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Theodor Kirchhoff: Streifzüge im Nordwesten der Vereinigten Staaten. 267 kleine gefiederte Sänger darin keinen Schaden leidet, schien mir allerdings eine starke Zumuthung zu sein. Aber ich konnte als Adoptivsohn des gegen das schwächere Geschlecht bekanntlich sehr galanten Amerika der hübschen Fremden diese naive Bitte doch nicht abschlagen und begnügte mich mit ihrem dankbaren Lächeln als Lohn für meine Mühe. Auf der Weiterreise bildete der Stepton Butte, ein hoher sich kuppelförmig erhebender Berg, der in nördlicher Richtung lag, für das Auge einen angenehmen Ruhepunkt in der sonst ziemlich einförmigen Gegend. 50 Miles in der Runde ist jener Berg von allen Punkten im Palouse lande deutlich sichtbar. Auf seinem Gipfel fand eine blutige Schlacht zwischen den Truppen der Bereinigten Staaten unter der Führung des Generals Stepton (nach dem der Berg seinen Namen erhalten hat) und den Coeur-de-Laine-Jn- dianern statt, welche dort in einem wüthenden Kampfe aufs Haupt geschlagen wurden. Jenseits des 21/2 Miles langen Cottonwood-Thates ge langten wir in die Lavafelder (lava losäs), eine von vulkani schem Gestein starrende trostlos öde Gegend. Auf dem Rücken eines gewaltigen uralten Lavastromes, dessen Richtung von Norden nach Süden läuft, führte die Landstraße hin, ein entsetz lich steiniger Weg. An einer Stelle fuhren wir durch einen kleinen Krater, mit zerborstenen schwarz verbrannten Fels wänden. Ein Coyote hatte auf einem hohen Basaltblock nahe am Wege Posto gefaßt und betrachtete uns mit frechem Blick, als wir, keine fünfzig Schritt von ihm entfernt, lang sam durch den alten Krater fuhren. Präriehühner, Dachse (daägsrs) und Coyotes sind die einzigen Bewohner dieser Felswüste. Zwischen dem ersten nnd einem zweiten alten Lavafelde lag eine ganz unbesiedclte öde Hügelgegend. Eine nochmalige markerschütternde Fahrt von zehn Miles ans dem eisenharten Gestein des zweiten Lavastromes brachte uns endlich in einen Nadelwald, und froh begrüßte ich bald dar auf die Gebäude der Station Sprague, wo ich zu meiner Freude erfuhr, daß der nächste nach Norden fahrende Eisen bahnzug dort schon in einer Stunde eintreffen würde. Schleunigst lieferte ich den Kanarienvogel an seine Adresse ab und wartete dann auf das Erfcheinen des eisernen Rap pen, der mich nach Spokane Falls bringen sollte. Die Fahrt auf der Eisenbahn von Sprague nordwärts führte fast ununterbrochen durch herrlichen Nadelwald. Für die Konstruktion der Eisenbahn sind diese Waldungen von großem Nutzen gewesen, da sie das vortrefflichste Material für Schwellen und Brücken in unmittelbarer Nähe lieferten, wogegen beim Bau von den Dalles des Columbia bis nach Sprague alles nöthige Holzwcrk mehrere hundert Miles weit aus dem westlichen Oregon herbeigeschafft werden mußte. Das nächste Städtchen von Bedeutung, welches wir an der Bahnlinie passirten, war Cheney, 25 Miles nördlich von Sprague gelegen. Obgleich jener Ort erst ein Jahr alt ist, zählt derselbe bereits an 400 Einwohner und ist in raschem Aufschwung begriffen. Der Platz ist das natürliche Centrum einer fruchtbaren Agrikulturgegend, die in seiner Nähe, jenseits einer ihn umschließenden, gegen Westen nur zwei englische Meilen breiten, Waldregion beginnt. Acht Miles von Cheney liegt in nordwestlicher Richtung der in Oregon und Washington berühmt gewordene Medical Lake, dessen Wasser den Ruf einer wunderbaren Heilkraft genießt. Das schwefelhaltige Wasser des Sees, welches einen ähn lichen Geschmack wie das Ragoczi - Wasser bei Halle an der Saale hat, soll alle möglichen menschlichen Leiden, nament lich den Rheumatismus, kuriren. Ehedem Pflegten die In dianer sich und ihre Kleider gern darin zu waschen, um das Ungeziefer los zu werden, und die Schafzüchter trieben frü her ihre Schafe in den See, um diese von der Krätze zu befreien. Seit der Medical Lake aber den civilisirten Wei ßen sein Wasser zur Heilung ihrer Gebrechen spendet, wur den Schafzüchter und Indianer kategorisch von dort vertrie ben. Neuerdings sind am Ufer des Sees „Evaporators" erbaut worden, worin man das Wasser verdunsten läßt und ein Pulver gewinnt, welches, in Regenwasser aufgelöst, alle mcdizinischeu Eigcnschaftcu des Seewasscrs enthält. Ein fünftel Proceut betragen die in dem Wasser des Medical Lake in Auflösung enthaltenen erdigen und mineralischen Substanzen. Auf der Weiterreise von Cheney nach dem 16 Miles von dort entfernten Städtchen SpokaneFalls nahmen die gewaltigen Eisenbahnbautcn meine Aufmerksamkeit nicht minder in Anspruch, wie die romantische Umgebung in der Nähe der Bahnlinie. Nachdem wir hart am Ufer eines zwei Miles langen Landsees (Snark Lake), der linker Hand nahe an der Bahn lag, hingefahren waren, gelangten wir an die mit Fichten gekrönten imposanten Basalt Bluffs. Die „Pallisaden" am Hangman Creek stiegen 75 Fuß senk recht empor und bildeten eine stolze Staffage zu den oft thurmhohen Brücken, über welche wir hinfuhren. Die größte dieser Trestlebrücken, ein Meisterwerk der Brückenbaukunst, hatte eine Höhe von 68 Fuß Uber einer Thalmulde und eine Spannung von 180 Fuß. Das Städtchen Spokane Falls, 1907 Fuß Uber dem Meere gelegen, hat feinen Namen nach den in seiner unmittelbaren Nähe liegenden Fällen des Spokane erhalten, durch welchen die Gewässer des Sees Coeur d'Alene in den Clarkes Fork abfließen. Spokane (auch Spokan geschrieben und „Spo-kähn" ausgesprochen) ist ein indianisches Wort und bedeutet „die Sonne". Ein zur Zeit der alten Astoria- Pelz-Compagnie bekannt gewordener Häuptling der Spokane- Jndianer nannte sich Jl-lam Spo-kan-i, d. h. Sohn der Sonne. Die Schlußsilbe der indianischen Aussprache ging im englischen Idiom bald verloren. Die Lage des Städtchens auf einer Kiesebene, eine eng lische Meile lang und anderthalb Miles breit, am Ufer des brausenden, in zahlreiche Arme gethcilten Spokane und um geben von Prächtig bewaldeten Bergen, ist hochromantisch. Auf der andern Seite des Flusses dehnt sich die Kiesebene vier Miles weiter aus, ein Bauplatz für eine Stadtanlage, wie er gar nicht besser gedacht werden kann. Gegenwärtig dient jene Kiesebene als Viehweide, wird aber im Laufe der Zeit nach der Ansicht der Spokancr von stolzen Boulevards durchschnitten werden. Die Ufer des Flusses bestehen aus Ba salt und können nie weggewaschen werden. Der Spokane- Fluß bildet hier vier Arme und acht Inseln, zwischen denen die Stromschnellen mit einem Gesammtgefälle von 156 Fuß hinbrausen. Der unterste und bedeutendste dieser Fälle hat einen Sturz von 62 Fuß und giebt, eingeschlossen von schrof fen Basaltmauern, ein imposantes Bild der wild entfesselten Fluthen. Die Wasserkraft des Spokane, ans welche sich ohne Zweifel eine glänzende Zukunft für das an seinen Fällen erbaute gleichnamige Städtchen basirt, ist mindestens drei Mal so groß als die der St. Anthönyfällc bei Minneapolis in Minnesota am obern Mississippi, wo sich bekanntlich die größte Mahlmühle in der Welt befindet. Für Spokane hat die Natur das wünschenswerth Beste geleistet, um hier ein zweites Minneapolis entstehen zu lassen. Durch den Ort zieht sich eine Schlucht, welche oberhalb der Strom- schnellen dicht am Fluß beginnt und unterhalb der Fälle in denselben mündet. Mit der größten Leichtigkeit könnte diese Schlucht in einen gewaltigen Kanal mit mächtigem Gcfäll verwandelt werden, an dem hundert Fabriken Platz fänden. Kein Platz in den Bereinigten Staaten hat eine Wasserkraft 34*