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232 Theodor Kirchhoff: Streifzüge im Nordwesten der Vereinigten Staaten. flusses anzuvertrauen. Die Folge von dieser Enttäuschung war, daß ich die Reise nach Spokane Falls in der Stage quer durch das Palouscland machte, ein Wechsel in meinem Reiseprogramm, welcher mir schließlich zur großen Genng- thuung gereicht hat, indem ich dadurch in neue, sehenswerthe Gegenden gelangte, welche ich sonst wohl nie besucht hätte. Lewiston ist im Sommer „heiß wie die Hölle«, wie man sich hier zu Lande anszudrückcn Pflegt. Wir hatten zur Zeit meines Besuchs nur 97° F. im Schatten, was die Einwohner hier angenehm kühl nannten. Wochenlang, so erzählte man mir, hätte das Thermometer an der kühlsten Stelle in der Stadt 110 bis 112° gezeigt. Der Wirth im Hotel thcilte mir stolz mit, daß es in seinem „Offices- Zimmer im Sommer selten über 100° warm würde, indem er alle Läden geschlossen hielte und alle halbe Stunde einige Eimer Wasser auf den Fußboden gießen ließe. Deshalb sei sein Lokal im Sommer auch der Versammlungsplatz der feinern Gesellschaft von Lewiston, insbesondere der Advokaten, welche dort ihr Nachmittagsschläfchen zu halten pflegten. Weshalb die Gründer von Lewiston diesen Platz in einem Kessel am Fuße eines Plateaus und nicht auf diesem als Baustätte trefflich gelegenen und nicht übermäßig hohen Boden erbant haben, ist mir ein Räthsel geblieben. Wo die Stadt jetzt steht, kann sie kein kühler Luftzug erreichen, während die besten luftigen Bauplätze ganz in der Nähe liegen. Zwölf Miles von Lewiston befindet sich die Reservation der Nez-Percss-Indianer, welche durch deu Krieg ihres Häriptlings Joseph im Jahre 1877 weltbekannt geworden sind. Die Nez Percss, deren Stolz und Ruhm ehemals darin bestand, nie einen Weißen umgebracht zu haben, wur den durch Joseph, der mit seiner Bande absolut nicht auf der Reservation wohnen bleiben wollte, in jenen für sie so vcrhängnißvollen Krieg gleichsam hincingehetzt. Mit drei hundert auserlesenen Kriegern kämpfte Joseph im offenen Felde monatelang gegen eine ihm drei- und vierfach über legene Militärmacht. Dem gottesfürchtigen General Howard, der sich grundsätzlich an keinem Sonntag schlagen wollte, brachte der Führer der Nez Percss verschiedene arge Schlap pen bei und zeigte sich ihm als Stratege so überlegen, daß ernste Besorgnisse über den Ausgang des Krieges laut wur den. Endlich fing der wackere General Miles die nach Mcmtana ziehende Hauptmacht der Indianer im Bear-Paw- Gebirge ab und zwang sie zur Uebergabe. Die Nez-Pcrcss-Reservation bei Lewiston geht seitdem ihrer Auflösung rasch entgegen. Der Vereinigte-Staaten- Ecnsus von 1870 gab als Bewohner jener Reservation 3200 Köpfe an, die auf etwa 1100 zusammengeschmolzen sind. 600 Nez Percss wurden mit Joseph nach dem Ge biete der „Indianischen Nationen« versetzt; eine kleine Bande schlug sich von Montana nach den britischen Besitzungen durch und schloß sich dort den Sioux unter Sitting Bull an. Im Sommer dieses Jahres erzürnte sich jene kleine Zahl Nez Percss aus einer nicht bekannt gewordenen Ur sache mit den Sioux und wurde von diesen bis auf den letz ten Mann niedcrgemacht. Es ist ein tragisches Schicksal, welches diesen Wackern Jndiancrstamm ereilt hat, der unter allen an dieser Küste der Civilisation am zugänglichsten gewesen ist. Schwerlich wird er sich je wieder emporraffen, denn die Besten sind da hin, todt oder in die Fremde gestoßen. Der Krieg wurde von diesen Rothhäuten mit auffallender Schonung gegen wehrlose Weiße geführt. Weiße Frauen und Kinder, die in die Gewalt der Indianer gericthen, und Gefangene wur den nur selten von jenen grausam ermordet, wie es sonst bei den Rothhäuten üblich ist. In den Gefechten mit der Militärmacht der Vereinigten Staaten schlugen sich die Nez Percss brillant. Sie sind prächtige Männergestalten und den besten geschulten Soldaten im Kriege vollständig eben bürtig. Die Bevölkerung von Lewiston befand sich damals in einer verzweifelten Lage und war eine Woche lang den In dianern fast hilflos preisgegeben. Einem Angriff von die sen hätte die Stadt nicht widerstehen können, denn, obgleich die Anhöhen durch Schützengräben gedeckt waren, wäre cs den Nez Percss doch ein Leichtes gewesen, in den Ort ein zudringen. Joseph zog cs aber vor, statt einen Angriff auf Lewiston zu unternehmen, gegen den ihn: verhaßten General Howard nach der Camas-Prärie in Idaho zu marschiren, sich dort mit ihm herumzuschlagcn und strategische Schach züge auszuführen; und so blieb dieser Stadt das Schicksal von Neu-Ulm in Minnesota im großen Sioux-Kriege er spart, bei melcher Afsaire die dortige deutsche Bevölkerung so schrecklich litt. Die Stadt Lewiston spekulirt, wie ich aus einer dort erscheinenden Zeitung, dem „North Idaho Official Paper«, ersah, auch bereits darauf, ein bedeutendes Eisenbahncentrum zu werden. Man hat neuerdings einen Paß durch das Bitter-Root-Gebirge gefunden, der direkt östlich von den Quellen des Clearwater nur 4000 Fuß über dem Meeres spiegel liegt und nicht mehr als 60 Fuß Steigung zur eng lischen Meile hat. Die Linie, auf welcher die Northcrn- Pacific-Eisenbahn jetzt erbaut wird, nimmt nördlich von der Stadt Helena in Montana eine nordwestliche Richtung und nmgeht auf diese Weise das Bitter-Root-Gebirge, wogegen die direkte Linie durch den dort gefundenen Paß und das Thal des Clearwater nach Lewiston und am Schlangcnflusse hinunter nach Ainsworth 150 Miles kürzer, als die jetzt gewählte sein würde. Zum Unglück für Lewiston kommt die Entdeckung jenes Passes etwas post ksstum, da die Eisenbahnbauten an der Northern Pacific über den See Pend d'Oreille, wo sich diese im großen Bogen wieder nach Südwestcn wendet, schon zu weit vorgeschritten sind, nm eine Abänderung derselben wahrscheinlich zu machcu. Außerdem hofft Lewiston noch darauf, eine Eisenbahnlinie nach Boise City, im Anschluß an einen über dort nach dem Colnmbia als Zweigbahn der Union Pacific im Bau begriffenen Schienenweg, zu erhalten, und diesen den Snake abwärts und durch das Nakimathal nach dem Pnget-Sund verlängert zu sehen. Wie hoch sich die Pläne der guten Bewohner von Lewi ston in den Himmel verlieren, und wie wenig sie daran glauben, daß die gegenwärtige gedrückte Geschäftslage in ihrem Städtchen von Dauer sein könne, davon möge der hier folgende Erguß eines Leitartikels in der „Nord Idaho officiellcn Zeitung« (18. August) der fremden Welt Kunde bringen. Es heißt dort, wörtlich übersetzt: „Der Grundstein von Lewiston wurde breit und tief ge legt und Jahre voll von unermüdlichem Fleiße haben ihn fest gekittet. Auf einer solchen Grundlage erbant, hat Lewi ston die Wechselfälle der Aera des Lebens au der Grenze der Civilisation siegreich bestanden. Die Zeit hat uns ge prüft, Feuer und Schwert uns erprobt und stark befunden, und unsere Existenz ist heute der stärkste Beweis dafür, daß wir alle Elemente besitzen, welche dazu erforderlich sind, um eine große Metropole hier aufzubauen. — Tyrus und Sidon sind am Mecresufer in Staub zerfallen; Baalbek ist eine trostlose Ruine; Palmyra liegt in der Wüste begraben; Niniveh und Babylon sind vom Tigris und Euphrat ver schwunden : — aber Lewiston ist Erbe für den Handelsthron des innern Nordwestens — denkt daran!« Man sieht, es giebt noch Poesie nnd kindlichen Glauben an des Schicksals Gerechtigkeit in der nüchternen Jetztzeit!