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Der Verlauf der „Jeannette" - Expedition. 312 Die größte Tiefe betrug 80 Faden, die durchschnittliche 35; der Meeresboden bestand aus blauer Erde, und Garnelen und viele Algenarten wurden mit dem Schleppnetz erbeutet. Die Wassertemperatur betrug an der Oberfläche gegen 6"R. unter dem Nullpunkt. Die größte beobachtete Kälte betrug 58° F. unter Null (— 11 Vs" R. ?), die größte Wärme -s- 6° R. Während des ersten Winters war die Durch schnittstemperatur 330 F. unter Null (— Vs" R. ?), wäh rend des zweiten 39» (— 3Vs"N. ?); dagegen die Sommer- tempcratur durchschnittlich -s- 40 R. Der stärkste Sturm wind hatte eine Geschwindigkeit von 50 Meilen Pr. Stunde, doch waren derartige selten. Barometrische und thermome trische Schwankungen waren nicht bedeutend, und die Stö rungen der Magnetnadel stimmten mit den Nordlichtern überein. Die Zunahme der Eisdicke betrug während eines Winters 8 Fuß, und das schwerste beobachtete Eis hatte 23 Fuß Stärke. Die Sammlung von Photographien und gegen 2000 Nordlickstbeobachtungcn gingen mit dem Schiffe verloren, aber die Aufzeichnungen des Naturforschers wurden gerettet. Am 17. Mai 1881 wnrdc Land gesichtet, das erste seit dem Verschwinden von Wrangell-Land. Es war ein kleines Felscnciland, welches von seinen Entdeckern „Jeannette- Insel" getauft wurde. Seine Lage ist unter 76" 47" nördl. Br. und 158" 56' östl. L. v. Gr., und es wurde kein Versuch gemacht, auf demselben zu landen. Das Schiss trieb schnell nach N. - W. weiter, und am 24. Mai kam eine zweite Insel in Sicht. Um diese Zeit befand sich die „Jeannette" in großer Gefahr, da das Eis feld sich in schneller Bewegung befand und das Packeis rings um das Schiff in chaotischen Massen und Formen aufge- thürmt war. Am 1. Juni befand sich die Insel nur noch in kurzer Entfernung, und diesmal wurde eine Landung unternommen. Eine Abtheilung von fünf Mann unter Mclville's Kommando verließ das Schiff; sie führten einen von 15 Hunden gezogenen Schlitten, auf dem ein Boot lag, sowie Wassen, Munition, ein Zelt und Vorräthe auf sieben Tage mit sich. Nach mühsamem Marsche über das Pack eis gelang es am Abend des 3. Juni die Insel zu erreichen. Die amerikanische Flagge wurde aufgezogen, und im Namen der Vereinigten Staaten Besitz von diesem Eiland ergriffen, welches „Henrietta-Insel" benannt wurde. Dieselbe ist ziemlich ausgedehnt, hoch, gebirgig nnd anscheinend vul kanischen Ursprungs und unter einer ewigen Eis- und Schneekuppel vergletschert. Ihre Lage ist unter 77 Gr. 8 Min. nörd. Br. und 157 Gr. 43 Min. östl. L. Thiere wurden keine bemerkt. Am 6. Juni kehrte die Abtheilung zu dem Schiffe zurück. Schiff und Eis trieben nach W. und N.-W. weiter. Allmälig begannen die Eisfelder rings umher nach allen Richtungen sich zu spalten. In der Nacht des 10. Juni fanden mehrere heftige Stöße statt, durch welche die „Jean nette" mehrere Zoll in ihrem Bette emporgehobcn wnrdc. Es vermehrten sich die Anzeichen eines baldigen Aufbrechens des Eisfeldes, welches bisher das Schiff geschützt hatte, und um 10 Minuten vor Mitternacht am 11. Juni öffnete sich plötzlich das Eis dicht neben dem Schiffe, so daß dasselbe wieder völlig frei wurde und zum ersten Male seit vielen Monaten auf geradem Kiele schwamm. Das Eis blieb in Bewegung, aber ohne dem Schiffe einen ernstlichen Schaden zu verursachen. Da kam der Morgen des 12. Juni, des Todestages der „Jeannette". Das Packeis begann sich um das Schiss herum zu stauen, so daß dieses unter dem ungeheuer» Drucke sich nach Steuerbord (der rechten Seite) überlegte und die Fugen des Verdecks sich öffneten. Diese Pressungen wiederholten sich während des ganzen Tages von Zeit zu Zeit, bis zum Abend, als es klar wurde, daß die „Jeannette" nicht viel länger Zusammenhalten würde. Kapitän De Long ließ nun alle Vorbereitungen zum Verlassen des Schiffes treffen; die Boote wurden auf das Eis herabgelassen, nnd Vorräthe, Lebensmittel, Waffen, Zelte, Alkohol, Schlitten und jede nöthige Ausrüstung auf dem Eisfelde in Sicherheit gebracht. Bis 6 Uhr Abends hatte sich das Schiff fast ganz mit Was ser gefüllt; es lag im Winkel von 22 Grad auf der Seite und wurde nur durch die gegenüberliegenden Ränder des Eisfeldes am Sinken gehindert. Am Morgen des 13. Juni, gegen 4 Uhr, öffnete sich das Eis, und die „Jeannette" ging, mit vom Maste wehender Flagge, unter. De Long blieb mit seinen Leuten sechs Tage lang auf diesem Eisfelde, um die Art und Weise des Rückzuges nach Süden zu organisiren. Die genaue Position des Schiffsnuterganges wnrdc mit 77" 15' nördl. Br. und 155" östl. L. festgestellt. Am 18. wurde der Marsch südwärts angetreten, indem die mit Vor- räthen gefüllten Boote nnd Schlitten über das Eis gezogen wurden. Am 24. gelang cs eine astronomische Beobachtung zu machen, wobei sich herausstellte, daß die Schiffbrüchigen sich unter 77" 42' nördl. Br. befanden, nnd somit nach sechstägigem Marsche nm 27 Meilen weiter nach Nordwesten getrieben waren! Mit verdoppelten Anstrengungen wurde jetzt der Marsch nach Südwesten fortgesetzt, um das Ziel, die Neusibirischcn Inseln, zu erreichen. Der Schnee auf dem Packeise war knietief, und da die Mannschaft nicht zahl reich genug war, um die Boote und Schlitten mit der vollen Last mitzuziehen, mußte sie nicht weniger als dreizehn Mal denselben Weg zurücklegcn, davon sieben Mal mit Bepackung. Am 29. Juli wurde wieder eine neue Insel erreicht, welche nach Aufziehen der Flagge und Besitzergreifung Bennett-Insel gctanft wurde. Die Position derselben ist unter 76" 38' nördl. Br. und 150" 30' östl. L. Sie scheint demnach, wie auch die beiden früher entdeckten, ein nach Nordost vorgeschobener Vorposten der Neusibirischen Inseln zu sein. Die Bennett-Insel ist von bedeutendem Umfang, mit steilen Felsenküsten, an welchen eine starke Fluththätigkcit beobachtet wurde. De Long mit seinen Leuten passirten das östliche Ende der Insel; sic sahen viele Vögel, aber kcine Seehunde und Walrosse. Am Strande fanden sie Treibholz, Kohlen (?) und alte Hörner (von Renthieren?); die Südspitze erhielt den Namen Kap Emma. Am 6. August wurde der Rückzug fortgesetzt. Es zeigte sich jetzt hin und wieder offenes Wasser, so daß die Boote benutzt werden konnten; dazwischen mußten wieder mühsam die Schlitten gezogen werden. Endlich kam die Nordküste der Thaddäus-Insel (Fadjejewskoi), der Mittlern der Neusibirischcn Gruppe, in Sicht, aber in Folge der enor men Eishindernisse gingen zehn Tage verloren. Erst am 31. August konnten die Schiffbrüchigen auf der Südseite dieser Insel landen. Sodann wandten sie sich nach Westen, um das Südende derKessel-Jnsel (Koteljnoi) zu er reichen. Von hier ging es am 6. September weiter, und am nächsten Tage wnrdc in Sicht der kleinen Stolbowoi- Jnsel aus dem Eise gelagert. Am 10. landeten sie auf dem Semenow-Eiland, welches nur noch 90 Meilen nordöstlich von dem nördlichsten Punkte des Lena-Deltas liegt. Zur Zurücklcgung dieser Strecke über ein gänzlich eis freies Meer vcrtheilte Dc Long seine Leute auf die drei Boote: er selbst übernahm den ersten Kutter, begleitet von Dr. Am bler, dem Korrespondenten Collins und 11 Mann; der erste Lieutenant Chipp erhielt den Befehl über den zweiten Kut ter, mit dem Eislvotsen Duubar und 6 Mann, und der zweite Lieutenant Dannenhauer, mit Oberingenieur Melville,