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300 Reisen in Kleinasien im Sommer 1882. sein; wie es scheint, war er sechskantig. Die Manern be stehen aus ziemlich gleichmäßig gelegtem, grauem Gestein, die Kanten aus weißen Quadern. Von dem Kastell, zu dem er gehörte, blieb nur ein kleines Stück Mauer, alles andere ist ein Schutthaufen, überwuchert vou Busch und Dorn. Hoch oben an einer der inneren Ecken hangen die Reste eines gothisch zugespitzten Kamins; daneben sieht man eine Thüröffnung aus behauenem Stein und zwei aus glei chem Material hergestellte Nischen, wie sie die Alten zur Aufbewahrung der Götterbilder benutzten. Eigenthümlich ist, daß der Thurm auf der Innenseite nur zwei Ecken auf weist. Wir bedauerten den Mangel an Zeit, sonst hätten wir eine hohe Leiter aus dem Dorfe holen lassen und wür den die zwei Zimmer besichtigt haben, die in der dicken Wand stecken, wie uns Hirten erzählten. Einer davon hatte die Thür unter großen Beschwerden einmal erklettert und war zwar in den Zimmern gewesen, konnte uns aber nichts Näheres mehr erzählen. Von außen ist nirgends eine Fensteröffnung zu sehen; es muß also mit den Zimmern eine eigene Bewandtniß gehabt haben. Ueber das Alter des Gemäuers ist schwer etwas zu sagen; jedenfalls ist es alt, seine Lage eine günstige und schöne. Gegen Norden reicht der Blick bis zum Petrov vrh in der Daruvarer Gebirgs kette, die einst ebenfalls von einer Burg gekrönt war. Unter halb des Berges, auf dem wir standen, zieht sich eine Schlucht südlich ins Gebirge. Ich vermuthe, daß die Ruine Caklovac, einst ein festes Kastell, jedenfalls der historischen Familie der Dragfy gehört habe, und schließe dies aus dem Namen des Dorfes Dragovio. Das magyarische „h" und das kroatische Zv« bezeichnen beide „Sohn". Dragov ist ein Posscssivadjektiv, entstanden durch die an den Adjektiv stamm „vraZ" gehängte Endung „ov". Im Namen „Dragw" ferner ist das io an den reinen Adjektivstamm mit Ausstoßung des ov getreten. Somit ist Dragovio und Dragio gleichlautend mit dem magyarisirten Dragfy. Von der Geschichte der Burg sei nur Einiges erwähnt. Im Jahre 1595 fand unweit davon im Engpässe eine Schlacht zwischen 20 000 Türken unter Pardi Pascha und Smail Pascha von Kostajnica und einer um die Hälfte schwächern Schar Kroaten unter Herberstein und Lenkovio statt, die mit der Niederlage der Moslims endete. Am 2. Mai 1596 kam Franz Jlinio mit aufständischen Slavoniern vor Caklovac, nm von dem Renegaten Rustan Aga Sladovio, dem Be fehlshaber des Schlosses, dessen Rohheit und Willkür alle Grenzen überstieg, sein ihm entführtes Weib zurückzufordern. Rnstan zog den Säbel, wurde aber von Jlinio überwältigt, gebunden, und als die Türken vor den Seinen wichen, an einem starken Seile mit Hilfe der Knechte zum Fenster Hin ausgelasfen und an das Fensterkreuz gehängt. Später zogen die Türken wieder in Caklovac ein, worauf es im Jahre 1599 Peter Bakaö einnahm und plünderte. Trotz so vieler Wechselfülle bekamen es die Türken doch abermals in ihre Gewalt, bis sie 1762 daraus vertrieben wurden. Seit jener Zeit liegt das Schloß in Trümmern. Die Gegend war damals viel besser bevölkert, als jetzt, allein nach jenen schrecklichen Verwüstungen konnte sich das bedauernswerthe Volk nicht erholen. Nach Besichtigung der Burg begab ich mich nach Dra govio hinab und bald saß ich im Wagen, der mich in einer halben Stunde nach Kusonje brachte. Der Ort steckt, ähnlich wie Dragoviö, hinter Zäunen. Wohlthätig ist das schöne Grün der Wiesen zu beiden Seiten der Straße, die von hier an ausgezeichnet zu nennen ist. Nach einigen Windungen führt sie einen ganz niedrigen Hügel hinan, von dem aus das Auge gegen Südwest einen schönen Ge birgskessel sowie in viertelstündiger Entfernung die Kirch- thürme und einen Theil des Marktfleckens Pakrac erblickt. Eine Reihe hübscher, reiner Häuser, die freundlich anmuthen, gereicht dem Flecken zur Zierde. Ueber eine feste Stein brücke, die sich in weitem Bogen über die Pakra spannt, gelangt man in das am rechten Ufer des Flüßchens liegende große Gasthaus, wo man gute und billige Unterkunft findet. Als ich Morgens das Fenster öffnete, strich die frische Ge birgsluft belebend herein, die Berge lagen in leichtem durch sichtigen Nebel und fesselten durch ihre angenehmen Formen meinen Blick. Zu meinen Füßen floß die Pakra. Sie entspringt in der Nähe des Papuk bei Zvcoevo, wälzt ihre Wellen über Biela und Siraö daher und weiterhin in süd westlicher Richtung der Jlova zu. Im Bette liegen unter Kies und grobkörnigem Sand mächtige Steinplatten und Blöcke, vom Hochwasser mit tobender Gewalt aus dem Ge birge herbeigekollert. Wie die anderen Bäche dieser Bcrg- züge richtet auch die Pakra zeitweilig große Verheerun gen an. Reisen in Kleinasien im Sommer 1882. Betrachtet man irgend eine neue Karte von Kleinasien, deren es freilich nur solche in einem sehr kleinen Maßstabe giebt, so wird die Fülle von Ortsnamen, von Flüssen und Wegen, sowie die detaillirte Bergzeichnung wohl die meisten zu dem Glauben verführen, daß dieses vor den Thoren Eu ropas liegende Land zu den besterforschten und genauest be kannten auf Erden gehört. Und doch stehen wir, von den Hauptorten und Hauptrouten abgesehen, erst im «Anfänge unserer Erkenntniß, und noch auf lange Zeit hinaus wird die mächtige Halbinsel naturwissenschaftlichen, archäologi schen, ethnologischen und anderen Reisenden des Stoffes in Hülle und Fülle bieten. Ungeahnte Schätze mögen noch in den zahlreichen Ruinenhaufen verborgen schlummern und einer vielleicht nahen Auferstehung harren; das Studium der Bewohner, kaum erst in Angriff genommen, wird noch manches ungeahnte Licht nicht nur auf frühere Zeiten, son dern in Verbindung mit der geschichtlichen Ueberliefernng auf die Grundzüge der Ethnologie selbst werfen, und wer mag sich rühmen, schon jetzt genaue Kcnntniß von den Na turschätzen des Landes zu haben? Vor uns liegt eine ge waltige Manuskriptkarte von Kleinasien im Maßstabe von 1 : 400 000, auf welcher Professor Heinrich Kiepert alles bisher veröffentlichte und eine Menge noch nicht ver öffentlichten kartographischen Materials zusammengetragen hat, so ziemlich die Summe dessen, was man von der Geo graphie des Landes augenblicklich weiß und wissen kann. Aber wenn auch stellenweise ein dichteres Routennetz einzelne Landschaften überspannt, so bezeichnen doch leider allzu zahl reiche und oft gewaltig große weiße Flecken die weite Aus dehnung unbekannten Gebietes. Nach den bedeutenden Leistungen der dreißiger und vierziger Jahre dieses Jahr hunderts geschah lange Zeit nur wenig für die Erforschung