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284 Dr. O. Heyfelder: Ethnologisches aus der Oase der Achal-Teke. 3 bis 4 Uhr statthatte. General Skobolew bot ihnen noch einmal an, sich zu ergeben, worauf sie prahlerisch und ab lehnend antworteten. Man legte ihnen nahe, Frauen und Kinder aus Dcngli-Tepe zu entfernen, was sie ebenfalls in ruhmredigen Worten abschlugen. Auch die von unseren Soldaten bis unter die Mauern getragenen Todten holten sie nicht ab. Wir standen auf unbeschütztem Terrain nahe an der Festung und sie waren zahlreich auf deu Wällen erschienen. Man unterschied einen Mullah und Tekma- Syrdar neben einander zuvorderst auf der Mauer, beide in lange Talare gekleidet. Wir hörten ihre Stimme, sie die Zurufe der Unserigen. Als die Zeit des Waffenstillstandes zu Ende ging, riefen sie uns zu: „Versteckt Euch jetzt, wir werden gleich wieder zu schießen anfangen!" Wir tauchten wieder in den Trancheen unter und das Scheibenschießen nach uns von Dengli-Tepe aus, die Minirungsarbeiten uud die Belagerung von unserer Seite gingen wieder ihren Gang wie vorher, bis am 12. (24.) Januar der Sturm gelang. Auch ihre Kriegführung war charakteristisch und eines wilden, tapfern und ehrenwerthcn Volkes würdig. Zwar boten sie uns nie und nirgends eine Feldschlacht an. Aber dazn waren ihre undisciplinirtcn Reitertrupps auch nicht angelegt. Doch appellirten sie nur an ihre Tapferkeit, ihren Muth und an ihren Hort, die Hanptfestung Dengli-Tepe, welche sammt den befestigten Gärten von Angi-Kala und den in weiterm Umkreis gelegenen Forts die Oase zwischen dem Kopet-Dagh und der Wüste geradezu absperrte. Aller dings beunruhigten sie unsere kleinen befestigten Lager, unsere Karawanen und unsere Abtheilungen, besonders wenn letztere schwach an Zahl waren. Mit großer Frechheit um schwärmten sie namentlich die Nachhut und wehe dem, des sen Pferd zurückblieb. Es wurde augenblicklich umzingelt und gefangen, was zum Glück selten genug vorkam. Denn sie tödteten die Gefangenen unter grausamen Martern. Das Bewußtsein unübertrefflich gut beritten zu sein, gab ihnen der Reiterei gegenüber einen gewissen Uebermuth; dagegen fürchteten sie die Infanterie. In den vor dem letz ten Vormarsch verlesenen Instruktionen war daher aus drücklich gemahnt, den Einzelkampf mit ihnen zu vermeiden und sich möglichst in geschlossenen Massen dem tapfern, unternehmenden Feind gegenüber zu verhalten. Ihre nächt lichen Ueberfälle gegen unser Lager und die Trancheen am 28. und am 30. December 1880 sowie am 4. Januar 1881 wurden mit Todesverachtung und wilder Bravour ausge führt. Gewöhnlich hörte ihr Schießen mit dem Tageslicht auf. Dann wurde es ruhig im Lager, ein gewisses Be hagen kehrte bei uns ein und nach einiger Zeit überließ man sich der Nachtruhe. Da stürzten dann unter wildem Allah geschrei, als sei die Hölle losgelassen, einige Tausend Tekes über die erste Linie der Trancheen oder über einen Theil des Lagers her, dasselbe oft von mehreren Seiten zugleich angreifend. Verwundeten sie viele der Unserigen, so fielen dafür eine Menge der Ihren. Tekma-Syrdar's junger Sohn kam bei einem dieser Ueberfälle ums Leben. Dabei waren sic mit guten nnd schlechten Klingen, mit modernen und ganz altväterischen Gewehren bewaffnet. Ihre Piken waren zum Theil nur an eine Stange gebundene Messer. Eine einzige alte englische Kanone, die sie seinerzeit den Persern abgenommen, antwortete von der Festung aus auf unser überlegenes Artilleriefeuer. Aber während des mehrere Mo nate dauernden Feldzuges kam kein Verräther und kein Ucberläufer von ihnen zu uns, auch kein falscher Ucber- läufer, der uns täuschende, unwahre Nachrichten gebracht hätte. Keinerlei Kriegslist wird in Scene gesetzt, keine Falle uns gelegt. Sie erkannten, daß der immer weiter vorschreitende Telegraph für unsere Truppen von Bedeu tung war. Sie beobachteten, daß unsere Karawanen und marschirenden Abtheilungen nicht selten an den Telegraphen stangen hielten und die darauf gebrannten Zahlen ablasen, wodurch wir die Zahl der zurückgelegten Werste berechneten. So kratzten sie denn einmal ans der ganzen Strecke diese Zahlen in einer Nacht von den Telegraphcnstangen und hofften, wir fänden ohne diese Zahlen den Weg nicht mehr nach Haus. Hätten sie gewußt, daß das Zerstören der Leitungsdrähte uns Schaden brächte, sie hätten uns tag täglich in große Verlegenheit setzen können. Diese un schuldige Kriegslist war die einzige, deren ich mich erinnere. Auch hätten sie durch Ableiten des zugeführten Wassers oder durch Ucbcrschwcmmen des uns umgebenden Lehmbodens uns wirksam schädigen können, doch geschah nichts dergleichen, obgleich sie die Kunst der Bewässerung, des Ab- und Zu leitens der Flüsse meisterhaft verstehen. Den Ausschlag bei dem Sturm gab die Dynamitmine. Denn das syste matische Heranrücken der Trancheen verspotteten sie, den durch die Artillerie hier und da gemachten Schaden an den Mauern besserten sie konsequent durch erdegefüllte Säcke, durch neue Wälle und Erdaufschüttungen aus. Da aber am 12. (24.) Januar Morgens etwa um 9 Uhr ein Theil ihres unüberwindlich geglaubten Festungswalles mit Getöse in die Luft flog und unter sich Roß und Reiter begrub, da glaubten sie, Allah selbst habe sich gegen sie gewandt, und es begann die Flucht auf schnellen Pferden zu dem nörd lichen Thor hinaus, indeß allerdings Scharen von Männern und sogar Weibern auf den Wällen die anstürmenden Ba taillone mit Schüssen und geschleuderten Steinen, Erd schollen und Geräthen empfingen. Nachdem die Festung schon genommen war und ich innerhalb derselben verband, schossen noch verwundete Tekes aus den Erdwohnungen her aus. Sie ergeben sich nie, wir hatten keine Gefangene ge macht. Die verwundeten Frauen setzten anfangs unseren Versuchen, sie zu verbinden, leidenschaftliche Gegenwehr ent gegen. Als nach einiger Zeit einzelne Trupps der gegen Mcrw Entflohenen zurückkehrten und ihre Frauen und Kinder ab holten, so sonderten sie sich sogleich nach Dvrfschaften (Auls) oder Stämmen von einander, die gesonderte Lager auf schlugen und nichts mit einander gemein haben wollten. Ein krankes altes Weib wollte das nächste Dorf uns nicht abnehmcn, weil sie nicht ihres Stammes sei, und als wir sie ihnen doch hintragen ließen, brachten sie dieselbe Nachts heimlich zurück. Wir boten Alles auf, um für die verwun deten Frauen einige Tekeweiber zur Pflege zu bekommen, wir boten Geld, gaben gute Worte, drohten mit Zwangs maßregeln — umsonst. Eine Frau, die ihre schußverletzten Verwandten besuchte und Pflegte, wollten wir bereden, auch Anderen Pflege angedeihen zu lassen. Aber sie sagte, „Jene sind nicht von meinem Aul" und that es nicht. Diese Abwesenheit einer Organisation in staatlicher» militärischer oder socialer Beziehung beobachtete ja auch O'Donnovan bei den Merw-Tekes. Als wir später mit ihnen auf gutem Fuß standen, hatte man nicht selten sich ihrer Zudringlichkeit und Habsucht zu er wehren. Sie besuchten uns, mehr als uns angenehm war, in unseren Zelten, faßten Alles an uud suchten, namentlich Mädchen und Frauen, halb durch Bitten, halb durch Nehmen sich europäischer Gegenstände zu bemächtigen. Kamen wir durch einen Aul geritten, so brachten kleine Jungen den Pfer den ein Paar Hände voll Heu und verlangten dafür Be zahlung. Sehr gern wandten sic sich an dic Aerzte um Rath oder Arzneien.