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der Halbinsel, die erst im siebenten Jahrzehnte desselben wieder mehr ausgenommen wurde. Das achte jedoch scheint alle vorhergehenden übertreffen zu wollen: im laufenden Jahre haben nicht weniger als drei deutsche und eine öster reichische Expedition Kleinasien zu ihrem Ziele erwählt. Ueber dieselben geben die folgenden Zeilen einige kurze An deutungen. Der baierische Ingenieur Sester war sieben Jahre lang als solcher im Wilajet Diarbekir angestellt und ent deckte bei seinen amtlichen Reisen unfern des Mittlern Eu phrat, westlich von Diarbekir und nordwestlich von Gerger, ein altassyrisches Monument auf einem Berge, welcher ihm als Nimrud Dagh bezeichnet wurde. Es ist derselbe, wel chen vor 44 Jahren der damalige Major von Moltke, der jetzige Generalfeldmarschall, von fern gesehen hat, und der nach seinen Angaben unter dem sonderbaren Namen „Di- bolsun (d. i. „unten soll es sein") Kaleh" auf die Kie- pert'sche Sechs-Blatt-Karte vonKleiuasien (Berlin 1844) eingetragen wurde. Dort oben soll sich ein gewaltiger Tumulus aus Quadern von mehr als 100 Fuß Höhe er heben, an dessen Fuße granitene Löwen ruhen, während zwölf an 50 Fuß hohe, inwendig hohle Granitkolosse her umstehen. Auch Keilinschriften sollen sich finden. Kaum war die Nachricht von diesem, sollte er sich bestätigen, höchst merkwürdigen Funde von Alexandrien, wo sich Sester auf hielt, nach Berlin gelangt, als dort mit großer Schnellig keit die nöthigen Mittel zur weitern Aufhellung der Sache bereit gestellt wurden. Das gute Glück wollte es, daß sich in Alexandrien gerade ein Stipendiat der archäologischen Centralkommission, Herr Dr. Puch st ein, befand, welcher dort die Berührungspunkte zwischen klassischer und ägyp tischer Kunst studirte. Er und Herr Sester begaben sich alsbald per Dampfschiff nach Alexandrette, wo noch ein Photograph zu ihnen stieß, stiegen über das Gebirge Ania nus, wahrscheinlich ans demselben Wege, auf welchem eiust Darius mit seinen Persern dem südwärts eilenden Alex ander in den Rücken zu fallen suchte, und trafen am 21. April in Aintab ein. Auch ihre Hin- und Rückreise wird, abgesehen von den topographischen Aufnahmen, vielleicht nicht ohne Nutzen für die Wissenschaft sein. Unweit östlich des Amanns liegt ein Dorf Sachtzu-Gözü, wo unlängst das Ehe paar Scott-Stevenson (s. oben S. 279) vier assyrische Re liefs aufgefundcn hat; dieselben waren nach Angabe der Bewohner aus einer nahen Nuinenstätte herbeigeholt wor den, welche noch mehr dergleichen enthalten sollte. Diese so wohl gilt es näher zu untersuchen, als auch den noch nicht eröffneten Trümmerhügel Duluk bei Aintab, das alte Dolichc, welches im Mittelalter als syrischer Bischofssitz ge nannt wird, und noch zu Saladin's Zeiten ein berühmtes Schloß war, sowie vielleicht das noch nicht wieder aufgefun dene antike Germanicia, welches von den Kirchenschrift stellern als Geburtsort des Ketzers Nestorius oft erwähnt wird, und das zwischen Aintab und Samsat zu suchen ist. Zweitens ist Mitte April von Wien eine wissenschaft liche Expedition nach Lykien abgegangen, an deren Spitze der Archäologe Professor Bendorf steht (vergl. über seine vorjährige Reise „Globus" XD, S. 191). Die Mittel zu dieser Unternehmung gewährt eine Gesellschaft von Kunst freunden und Mäcenen, welche sich archäologische Forschun gen in Kleinasien zum Ziele setzt und die zu findenden Kunstwerke den Wiener Sammlungen einzuverleiben ge denkt. Außer dem Leiter und seinen vorjährigen Reise gefährten, dem Architekten Georg Niemann und dem vr. mack, von Luschan, nehmen auch jüngere Kunstge lehrte (Prof. Dr. Petersen, Dr. Robert Schneider, Dr. Locroy, Dr. Studnioka) und der Geologe Dr. Emil Tietze an der neuen Expedition Theil, deren näch stes Ziel die Monumente von Gjöl-Baghtsche und Jau, des antiken Kyaneai, im südlichen Lykien bilden, welche der ver storbene Posener Professor Schönborn schon im Jahre 1841 besuchte. Aus seinem leider nie veröffentlichten Reisewerke, das er im Manuskripte benutzen konnte, hat Carl Ritter (Erdkunde von Asien Bd. IX, Theil II, S. 1136 ff.) eine eingehende Beschreibung dieser Antiqui täten abgedruckt, auf welche wir hier verweisen. In Gjöl- Baghtsche ist es vor allem der 25 bis 30 Schritt lange und breite, einen jetzt verschwundenen Sarkophag umgebende viereckige Peribolos mit seinen Reliefs, welcher die Auf merksamkeit der österreichischen Forscher auf sich zieht: „In Verlegenheit — sagt Schönborn— sei er, was er über die Reliefs selbst sagen soll. Ich würde es vermögen, wenn ich mich hätte entschließen können, Notizen zu machen, statt mich an der Schönheit derselben und au dem Gegen stände, den sie bieten, zu erfreuen und sie zn bewundern. War es doch der trojanisch e Krieg, den ich vor mir hatte, Homcr's Schöpfung in bildlicher antiker Darstellung, und ich gestehe, daß ich mich daran nicht satt sehen konnte. Wer hätte auch lange zweifeln können, was ihm vor Augen stehe? Das Relief in der Ecke der Westseite zeigt den Achilles sitzend bei dem hochgeschnä belten Schiffe, voll Erbitterung den Kopf niit der Hand unterstützend. Es folgt der Herold, der die Versammlung beruft, und die Krieger kommen, Schlachtscenen reihen sich an, auf die Stadt selbst wirft sich der Kampf, an dem Thore wird gestritten, die Schar der Greise sitzt über dem Thore und so zieht sich Bild an Bild hin, ein reiches Le ben mit griechischer Sicherheit in den Gruppen, in den Be wegungen, in den Proportionen der einzelnen Gestalten ent worfen" (a. a. O. S. 1138). „Ich trage kein Bedenken," sagt Schönborn, „es ausznsprechen, daß diese Reliefs in ge höriger Höhe aufgestellt jedem Museum zu einer wahren Zierde gereichen würden, wie reich es auch sonst ausgcstattet sein mag"; und er gesteht, daß das Ganze einen so erhe benden Eindruck macht, wie er ihn auf seiner ganzen Reise nicht wieder gehabt hat. Möge es Wien, der an Antiken verhältnißmäßig armen Stadt, bald vergönnt sein, jenen Reliefs in seinen Mauern eine ebenso würdige Stätte zu bereiten, wie sie den Pergamenischen Funden in Berlin in Aussicht steht! Auch diese Bendorf'sche Expedition wird sich geographische und geologische Aufnahmen angelegen sein lassen. Im Sommer dieses Jahres wird sodann Carl Hu mann, der glückliche Finder von Pergamon, von Brussa aus nach Angora reisen, um, wenn möglich, einen voll ständigen Abklatsch des Nonnmsntum Ano^runum zu er langen, jener von Kaiser Augustus selbst verfaßten Uebcr- sicht seiner Thaten, welche uns in ihrer Gesammthcit noch nicht bekannt ist. Die überaus lange Inschrift ist zum Theil durch türkische Häuser verdeckt, welche an die antike Tempelmauer angebaut sind; diese gilt es auzukaufen und fortzureißcn. Ein zweites Exemplar derselben Inschrift befindet sich in Uluburlu, dem alten Apollonia bei Apamca inl südlichen Phrygien, welches Humann vielleicht von An gora aus direkt, vielleicht aber auch erst auf einer zweiten Reise besuchen wird. Dabei wird er im Einverständniß mit Prof. H. Kiepert möglichst uubetretcne Wege zn ge hen und namentlich den untern Lauf des Pursak, des gro ßen westlichen Zuflusses des Sakaria, zn erforschen suchen. Vor ihm ist diese Route nur zweimal, so viel wir wissen, ungeschlagen worden, das erste Mal im Jahre 1555 von der Gesandtschaft unter Busbek, welche Kaiser Ferdinand I.