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Ossetische Märchen und Sagen. 333 Besatz zur Mütze meiner Buben!" Uebrigens — das Fell reichte nicht einmal hin nm die halbe Mütze zu bedecken! 3. Wie Urysmag seine Schwester heirathctc ff. Urys mag mar ein weltberühmter herrlicher Mann mit schneeweißem Bart; es gab unter allen von Gott ge schaffenen Menschen nicht mehr einen solchen. Es galt für einen großen Frevel, davon zu reden, daß man einen Mann finden könne, welcher berühmter sei als Urysmag. Seine leibliche Schwester Satana war gleichfalls eine berühmte und herrliche Jungfrau. Einst sprach Sätana zu Urysmag: „Unter allen Nartenjungfrauen findest Du kein Weib, welches Deiner würdig ist. Du kennst mich, wie ich bin. So nimm mich zum Weibe; ich sage cs Dir, laß mich nicht fort!" „Mag Gott Dir das verzeihen! So etwas ist noch nicht unter den Narten dagewesen! Das ist ei» schimpfliches Ding! Ich darf mich dann nicht sehen lasten im Kreise der Narten; spotten wird man über mich!" „Was sie auch thun mögen, was sie auch rcdeu mögen, Du mußt mich un bedingt zum Weibe nehmen! Gegen den Spott werde ich ein Mittel finden. Befiehl den großen grauen Esel Baratt; vorzuführen, laß ihn aufzänmcn mit silber nem Zaum und satteln mit silbernem Sattel! Setze Dich dann verkehrt auf dcu Esel, nimm den Schweif in die Hand nnd reite drei Tage nach einander je einmal ans der großen Straße der Narten, dort wo sie ihre Versammlung („Nichas") halten. Am ersten Tage werden die Narten vor Lachen sterben wollen, sie werden Dich für halbvcrrückt erklären; am zweiten Tage werden nur diejenigen Narten lachen, welche Dich am ersten Tage nicht sahen, und am drit ten Tage wird keiner mehr nach Dir schauen! So ver hält es sich mit jener Angelegenheit!" UrySmag befahl sofort den großen grauen Esel Bo- raty vorzuführen, sattelte ihn mit seinem silbernen Sattel und setzte sich verkehrt darauf. Sobald er sich unter den Narten zeigte, sprangen sie auf, sahen ihn an und nannten ihn unter Lachen einen Halbverrückten. Als er am zweiten Tage auf der großen Straße sich sehen ließ, da blickten nur diejenigen Narten nach ihm, welche ihn am ersten Tage nicht gesehen hatten. „Nun, was thatcn und sagten denn die Narten?" fragte Sätana am Abend des andern Tages. „Am ersten Tage stürzten alle Narten, jung und alt, auf die Straße, durch welche ich ritt, lachten und spotteten und nannten mich halbverrückt; am zweiten Tage schauten nur die mich an, welche mich am ersten Tage nicht gesehen hatten." „Nun, so reite morgen noch einmal auf dem Esel — Du wirst sehen, daß niemand nach Dir sich umsehcn wird." Am dritten Tage ritt Urysmag noch ein Mal durch die Straße, aber niemand blickte aus ihn. Als Urysmag somit erkannt hatte, daß Sätana richtig geurtheilt, so nahm er sie zum Weibe. Und von der Zeit ab lebten die beiden herrlichen Ge schöpfe glücklich bei einander. 4. Wie Urysmag von einem Riesen gefangen wurde 2). Einst kehrte Urysmag heim von seiner Wanderschaft: die Narten saßen im Unterhaltungsgemach, wie es schien, ff Nach dem Russischen. Sammlung von Nachrichten über die kaukasischen Bergvölker. Bd. V, S. 1 bis 71. ?) Nach dem Russischen. Sammlung von Nachrichten über die kaukasischen Bergvölker. Bd. VII, S. 9 bis 11. Diese Sage ist als Variante der Begegnung des Odysseus mit Po- lyphem von Interesse. in kleinmüthiger Stimmung; sie begrüßten ihn kaum als er ihnen „Guten Tag" sagte. „Was ist denn mit den Narten geschehen," fragte Urysmag die Sätana, „daß sie so klcinmüthig sind." — „Sie hören ihre Magen knurren," antwortete Sätana. „O, Ihr jungen Narten, Ihr seid so niedergedrückt, daß man glauben muß, jeder hätte eben das, was ihm das Liebste auf der Welt war, begraben!" rief Urysmag der Nartenjugend zu, als er in das Gemach trat. „Auf, wer ein Mann ist, zu Noß! laßt uns zuschcu, ob wir nicht etwas erbeuten!" Und die auserlesensten Nar ten ritten mit Urysmag fort und ritten lange, sehr lange. Endlich waren sie so sehr angegriffen von der Müdigkeit und dem Hungern, daß sie anhalten und etwas die Beine ausstrccken wollten. Da bemerkte Urysmag plötzlich am Fuße eines Berges einen Hirten von riesenhaftem Wuchs mit einer Schafherde. „Nun, Kinder, wer sprengt dahin und holt uns zum Abendessen einen Schafbock aus jener Herde?" fragte Urysmag seine Leute. Aber niemand meldete sich. „Es scheint, daß Euer Aeltcster selbst sich auf den Weg machen muß," sprach Urysmag, und flog gleich einen! Pfeil zum Hirten. Sobald er hcrangekommcn war, sprang er wie ein Jüngling vom Pferde und fing den besten Schafbock, welcher die Größe eines gehörigen Stiers hatte. Aber er konnte den Schafbock nicht halten: der Bock zog ihn nach sich und so gerieth Urysmag in die Hände des einäugigen Riesen. „O Bodsolff, du meine Sonne! Ich danke dir, daß du mir etwas verschafft hast, womit ich heute Abeud mindestens die Lippen und die Finger benetzen kann," so redete freudig der Riese zu seinem Schafbock und warf den Urysmag in feine Hirtentasche. „Was bist Du so unruhig dadrinnen? Wenn ich Dich etwas drücke, so zer breche ich Dir alle Rippen im Leibe! Verhalte Dich still," so drohte der Riese dem Urysmag, welcher sich in der Tasche hin- nnd herbewegte, indem er sich an die Speiscvor- räthe des Riesen machte. Unterließ ging die Sonne unter; der einäugige Riese trieb seine Herde nach Hause — in eine Höhle, vor deren Eingang er einen kolossalen Felsblock wälzte; der Felsblock verschloß den Eingang so sicher, daß auch nicht ein einziger Lichtstrahl in die Höhle fallen konnte. „Geh' und bringe mir den Bratspieß, mein Söhnchen, ich will mir den leckem Biffen zubereitcn, den heute mir der Bock Bodsol heimgebracht hat," sprach der Riese zu seinem Sohne. Der brachte geschwind den eisernen Bratspieß her bei. Der Riese nahm den Bratspieß, schob den Urysmag auf denselben und setzte ihn ans Feuer; selbst aber müde und hungrig legte er sich an den Herd schlafen, bis das Essen fertig würde. Der Bratspieß hatte aber den Urys mag nicht durchbohrt, sondern war zwischen dem Körper und dem Gewände hindurchgegangen; sobald der Riese sich nun niedcrgelegt hatte und zu schnarchen anfing, sprang Urysmag vom Bratspieß, machte den Bratspieß am Feuer glühendroth und stieß ihn dem Riesen in das Auge. Der Riese brüllte laut, raste, aber erblindet mußte er sich beruhi gen und drohte nun, daß er trotz seiner Blindheit an den Kleinen, der ihn überlistet, kommen würde. Urysmag erschlug auch den Sohn des Riesen. Der Riese aber aus Aerger und Bosheit biß sich selbst in die Finger, alles war vergeblich, natürlich: er, der Blinde, konnte sich nicht rächen. Am Morgen fingen die Schafe an zn blöken — der Tag war angebrochen und es war Zeit sie auf die Weide zu las sen. „Nun kommt das Unheil an Dich! Du entgehst mir nicht!" so drohte der Riese, wälzte den Felsblock vom Ein gang der Höhle, setzte sich darauf und ließ jedes Schaf ein zeln vorbeipassiren. Nun war in der Herde des Riesen ein ff Der Name des Widders.