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14 Dr. Kuntze's Reise um die Erde. rer mich wiederholt an den Kleidern hielt; ich sah keine Spur von Gerippe, trotzdem mein Diener mir verdolmetschte, daß wenn ein Vogel dahin fliege, er stürbe; ich bin hinunter gegangen und gesund wieder heraufgekommen. Mag eine Kohlensäure-Exhalation zeitweise stattfinden; zur Zeit war keine Ansammlung von Kohlensäure dort; ich habe weder etwas gerochen, noch war mein glimmender Zunder, den ich vor mir hielt, ausgelöscht. Selbst von tobten Insekten und Cadavern kleiner Thiere war keine Spur zu sehen. Den Warnungen des Führers gab ich kein Gehör, weil ich meinte, man müsse der Volkssage, der Tradition, etwas zu Gute rechnen, und dann führt ja ein Pfad hinunter, und wo an dere gegangen sind, konnte ich es auch; vor allem aber sagte ich mir, daß erst mein niedergehaltener glimmender Zunder von Cocosholz auslöschen müsse, ehe mir Gefahr drohen könne. Das ist das berüchtigte Todtenthal, die schlimmste Stelle desselben, an anderen Stellen des Dienggebirges sind keine solche engen, windfreien Kessel und kann sich daher die Kohlensäure gar nicht derartig ansammeln, daß sie warmblütigen Thieren gefährlich werden könnte. Aber nach Jahrzehnten noch werden Bücher und Zei tungen die Fabel vom Todtenthal weiter verbreiten, oft bona üäo aus Unkenntniß, ost aber auch in der Manier von Harper's Mssbl^ lUustratoä. Usvsxaxsr, das z.B. vori ges Jahr (1874) eine schöne Abbildung brachte, wo Austral insulaner zu Ehren ihres gestorbenen Häuptlings sich den Haifischen opferten und fast reihenweise ehrlich aufgefrcssen wurden, obwohl noch kein Fall glaubwürdig nachgcwiesen ist, daß ein Haifisch einen lebenden Menschen im Meere angegriffen hat. Und nun noch eins: Tiger, Rhinozeronten hat es im ziemlich bevölkerten, gut gebauten, fo gut wie ganz entwal deten Dienggebirge seit vielleicht Jahrhunderten nicht mehr gegeben. Ach! wenn doch die Leute zu Hause von dem, was sie nicht bcurtheilen können, was ihnen weit entlegen und fremd ist, nicht immer nur das Absonderlichste und Schrecklichste am ehesten glauben wollten!" Erfreulich und interessant ist folgendes Bild, welches Dr. Kuntze von den javanischen Schulen entwirft. „Am 5. Juli besuchte ich eine einheimische Schule. Es war ein langes Gebäude, halb offen, in dem drei Schülerklassen neben einander ohne Scheidewände von drei Lehrern Unterricht fanden. Die Schüler, über 100 an der Zahl, kauerten und knieten mit untergeschlagenen Beinen vor schrägen Schul tischen. Schulstunden sind früh von 7 bis 10 und KU/z bis 12 Uhr. Rauchen der Schüler ist erlaubt. Im Schul zimmer hängen eine Weltkarte und eine große Karte von Java; es wird alles im Malayisch gelehrt, dieses mit latei nischen Buchstaben geschrieben und in holländischer Vocal- ausfprache gelesen. Verfolgen wir einmal das Examen, das der Lehrer mit der ersten Klasse anstcllte. Als wir eintraten, waren sechsstellige Decimalcxempel an der Wandtafel ausgerechnet worden. Schau, fchau, das konnten im gebildeten Preußen bis 1875 95 Proc. der Be völkerung nicht; mit Decimalen zu rechnen lernen letztere erst, seitdem das neue Maß-, Gewicht- und Münzsystcm eingeführt ist. Nun ließen mir uns aber auch sechs gemeine Brüche addiren, das ging sammt Einrichten, Kürzen u. s. w. recht flott. Das Interessanteste war mir der Feldmesser unterricht und die geleisteten praktischen Arbeiten der Schü ler. In diesem Lande, wo die Felder meist jährlich aufs Neue vertheilt werden, ist dies von größter Wichtigkeit. Das muß ich gestehen, ich löse dieselben Aufgaben der Feld- meßkunst nicht; darin find mir diese Javaner überlegen. Bon europäischen Kindern, die hier meist mit einheimi schen aufwachsen, ist folgendes zu erwähnen: sie sprechen das ll wie ein scharfes j aus und verschlucken in Doppel- consonanten am Ende der Silben das ä oder t, z. B. statt Hund jun; es soll den Eltern und Lehrern viele Mühe machen, ihnen diese den Einheimischen nachgeahmte Manier wieder abzugewöhnen. Von großem Interesse sind, um noch eins hervorzuheben, die vielen Ähnlichkeiten in Formen und Gebräuchen, welche Kuntze zwischen Japanern und Annamiten abweichend von den Chinesen fand (vergl. S. 190 bis 196, 215, 216, 220 und 246). Eine solche Menge von Ana logien kann wohl kaum rein zufällig und an zwei Punkten unabhängig von einander entstanden sein. Ob und wie eine Uebertragung stattgefunden hat, ist unseres Wissens nicht nachweisbar; die Japaner sind zwar nicht Ureinwoh ner ihres Jnselreiches, sondern vom Festlande her einge wandert, indessen anscheinend Vock Westen oder Nordwesten, nicht vom Südwesten her. Die Sprache der Annamiten ist eine einsilbige, die der Japaner dagegen eine mehrsilbige, welche in Betreff der Struktur dem Mandfchu und Mon golischen ähnelt (F. Müller, Allgemeine Ethnographie S. 457). Folgende Ähnlichkeiten fielen also unserm Naturfor scher bei Japanern und Annamiten auf. Die kleinste Münze heißt bei beiden Zabek, und die länglich viereckige Silbermünze Annams korrespondirt mit den japanischen Bu. Die Gesichtszüge und deren Ausdruck ähneln sich sehr; sie erscheinen nicht so verschlagen, wie bei den Chinesen; es drückt sich darin das gleiche ruhige Selbstbewußtsein und Wohlwollen, der Mangel an Geldsucht, die Bescheidenheit aus. Die Gesichtsfarbe ist bei beiden etwas dunkler, als bei den Chinesen, die Nase breiter. Die Einrichtung der Häuser ist gleich; auch dasselbe erhöhte Podium, wo sie auf Matten knien oder kauern. Die Chinesen dagegen sitzen auf Stühlen. Die Vorderseite der Häuser ist in Annam und Japan mit Matten verhängt, das Hausmobiliar ähn lich und beidemal einfach. Die Chinesen gehen oft barhaupt ohue Tuch trotz der rasirtcn Schädel, auch im stärksten Sonnenscheine aus, während der gewöhnliche Japaner stets ein blaues Tuch bandartig um den Kopf bindet, ähnlich dem Annamiten; bei beiden ist das Tuch nicht so lang und um fangreich, wie es zu einem Turban gehört. Die Schärpe der Annamiten und ihrer Frauen findet sich in Japan wieder, nicht in China. Japaner trugen bisher nicht Hosen; auch Annamiten, wahrscheinlich aus dem Innern, sah Kuntze später in Saigon, die statt Hosen ein Unterkörper und Füße deckendes Zeug trugen, wie cs die Japaner sonst ähnlich, nur größer auch hatten. Todesfurcht scheinen die Anna miten, ähnlich den Japanern, weniger zu besitzen, als die Chinesen. In den annamitischen Tempeln mit geraden, nicht wie in China meist gebogenen Dächern, herrscht die größte Einfachheit, wie in den japanischen Schintotempeln; auch die ähnlichen Trommeln und stehenden Glocken, auf denen außen leidlich hübsche Figuren sich befinden, find in den Tempeln beider Länder äußerst ähnlich; die Glocken werden in Annam gleichfalls mit einem Holz von außen angeschlagen. Vor dem Tempel in Annam befinden sich zuweilen zwei Wasserreservoirs wie in Japan, was Kuntze in China nicht beobachtete. Die annamitischen Gottesäcker befinden sich stets im Walde, wie fast immer in Japan, und nie in China (hier stets auf kahlen Bergen). An den Gewässern Annams sieht nian denselben halb zahmen, weißen, schlankhalsigen Reiher wie in Japan, den Kuntze in China wenigstens nicht bemerkt hat. In Annam soll nach Stein eine uns räthselhafte Sitten freiheit der Mädchen bis zur Verheirathung herrschen; ähn lich ist es in Japan, wo die Prostitution ein Regierungs-