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324 Das heutige Syrien. wurde auch schon im 6. Jahrhundert eine Basilika mit Badeeinrichtung über der vermeintlichen Heilquelle erbaut, im 12. Jahrhundert ein wohl zur Aufnahme von Kranken bestimmtes klosterähnliches Gebäude. Mehrere starke Pfei ler und Säulen, die sich an der einen Seite des etwa 16 Meter langen und 5 bis 6 Meter breiten Beckens heute noch erheben, sowie ein Säulenstumpf, der aus der Mitte desselben Uber das Wasser hervorragt, dürfen als Ueberreste jener Bauten gelten. Das Wasser der Quelle fließt durch einen Abzngskanal in der südöstlichen Ecke des Teiches aus und verliert sich in den im Thale belegenen Gärten; es ist von wenig angenehmem, nicht immer glei chem Geschmack, bald mehr, bald minder salzig, und wird überdies dnrch die stets am Teiche anzutressenden Wäsche rinnen und Gerber ost stark verunreinigt. Einige hun dert Schritt weiter nach Süden, an der Stelle, wo das von Westen kom mende Hinnomthal in das Thal des Kidron einmün- det, befindet sich der dritte, der sogenannte Hiobs- brunnen, der, noch heute verhältnißmäßig wasser reich, höchst selten nm- gänzlich versiegt. Das wegen seines Wohlgeschma ckes berühmte Wasser füllt oft den fast 40 Fuß tiefen, gemauerten Brunnen bis zum Rande und strömt dann als Bach das Kidron- thal hinab. Die großen steinernen Tröge zum Trünken des Bichs, die sich neben ihm befinden, stammen augenscheinlich aus sehr alter Zeit. Eine heute ganz versallcne Mo schee , die sich an der einen Seite erhebt, deutet auf die jeder annähernden Wahrscheinlichkeit entbeh rende muslimische Tradi tion, die diesen Brunnen mit der Geschichte Hiob's in Verbindung gebracht und dadurch als heilig ge stempelt hat. An dieselbe Tradition erinnert auch das unweit desselben be legene elende Gebäude, das vor wenigen Jahren von der türkischen Regierung als Hospital für Aussätzige erbaut worden ist: ein langes, einstöckiges Haus mit zahlreichen Thüren in der Front, die in eben so viele getrennte Kam mern von 7 Meter Länge und 4 Meter Breite führen. Jeder dieser kleinen Räume, der mehreren Aussätzigen, oft einer ganzen Familie dieser Unglücklichen, zum Aufent halte dient, hat in der Rückwand ein kleines Fenster. Zwei große, in der rohesten Weise aus Lehm und zerhacktem Stroh gemauerte Kasten in der Mitte des Gemachs ent halten die Borräthe an Nahrungsmitteln und Kleidung für die Bewohner, einige zerlumpte Decken und Matten in der einen Ecke bilden die ganze sonstige Einrichtung des uusaubern Raumes. Anstatt des Herdes dienen drei am Boden liegende Steine, ein Schornstein exi- stirt nicht: der Rauch muß, so gut es eben geht, durch Thür und Fenster seinen Ausweg finden, und vielleicht ist diese primitive Einrichtung, die die Lehmwände der kleinen Kammern schon längst geschwärzt hat, bei der aller Beschrei bung spottenden Unreinlichkeit noch als wohlthätiges Desin fektionsmittel von Werth. Bon ärztlicher Behandlung der Unglücklichen, von irgend welchen Versuchen, die in den vor geschrittenen Stadien des Leidens entsetzlichen Qualen zu lindern, ist nicht die Rede. Es ist eben nur eine abgeson derte Unterkunft für die Kranken geschaffen worden, in der sie sich bei Sonnenuntergang einzufinden haben., wenn ihr Tagewerk des Bettelns an den Stadlthoren und den Ein gängen der Moscheen und Chans gethan ist. Und trotz die ser eben nur unter türki schem Regiment möglichen, entsetzlichen Zustände ziehen die Kranken den Aufent halt in dem türkischen Aussützigenhause immer noch der Aufnahme in der dem gleichen Zwecke dienen den, wohlthätigen Anstalt der deutschen protestanti schen Gemeinde von Jerusa lem vor. In dieser, die unweit des Jaffathores in mitten schattiger Bäume und Gärten gelegen ist, sind die Kranken in gro ßen, gutvenlllirten Sälen untergcbracht. Geeignete Kost, aufmerksame Pflege und medicinische Bäder und Waschungen tragen wohl manches zur Linderung der Leiden bei — von irgend einem Erfolge der immer wieder unternommenen Hei lungsversuche ist indessen nicht die Rede, nnd so konccntrirt sich einstweilen das Streben der Aerzte noch hauptsächlich darauf, die Krankheit immer mehr aussterben zu lassen. Die demgemäß vollständige Ab sonderung der Geschlechter und die Jnternirung der Kranken in dem Bezirke der Anstalt lassen das türkische Aussätzigenhaus mit seiner ungebundenen Freiheit begreiflicherweise im mer vorziehm. Die Bewohner desselben wählen sich einen Scheich aus ihrer Mitte, der die Ordnung in dieser Kolonie des höchsten menschlichen Elends aufrecht zu erhalten hat. Jerusalem, Ramle und Nabulus sind die drei einzigen Städte in Syrien, in denen sich heute noch Aussätzige aufhalten dürfen; der erstere Ort beher bergte zur Zeit von Lortet's Anwesenheit daselbst etwa 100, Ramle 40 und Nabulus 50 solcher Unglücklichen, unter denen sich, wie dem Reisenden von glaubhaften Gewährs männern mitgetheilt wurde, kein einziger jüdischer Einwoh ner des Landes befand. Dieser Umstand ist indessen wohl weniger einer Raceneigenthümlichkeit zuzuschreiben (galt doch im Alterthume das jüdische Volk nur zu oft für eine „Herde Scheich der Aussätzigen.