepcion und P. Mnrillo-Velarde nns hinterlassen haben! An der Spitze der Provinzen standen als Gouverneure Al- caldes Mayores,-welche ihre Stellung in der schamlosesten Weise zu eigener Bereicherung ausbenteten, indem sie in ihren Provinzen das Handelsmonopol ausübten und Wucher trieben. Ist es doch mehr als einmal vorgekommcn, daß spanische Bcanite und Offiziere selbst Pulver und Munition an die die Küsten verheerenden Piraten von Sulu und Minda nao verkauften, oder daß die gegen letztere abgeschickten Ge schwader von ihren Befehlshabern dazu verwendet wurden, von letzteren zusanimengekaufte Waarcn, mitunter zwangs weise, an die Küstenbcmohncr abzusetzcn. Bei solchen Ver hältnissen liegt es nicht so fern zu vermuthcn, daß die Pro vinz-Gouverneure die Zahl der Tribute ihres Verwaltungs bezirkes der Centralbehörde als viel geringer angegeben ha ben, als es wirklich der Fall war; das Plus der Differenz kam der Tasche der Alcaldcs Mayores zu Gute. Dann muß noch etwas in Erwägung gezogen werden: die, wie wir gesehen haben, ganz ungenauen Censuslistcn der älteren Zeit bis auf die September-Revolution herauf geben uns immer nur die Zahl der spanischen Unterthanen an,