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328 Bei den Turkmenen Karamaniens. Ferman des Sultans Andersgläubigen die Pforten der Mo schee geöffnet: 1862 dem Prinzen von Wales, 1866 dem Marquis von Bute und 1869 dem Kronprinzen von Preußen. Nach den Berichten ihrer Begleiter, die freilich anch nur den flüchtigsten Blick in das Heiligthum werfen durften, soll, außer den über dem Boden befindlichen Kcnotaphcn, auch noch eine Felsenkrypta vorhanden sein, in der sie Marmor särge zu sehen glaubten. Rings um den großen Bau liegen eine Menge kleinerer Gebäude, die vou Derwischen, Heiligen und Wächtern des Heiligthums bewohnt sind. Sechs Dörfer der Saron- und Philisterebene müssen für den Unterhalt dieser Leute sorgen. Bei den Turkmenen Karamaniens. Ans der kleinasiatischcn Hochebene nördlich des Bulgar- Dagh, welcher die kilikische Küstencbene vom Plateau Kappa dokiens scheidet, übernachtete Mrs. Scott-Stevenson, aus deren Reisewerke wir schon Einiges über das Treiben der Tscherkessen in Kleinasien mitgetheilt haben (s. oben S. 279) in einem Lager von Turkmenen (Our Ricks tllrvnAÜ ^sia, Ninor x. 275 ssg.). Dasselbe lag zwischen Kiz (oder Kilisse) Hissar, dem antiken Thana, und der Stadt Eregki. Sie beschreibt ihren dortigen Aufenthalt wie folgt. Etwa 30 Zelte lagen zerstreut umher, jedes mit einer kleinen Schilfhccke, um bei Nacht die Herden aufzunehmen. Andere noch kleinere Umfriedigungen umschlossen das Geräth für den täglichen Gebrauch. Die Zelte oder Hütten — es ist schwer zu entscheiden, wie man sie eigentlich nennen soll — waren von Filz und zeigten die bienenkorbähnliche Form, durch welche sich die Turkmenen von den Jürüken unterscheiden. Diese hier gehörten offenbar einem reichen Stamme und waren auffallend gut hergestellt. An der einen Seite war der Filz aufgeschlagen, um die Luft einzu lassen, und das hölzerne Gitterwerk des Innern war deut lich zu sehen. Die Bedeckung wurde durch starke Bänder aus Ziegenhaar, welche verschiedenfarbig gestreift waren, festgehalten. In jeder Hütte sah man wollene Matratzen, baumwollene Decken und Killim-Teppiche nett zusammen gefaltet und in Haufen aufgeschichtet liegen, bereit bei Nacht auf die Erde gelegt zu werden. Der Filz heißt Kedschi, wird von den Leuten selbst zu einer gewissen Jahreszeit an gefertigt und entspricht seinem Zwecke vortrefflich; weder Wind noch Sonne dringt durch und im Winter hält er warm, im Sommer kühl. Mrs. Scott-Stevenson und ihr Mann hielten vor dem ansehnlichsten Zelte an, fanden aber nur die Weiber daheim; dieselben empfingen sie nicht so gastfreundlich, als sie erwartet hatten, wurden aber später, als die Männer zurückkehrten, auch höflicher. Die Reisen den schirrten sofort ihre Pferde und luden ihren Wagen ab und sandten einen Jungen nach Wasser aus. Er brachte welches, das völlig brackisch schmeckte. Jene Ebene ist wegen ihrer Milchprodukte berühmt und hat doch durchweg schlech tes Wasser, ein Umstand, welcher der Engländerin auffiel: sie hatte stets geglaubt, daß reines Wasser ein Hauptcrfor- derniß znr Betreibung der Milchwirthschaft sei, während sich hier die Turkmenen eine Gegend ausgesucht hatten, wo das Wasser spärlich, schlecht und wenigstens eine halbe englische Meile entfernt war. Die Turkmenenweiber sind eine schöne, kräftige Race, mit starken Knochen und großen Gliedern, sehr fleißig und reinlich, aber ganz uncivilisirt. Aus die Engländerin blick ten sie mit äußerster Verachtung Herab und konnten ihre Verwunderung nicht verbergen, als ihr Mann und der Dol metscher desselben sie eifrig bedienten, anstatt umgekehrt. Letzterm sagten sie, sie Hütten nie zuvor ein „so nutzloses Ding" gesehen, und fragten ihn, wozu sie denn gut wäre. Mrs. Scott-Stevenson glaubte denn auch, daß es ihr schlecht gegangen wäre, wenn sie mit diesen Damen allein gelassen worden wäre. Außer dem Hauptzelte war noch ein schwarzes Beduinen zelt vorhanden, welches sür zufällig vvrüberkommcnde Fremde bestimmt war, uud von welchem die beiden Zaptiehs der Engländer sofort Besitz ergriffen. Als die Sonne sich zum Untergange neigte, begann sich die Scene zu ändern. Ringsum am ganzen Horizonte tauchten plötzlich große Herden auf, welche beim Näherkom men streng von einander gesondert blieben. Der sie beglei tende Mann oder Knabe erlaubte niemals einem Schafe, sich zu verlaufen. Zuerst kamen die Lämmer, Herde auf Herde, kleine fchwarzweiße Dinger, und warteten in kurzer Entfernung vom Lager. Als alle Thiere auch von den ent fernten Weiden zur Stelle waren, wurde auf ein bestimmtes Zeichen eine Abtheilung von Schafen und auf der entgegen gesetzten Seite eine solche von Lämmern losgelassen, und jedes Lamm sprang sofort zu seiner Mutter, welche es seit dem Morgen nicht gesehen hatte. Rührend war die Freude beider beim Wiedersehen. Die Lämmer suchten sofort nach Nahrung und saugten nach Herzenslust, wobei ihre klei nen Schwänzchen in der komischesten Weise hin und her wackelten. Blökend liefen die mutterlosen Thiere umher und erhielten auf ihrer Suche so manchen Stoß oder Fußtritt; eine der Frauen mußte einige Mutterschafe fest halten, während die Jungen saugten. Die Wölfe hatten offenbar viele von den Eltern getödtet, und die Nährerinnen waren durchaus nicht geneigt, sich der kleinen Waisen anzu nehmen. Sobald jedes genug hatte, wurden sie wieder ge trennt und in verschiedene Gehege gesperrt, um erst wieder am nächsten Morgen vor dem Austriebe auf wenige Minu ten zusammengelassen zu werden. Selbst neugeborene Läm mer werden ebenso behandelt und dürfen nicht bei ihren Müttern bleiben, weil'die Turkmenen glauben, daß sie auf solche Weise mehr Milch von den Schafen erhalten. Das selbe Verfahren wurde bei jeder Herde wiederholt, wobei ein Jrrthum in der Vermischung zweier Herden nicht vorzu kommen schien. Es war das, wie Mrs. Scott-Stevenson sagt, eine der hübschesten Sccnen, die sie je gesehen; die wilde Umgebung trug nur dazu bei, die Eigenthümlichkeit und Poesie dersel ben zu erhöhen. Die weite einsame Ebene, die Zelte und Herden, die Leute in ihrer säubern Kleidung, ihr wildes Schreien und ihre fremde Sprache, und die große unter gehende Sonne, welche ihr goldenes Licht über das ganze Bild ausgoß, das alles versetzte sie wie in ein Träumland. Die Turkmenen selbst sahen dabei weder etwas Schönes noch Poetisches; ihre einzige Sorge ging dahin, daß jedes Lamm genug bekam uud nicht mehr. Unter den Herden befanden sich einige Teftck oder An goraziegen, die au Gestalt uud Haar mehr Schafen als Zie-