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Theodor Kirchhoff: standstraft feiner Einwohner eine fo hohe Bedeutung er worben hatte. Das heutige Aerschot, das sich um jene alten Reste einer großen Vergangenheit angebaut hat, ist eine unbedeutende, kleine Stadt. Ganz zum armseligen Dorfe herabgcsunken ist aber das wenige Kilometer ent fernte, dicht an der Bahn liegende Sichem, das nach all gemein geltender, aber durch nichts begründeter Annahme die älteste Stadt des Brabanter Landes sein soll. Daß es in früherer Zeit wenigstens eine starkbcfcstigte Stadt ge wesen sein muß, geht unzweifelhaft aus dem mächtigen alten Thurme hervor, der sich heute ganz vereinzelt inmit ten der Dorfhütten erhebt, und der eine gewisse Aehnlichkeit mit dem letzten Ueberrest der alten Befcstigungswerke von Brüssel, dem Haller Thor, erkennen läßt. Bon seinen drei Stockwerken, deren jedes einen großen gewölbten Saal ent hielt, ist nur das untere noch fast ganz unversehrt erhal ten; die mächtigen Pfeiler, auf denen feine Wölbung ruht, zeigen einen durch Schönheit und zierliche Ausführung überraschenden Skulpturcnschmuck: einen Kranz vonEngcls- köpfen. Die Stadt Die st, die wenige Stationen weiter an der Bahn liegt, ist durch ihre großartigen Brauereien berühmt; der Historiker, der hier in dem alten Dispargum Gregor's von Tours, in der Wiege der fränkischen Könige, irgend einen Anklang an die Vergangenheit zu finden er wartet, wird bitter enttäuscht werden. Die ganze, ziemlich 167 wohlhabende Stadt ist modern, selbst ihre beiden stattlichen Kirchen gehören der Neuzeit und ihrer nüchtern-prosaischen Richtung an; die letzten Reste uralter Befestigungswerke haben zu Anfang dieses Jahrhunderts weichen müssen. Zum Glück ist aber gerade hier zu Lande auch oft genug daS Umgekehrte der Fall, und findet man an kleinen, von den heutigen Vcrkehrsstraßen meist unberührten Orten groß artige Denkmäler der alten Zeit und der alten Kunst, die von einer bedeutenden Vergangenheit sprechen, von der die Geschichte des Landes nichts meldet. So in dem kleinen Städtchen Laau, das etwa eine halbe Stunde westlich von dem durch die Aachen-Landener Bahn berührten St.Trond liegt. Die dorfartig stille, unbedeutende Landstadt besitzt eine prachtvolle gothische Kirche aus dem 13. Jahrhundert und in derselben ein wahres Museum reichster Kunstschätzc; darunter besonders zahlreiche werthvolle Gemälde aus der altslandrischcn Schule und ein Meisterwerk des Cornelius de Vriendt, ein wunderbar reichskulptirtes, 30 m hohes Tabernakel von Stein. Das spätgothischc Rathhaus des Städtchens ist seinerseits auch eine Perle der niederländi schen Architektur: freilich nicht imposant durch großartigen Maßstab oder besonders reichen Schmuck, wohl aber aus gezeichnet durch die Richtigkeit und Amnnth seiner Verhält nisse, sowie durch die wohlthucnde Harmonie des Ganzen. Streifzüge im Nordwesten der Vereinigten Staaten. Streifzüge im Nordwesten der Vereinigten Staaten. Von Theodor Kirchhoff. ii. Von Walla Walla nach Lewiston in Idaho. Walla Walla ist mit dem 40 Miles in nördlicher Rich tung entfernt liegenden Städtchen Dayton jetzt durch eine Eifenbahn verbunden, welche durch das fruchtbare Thal des Tauchet Uber Waitsbury dorthin führt. Es war keine geringe Geungthunng für mich, die Unbequemlichkeiten der ehemaligen Stagcrcifc zwischen diesen Plätzen diesmal mit einer Fahrt auf der Eisenbahn vertauschen zu können. Das Hotel in Waitsbury, der Schrecken aller Reisenden im Ter ritorium Washington, hatte sich meiner Erinnerung mehr cingcprägt, als die idyllische grüne Landschaft von fchwcllen- den Hügeln, die fruchtbaren Weizenfelder und sonstigen Zeichen einer prosperirendcn Agrikulturgegend, welche das Thal des Tauchet kennzeichnen. Die Kellner in jenem luxuriösen Gasthause haben die originelle Angewohnheit, die Lössel, welche bei Tisch gebraucht werden sollen, in der Hosentasche zu tragen, für jeden Gast einen daraus hervorzulangcn und in den Suppenteller oder in die Kaffeetasse zu stecken. Der geschriebene Speisezettel, welcher von der stets lächelnden vierschrötigen Wirthin den Gästen bei Tisch verabreicht wird, ist ein kalligraphisches Dokument, dessen getreuer Abdruck in einem Witzblatte sicher lich Furore machen wurde. Die darauf verzeichneten Gerichte, z. B. „gcpöckeltcs Schweinefleisch", „gebratenes Herz", „Kalbfleisch mitMchlteig" rc., würden wohl schwerlich Ver- gnügnngsrciscnde nach Waitsbury locken! Bemerkenswert!; ist noch, daß das Rindfleisch, welches den unglücklichen Reifenden in Oregon und dem Territorium Washington als Braten anfgctischt wird, in allen Land städten, mit alleiniger Ausnahme Portlands, und auf den Passagicrdampfcrn des Columbia wohl das schlechteste in Amerika ist. Ich meinte früher in Texas die schlechteste Küche in Amerika entdeckt zu haben, muß aber jetzt meinen Jrrthum offenherzig bekennen, da jenes Land sich in dieser Beziehung nicht mit Oregon und Washington messen darf. Wie es kommt, daß in einem Lande wie Oregon, dessen Biehstand ein so vorzüglicher ist, und welches alljährlich große Herden des besten Schlachtviehs nach dem Osten aus führt, die dort genossenen Braten so unter aller Würde sind, ist ein wirthschaftliches Näthsel, das ich nie zu ergründen vermochte. Am 17. August nahm ich Platz ans dem Kntschcrbock einer Stage, welche mich zunächst nach der 65 Miles ent fernten Stadt Lewiston, dem Hanptorte im nördlichen Idaho, bringen sollte. Es war mir in früheren Jahren fchon zwei Mal Passirt, daß ich einen Ausflug von Dayton nach Lewiston und ins Palouscland auf mein Reiscpro- gramm gesetzt hatte; in beiden Fällen entfiel mir aber der Muth, als die Wirklichkeit an mich herantrat und andere Reisende ihre Erlebnisse auf jener Route in meiner Gegen wart zum Besten gaben. Diesmal hatte ich mich aber fest entschlossen, Lewiston zu besuchen, welcher Platz durch das Gerücht, daß in seiner Nähe ein veritabler Vulkan ausgc- brochcn sei, noch bedeutend an Interesse für mich gewann. Die Unannehmlichkeiten der Reise waren übrigens durchaus