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246 Dösiw Charnay's Ausgrabungen in Mexico und Central-Amerika. große Arbeit kaum begonnen, so viele Fragen angeregt und doch keine beantwortet zu haben, brach Charnay nach vier- zehntägigem Verweilen von Comalcalco aus, um sich nach der Hauptstadt und von dort direkt weiter nach Palenque zu begeben. In gerader Linie betrügt die Entfernung zwi schen beiden Orten nur 110lrm; dennoch nahm die Reise, die in weitem Bogen ans dem Usumacinta, dem Rio Ci co und über die Lagune von Catasasa gemacht wurde, 22 Tage in Anspruch. Einestheils war es auch hier wie der der schlechte Zustand der Wege, anderntheils aber die ungeheure Menge von Gepäck, dessen Charnay für seine Ar beiten in Palenque bedurfte, was die Reise zu Lande verbot. Sollten doch Abgüsse und Abklatsche von den großen Reliefs und Jnschriftcn- tafeln der Tempel von Palenque genommen wer den; und mußte man sich doch neben allem Material zn dieser mühevollen nnd zeitraubenden Arbeit anch mit den Provisionen für die ganze Zeit des Aufent haltes im Walde versehen! Die Ruinen der großen alten Tcmpelstadt befinden sich etwa 10 km südwestlich von dem heutigen, saft aus schließlich von Indianern bewohnten Dorfe. Ein schmaler Fußpfad, der in Folge des üppigen Pflan- zenwnchses des feuchtwar men Klimas immer bald wieder verschwindet, setzt aber durch die Fürsorge des Distriktsgouvcrneurs frci- gelcgt worden war, führt allmälig ansteigend durch dichten Wald zu der auf den äußersten Vorbergen der Cordillere belegenen Rnincnstätte. Nach einem beschwerlichen ersten Re- kognoscirungsgange, einem mühsamen Emporklimmen zu den von wucherndem Baum- und Strauchwerk versteckten Tempel- und Palastruinen auf den Pyra midenhügeln, begann Char nay seine Arbeiten in derselben Weise, wie er sie hier auch vor 22 Jahren, wie sie seitdem jeder andere Besucher dieser Stätte begonnen hatte: er eröffnete einen unbarmherzigen Ver nichtungskrieg gegen die unermüdlich um die Trümmer cm- porwuchcrnde Pflanzenwelt. Mit vereinten Kräften mußten seine sämmtlichen Arbeiter zunächst an die Freilegung des großen Palasthügels gehen, der ebenso wie die Mehrzahl der großen Tempclpyramidcn dieser Stätte eine natürliche Boden erhebung ist, der man durch künstliche Aus- und Ucbermaue- rungcn die Form einer drei- oder vierstufigen Terrassen- Pyramide gegeben hat. An der Nordseite des Hügels, die mit gewaltigen Steinplatten bekleidet und mit weit vorsprin genden Pfeilern geschmückt ist, sieht man noch die Neberrcstc einer breiten Treppe, die zu der obern Fläche und ihrem seltsamen, ein ungeheueres Rechteck bildenden Gebäudekomplex cmporgeführt hat. Der große viereckige Thurm an der östlichen Seite dieses Rechteckes hatte, seitdem Charnay ihn vor 22 Jahren gesehen, sein drittes Stockwerk eingcbüßt. In seiner Anlage mit den beiden Thürmen von Comalcalco übereinstimmend, scheint er nichts von dem reichen Schmucke derselben besessen zu haben, sondern, wie ans einigen Spuren an den Wänden zu erkennen ist, nur mit einer glatten Stuckschicht bekleidet gewesen zu sein. Desto reicher aber sind allem Anscheine nach die anderen Theile des seltsamen sogenannten Palastbaues verziert gewesen. Die große ge deckte Gallerie, die den innern Bau ans drei Seiten umzieht, jedoch in keinerlei Zusammenhang mit demselben steht, weist an ihrer Rückwand Ucber- reste von kunstvollen, in Cement modellirtcn Orna menten ans, die in vielen Details an unsern Rococo styl erinnern: große Me daillons mit rcichgeglie- derter Einrahmung, in deren Mitte sich kolossale Prosilköpfe befanden. Auch die Pfeiler dieser Gallerie, sowie das leicht geneigte Dach, über dem heute die Waldbäume aus einer star ken Humusschicht cmpor- wachsen, waren, wie deut lich zu erkennen ist, mit reichen Bildwerken ge schmückt. In Anbetracht des unablässigen Rcgenwctters, das den Aufenthalt unter Zelten unmöglich machte, fchlug Charnay das Quar tier der Expedition für die zwei Monate ihres Verweilens in Palenque in den Räumen des alten Palastes selbst auf. Die östliche Seite der äußern Gallerie wurde als Küche und Speisezimmer benutzt, die Gallerie des inncrn Palastgebäudes dagegen zum allgemeinen Schlaf raume bestimmt. Dieser tägliche Aufenthalt in dem merkwürdigen, weitläufigen Bau ließ den Reifenden auch täglich neue und überraschende Details in demselben entdecken und manche falsche Annahme früherer Besucher berichtigen. Der sogenannte innere Palast, d. h. die Gcbäudcmasse in dem weiten, durch die äußere Gallerie um zogenen Hofe, ist, wie Charnay vermuthet, das Produkt verschiedener Zeiten und Bedürfnisse. Nnr so läßt sich die unharmonische, unregelmäßige und vollkommen will kürliche Zusammcnhäufnng der verschiedenartigsten Ge bäude erklären. Hallenartige Häuser mit Bogeneingün- gen und reichster Ornamentirung, kleine, stallartige Hütten mit schiefen Mauern; schräge nnd flache Dächer, erhöhte Bauwerke, zu denen Treppen mit Hieroglypheninschrif ten hinaufführen; Sonterrainbautcn, die bis tief in das Innere der Pyramide hincingchcn und durch lange Korri dore an der Südseite derselben münden: das alles ist regel- Aeußere Gallerie des Palastes von Palenque. (Nach einer Photographie.)