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296 Die Makua in Ostafrika. Die Makua, welche ein Gebiet größer als England bewoh nen, zerfallen nach ihm in vier große Abtheiluugen, die Un teren Makua, die Lomwe oder Oberen Makua, die Maua und die Biedo. Von den beiden letzteren ist bis jetzt nichts Genaueres bekannt; doch glaubt O'Neill, daß sie sich in kei nem wesentlichen Punkte von den ersten beiden unterscheiden werden, vielleicht nur durch einige dialektische Abweichungen und durch andere Stammcsmarken nnd Charakteristiken. Das Folgende indessen bezieht sich nur auf die Unteren Makua und dieLomwe. Die unterscheidenden Stammes- zeichen oder Tatuirungen sind unter den verschiedenen Uuterabtheilungen des Volkes sehr verschieden. Am tiefsten und ausgeprägtesten finden sie sich bei den Unteren Makua: auf der Stirn tragen dieselben groß und breit einen Halb mond, dessen beide Spitzen bis zu den Schläfen reichen, und an beiden Mundwinkeln tiefe nach oben gerichtete, etwa zolllange "Narben H. Gruppen von Flecken und kurze dicke Liuicu auf Armen, Bauch und Rücken vollenden den sonder baren Schmuck. Deu Halbmond tragen aber nnr die Män ner; die Abzeichen der Weiber sind leichter gehalten und weniger zahlreich. Je weiter man nach Westen kommt, desto spärlicher und leichter werden auch bei beiden Geschlechtern die Tatuirnngen, und unter den Lomwe sicht man manche Gesichter, welche davon fast frei sind. Der junge Makua-Stutzer sammelt und bindet sein Haar mit feinen, aus der Wurzel des Mlamba-Baumes ge fertigten Bändern sauber in Strähnen von 1/4 Zoll Durch messer, welche steif wie kurze Ruthen vom Kopfe abstehen und nnr an der Basis beweglich sind. Auf die Enden der selben werden dann Bündel großer rother Perlen gesteckt. Andere rasiren sich breite Fnrchen auf dem Kopfe, die sich rechtwinklig schneiden, und lassen das Haar in länglichen Vierecken stehen. Die Vorderzähne werden gewöhnlich spitz gefeilt; die Weiber tragen in der Oberlippe eine aus einer großen Meermuschel gefertigte Scheibe oder einen Cylinder (nach Thomson „xolslo" genannt), der mitunter bis an die Nase reicht. Hinsichtlich der Kleidung läßt sich nicht viel sagen, weil so wenig getragen wird, und die Tracht überall die gleiche, einfache ist. Wo Zeug zu kaufen ist, tragen die Männer einen bandartigen Streifen um die Hüften, an wel chem hinten und vorn Lappen von 10 bis 12 Zoll Länge hängen, und die am vollständigsten bekleideten Weiber win den sich unterhalb der Taille ein Stück nnr den Leib, das bis zu den Knien hinabreicht. Weiter im Westen treten Thierfelle an die Stelle des Zeuges; dieselben werden von beiden Geschlechtern in der eben beschriebenen Form von Lappen getragen, die zuweilen sonderbar zugeschnitten sind: für das Hintertheil besonders beliebt ist der Arm eines Mal teserkreuzes, mit den Spitzen nach unten. Mcssingringe um Arme und Beine sind der unterschei dende Schmuck eines Makua-Häuptliugs und seiner Frarren und werden von keinem andern getragen. Unter dem ge meinen Volke aber sicht man oft Weiber mit einem Perlen kranze um die Stirn und jüngere mit einem schweren Wulste derselben, meist roth und schwarz, um den Hals. Einen Punkt hat die Lomwe-Dame mit ihrer civilisirten Schwester gemein: beide ziehen die Sitten und Erzeugnisse fremder Länder den eigenen vor, und wenn z. B. ein Makua-Fräu- lcin zwischen einem Gazellensclle und einem Bündel Perlen zu wühlen hat, wird sie stets ersteres verwerfen und einfach und allein mit letzteren geschmückt herumstolziren. >) Diejenigen Makua, mit welchen Thomson in Berührung kam, trugen eine hufeisenförmige Marke in „Relief" über dem Nasenrücken; die Narben am Munde hat er nirgends bemerkt. Um seinen Häuptling oder sonst eine Respektsperson zu begrüßen biegt sich der Makua nach vorn, streckt beide Arme in ihrer ganzen Länge in einem spitzen Winkel zum Körper aus uud schlägt zwei-, dreimal oder öfter, je nach dem Grade der Ehrerbietung, die er beweisen will, mit den Händen zusammen. Im Dorfe des Njiga unweit der Küste beobachtete O'Neill das merkwürdige Schauspiel der Morgeu- begrüßung eines Makua-Häuptlings durch seine Weiber. Mehr als 30 derselben lagen vor der Verandah, in welcher ihr Gebieter saß, auf den Knien und klatschten mit aufrechtem Oberkörper langsam und leise mit den Händen, wobei eine den Takt angab. Das dauerte verschiedene Minuten, und während dessen mußte der Reisende außerhalb der Umzäu nung warten und wurde erst eingcladen näher zu treten, als die Weiber sich erhoben und wegbegcbcn hatten. Obwohl ihre Stellung etwas sklavisch aussah, zeigten ihre Gesichter keineswegs Furcht; jedenfalls war die Begrüßung respekt voll, in solcher Umgebung selbst natürlich und nicht unmusi kalisch. Der Makua-Häuptling lebt allein unter seinen Wei bern; der Umfriedigung, welche seine uud ihre Hüttcu um schließt, wagen nur wenige Privilcgirte sich zu nahen. Seine „Baraza" für officielle Audienzen liegt stets außer halb derselben. Die Weiber kochen sein Essen, brauen aus Mais den „Pombe", welchen er aus einer von einer seiner Licblingsfrauen gehaltenen Kalabasse trinkt, und warten ihm beständig auf, seines Winkes und seiner Launen gewärtig. Besucht er einen Fremden, so begleiten ihn oft einige seiner Frauen, und selbst als Schwertträger sah O'Neill eine der selben fnngiren. Biele halten eine große Anzahl Weiber; Njiga uud Bwebwe haben etwa je 100, Gavala und Na- murola über 200, und die Umzäunungen, welche die Hütten derselben einschließen, sind in der That groß genug, um solche Zahlen glaublich erscheinen zu lassen. Wenn einer von O'Neill's Führern ihm einen großen Begriff von der Wichtigkeit eines Häuptlings beibringen wollte, so sagte er ge wöhnlich : „Er weiß nicht, in welcher Hütte er schläft." Biel leicht um einen Anhalt in Betreff seines Aufenthaltes zu haben, sind die Weiberhütten in Vierecke (Blocks) getheilt, in deren jedem an 30 bis 40 Frauen wohnen, 4 bis 5 in jeder Hütte. In periodischen Zwischenräumen begiebt sich der Gebieter von einer zu der andern, ein Ereigniß, welches von den Insassinnen der beglückten Abtheilung durch ein großes nAoma (Schlagen der Trommeln) gefeiert wird. Die Scheidung zwischen diesen Abtheilungen liegt für das Auge eines Fremden nicht klar zu Tage; allein überall wurde dem Reisenden ihr Vorhandensein versichert. Auch bedeutet ein solches Wandern des Häuptlings keine Verle gung seiner Residenz — denn seine eigene Hütte ist stets von denen seiner Weiber getrennt —, sondern nur eine Aen- derung in den Zielen seiner ehelichen Besuche. DerMakua ist ein leidenschaftlicherFrennd vom öffent lichen Sprechen; am Lagerfeuer, wo ein Küstenbewoh- ncr singt und tanzt, erhebt er sich und hält seinen Gefährten eine Rede. Das Sonderbarste dabei aber ist, daß ihn stets ein Zweiter, eine Art von Assistent, begleitet, welcher zu gleicher Zeit sich erhebt, zuvörderst in hohem Falsett mit Hei-ho-ah-he um Aufmerksamkeit bittet und bei jeder Pause, welche der Sprecher macht, unter Variationen damit fort führt. Der Zweck davon scheint zu sein ungeschickte Pausen zu vermeiden; theilwcise scheint ein musikalischer Instinkt dazu anzutrcibcn. Wenn der Redner in seiner Erregung die Stimme ungebührlich erhebt, so modulirt sein Assistent so fort seine Begleitung, wie um die Rauhheit von dessen Stimme zu entschuldigen oder vielleicht nm durch den Gegen satz die Kraft seiner Worte zu erhöhen. Wenn der erste,