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Tvsiw Charnay's Ausgrabungen in Mexico und Central-Amerika. 259 Steinplatten bekleidet, deren Skulpturen eine religiöse Cere- monic darstelleu. Es gelang Charnay, von einer Anzahl dieser Steinplatten vortreffliche Abklatsche zn nehmen, so namentlich von denen aus dem sogenannten Tempel der Inschriften und den beiden Tempeln des Kreuzes. Die mittleren Platten in den beiden letzteren zeigen inmitten ver schiedenartiger Ornamente die Gestalt eines auf breitem Postament stehenden verzierten Kreuzes, auf dessen Spitze der symbolische Vogel mit den Adlerklanen und dem langen Schweife dargcstellt ist. Zwei reichgeschmückte lebensgroße Figuren, eine männliche und eine weibliche, stehen zu dcu Seiten des Kreuzes, Opfergaben in den cmporgehvbencn Armen tragend; hinter jeder von ihnen befindet sich eine lange, aus mehr denn sechszig Zeichen zusammengesetzte Hieroglypheninschrift, die zum größten Theil aus seltsam verschnörkelten und umrahmten Profilköpfeu besteht. Das Vorkommen der lateinischen Kreuzform in diesen altindiani schen Tempeln hat zu den wunderlichsten Theorien Veran lassung gegeben; allen Ernstes hat man die indianische Religion auf das Christenthum zurückgcführt und dem Apostel Thomas, der ja schon für den Verkündiger des Evangeliums iu Indien und Parthien gilt, auch nach Amerika kommen lassen. Während Charnay fast die ganzen Wochen seines Aufent haltes in Palenque hindurch mit einem kleinen Theil seiner Leute angestrengt an der Herstellung von Jnschrifts- und Skulpturcnabklatschen arbeitete, beschäftigte er sein übriges zahlreiches Personal mit neuen Nachforschungen au den be waldeten Abhängen der Cordillere. Dabei zeigte es sich denn, daß die bisher bekannte ausgedehnte Ruinenstättc von Reliesbilder aus dem innern Palastc von Palenque. (Nach einer Photographie.) Palenque nur ein kleiner Theil der alten Stadt gewesen sein kann, die sich allem Anscheine nach vom Ufer des Rio Michol bis nahe znm Gipfel des Ccrro Alto hinanfgezogen hat. Amphitheatralisch über einander liegend fand man hier zahllose Ruinen von Terrassenpyramiden mit Tempeln und hallenartigen Gebäuden, Gruppen niedriger Häuser und seltsame, aus einem labyrinthischen Gewirr kleiner Kam mern bestehender Bauwerke, die Charnay für Todtcnhänscr erklärt. Von den breiten, festen Cementstraßen, die zwischen diesen Bauten cutlangliefcn, find noch großartige Ueberrcstc erhalten, ebenso auch zahlreiche Trümmer der steinernen Brücken, welche über die zum Rio Michol hiuabfließenden Büche führten. Was nun das muthmaßliche Alter aller dieser imposanten Ruinen anbetrifst, so kann Charnay, wie oben erwähnt, sich der Meinung seiner Vorgänger nicht anschließen, welche die Ent stehung von Palenque iu den Beginn der christlichen Aera, oder auch wohl in eine noch frühere Zeit verlegen. Er gicbt zu, daß der erste Eindruck, deu die von dichtem Walde um gebenen, kolossalen überwachsenen Trümmerhaufen, die theils verschütteten, theils mit Kalksinter und grünen Flechten dick bedeckten Bauwerke und Skulpturen ans den unbefangenen Beschauer machen, der des höchsten Alterthumcs sein muß. Zieht man aber die verheerenden Einwirkungen des feuchten Klimas in Betracht, verfolgt mau die raschen Zerstöruugcn, die wenige Jahrzehnte hier hcrvorbringen, so muß der An blick der vielen, trotzdem noch ausrecht stehenden Gebäude, die Unversehrtheit der zahlreichen Ccment-Basreliefs und zierlichen Ornamente jenen ersten Eindruck bald verwischen und uns geneigt machen, den Ursprung der Stadt in einer 33*