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258 Dösirö Charnay's Ausgrabungen in Mexico und Central-Amerika. lich mit einem dicken, darauf abgesehen KalkUberzug^ be deckt, den zu entfernen nicht geringe Mühe kostet. Bei dem Reinigen einer solchen Relieffigur, deren reicher Schmuck und Art der Bekleidung mit denen der aztekischen Priester- bildcr vollkommen Ubereinstimmtc, entdeckte Charnay zu fällig, in welch' origineller Weise die indianischen Künstler gearbeitet haben. Jede einzelne Perle der Halsketten, jeder Armring, jeder Theil des ans Binden und Federn bestehen den Kopfschmuckes, das kurze, kragenartige Gewand und die zierlich ausgeführte Fußbekleidung: alles war erst nachträg lich der fertig modellirten und in allen Details liebevoll ausgeführten Gestalt angesetzt worden, und ließ sich nun durch leichte Bearbeitung mit dem Hammer stückweise von derselben ablösen. Nach einer gründlichen Untersuchung der Palastruincn widmete Charnay seine Aufmerksamkeit zunächst den großen Tempeln, die sich heute leider auch in einem Zustande be deutend größern Verfalles befinden, als er sie vor 23 Jah ren gesehen hatte, eines Verfalles, an dem die unvernünf tigen Nachgrabungen und Plünderungen gewisser praktischer Forscher nach Alterthümern nicht unschuldig waren. Ver- hültnißmäßig am besten erhalten waren noch die beiden sogenannten Tempel des Kreuzes sowie der der Sonne. Der letztere, dessen pfeilergetragene Fazade eine Länge von 12 ur besitzt, während seine Tiefe etwa 8 na beträgt, liegt unge fähr 150m südöstlich vom Palastc, auf einer in vier Ter rassen errichteten Pyramide. Die reichen Ornamente und Reliefbilder, welche die Pfeiler, das Dach und die hoch- Oestliche Fagade des innern Flügels des Palastes von Palenque. (Nach einer Photographie.) aufgesetzte First schmückten, sind zum größten Theile noch vorhanden. Auffallend muß für jeden, der mit den japani schen Tcmpelbautcn einigermaßen Bescheid weiß, die unver kennbare Uebereinstimmung der Tempel von Palenque, und zwar des Sonnentempels ganz besonders, mit den alten buddhistischen Heiligthümern Japans sein. Diese Ucber- einstimmnng ist in der That so vollständig, daß von einer bloßen Zufälligkeit nicht wohl die Rede sein kann. Die Annahme von dem asiatischen (?) Ursprünge der tvltckischen Stämme gewinnt dadurch festern Boden; auf jeden Fall aber dürfen wir sie als ein neues, sicheres Zeichen des japanischen Einflusses auf die amerikanische Civilisation be trachten: möge dieser Einfluß nun durch einen regelmäßigen Handelsverkehr (?), den Japan mit dem nordwestlichen Amerika unterhielt, oder lediglich durch die unfreiwillige Niederlassung verschlagener japanischer Schiffer vermittelt worden sein. Noch heute zählt man auf je zehn Jahre eine Durchschnittszahl von zwanzig an die kalifornische Küste verschlagenen und hier scheiternden japanischen Barken. Das Innere des Tempels bestand aus einem großen Raume, der sein Licht durch die Oeffnungen der Pfciler- fayade erhält, aus einem in seiner Mitte befindlichen klei nen Heiligthume und zwei dunklen Seitenkammcrn. Das Heiligthum ist eine nach vorn offene Hütte, deren flaches Dach an den beiden vorderen Ecken von zwei niit steiner nen Reliefbildern geschmückten Pfeilern getragen wird; ein reichverzierter Fries läuft unter dem Dache entlang. Die Hinterwand des kleinen, kastenartigen Baues ist mit drei