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166. Belgische Skizzen. aus dem alten und neuen Testament, die, dem Charakter der Zeit und des Volkes entsprechend, oft mit unglaublich naiver Derbheit dargestcllt sind. Von sehr anderer Art sind die beiden großen öffent lichen Gebäude, mit denen die heutige Regierung sich in Löwen ein Denkmal gesetzt hat. Im Jahre 1860 wurde hier das größte Zellengefängniß Belgiens, das 634 Ge fangene beherbergen kann, und neun Jahre später ein zwei tes Gefängniß, die Maison d'arrst, für 204 Gefangene, er öffnet. Beides sind Musteranstalten, in denen die segensrei chen Bemühungen der belgischen Re gierung für das Wohl und die Bes- ferung der Gefange nen von wünschens- wcrthesten Erfolgen gekrönt werden, beide aber tragen anch das Ihrige dazu bei, den finstern, ernsten Charakter der alten Stadt zu verstärken. Seltsam still und an einen Kirchhof gemahnend ist auch der nicht gar weit von dem großen Zel- lengefüngniß im süd lichen Theile der Stadt belegene alte Beginenhof, den die Löwener vielleicht nicht ganz mit Recht für den malerischsten Theil ihrer Stadt halten: eine Anzahl schmaler, kleiner, sich durchkreuzender Ggs- sen, von gleichmäßig niedrigen Backstein häuschen eingefaßt, vor deren jedem ein kleiner, mit einem Heiligenbilds ge schmückter Garten liegt. In der Mitte der ganzen Anlage erhebt sich eine ein fache, nüchtern aus sehende Kirche, in der sich die frommen Bewohnerinnen des alten Schwesternstiftes mehrmals am Tage zusammenfinden müssen. Etwa 10 lein nördlich von Löwen, an der Maastrichter Eisenbahn, liegt, wie ein mächtiger Vorposten der katholi schen Stadt, die alte, im Jahre 1179 gegründete Norber- tiner-Abtei Pare, eines der reichsten Klöster Belgiens. Früher von dichtem Walde umgeben, der jetzt, und nicht zum Schaden des besitzenden Klosters, durch wohlbestellte Felder ersetzt ist, stellt sich der große Komplex stattlicher, meist moderner Gebäude, die um eine großartige Kirche geschaart liegen und von fünffachen starken Mauern um geben sind, wie eine Festung dar. Bis hierher ungefähr zeigt die Landschaft noch den Charakter des fruchtbaren Brabanter Landes; die Gegend, durch welche die Bahn jetzt führt, hat von den Reizen desselben nichts mehr aufzu- weisen. Weite Strecken spärlich begrasten Bodens, stellen weise von tiefen Schluchten zerrissen, an anderen wieder von Reihen niedriger, kahler Hügel durchzogen; kleine sumpfige Bäche, von verkrüppeltem Wei dengebüsch einge faßt; dann wieder elende Felder, die die Arbeit der Be stellung kaum zu lohnen scheinen, oder finstere Tannenwäl der: wir befinden uns im Hagcland, einem der ödesten und unwirthlichsten Theile des heutigen Belgiens, auf dem Schauplatze so man cher erbitterten, in der Geschichte des Landes verzeichneten Kämpfe. In die Schluchten und sum pfigen Waldstrccken des Hagelandes zo gen sich schon im 14. Jahrhundert die durch die Patrizier aus Löwen verwiese nen aufrührerischen Tuchmacher; von hier aus plünderten sie bandcnweise das umliegende Land, UM endlich nach lan ger Gegenwehr von den Truppen Herzog Wenzel's aufgericbcn zu werden. Hier fan den auch die bluti gen Kämpfe zwischen den gegen die fran zösische Herrschaft empörten vlämischen Bauern und den Soldaten der fran zösischen Republik statt. Das alte Aer- schot, das inmitten dieser reizlosen Ge gend liegt, heute auch von der Eisenbahn berührt, macht den Eindruck traurig verfallener Größe. Eine schöne mittel alterliche Kirche mit kunstvollem Lettner, der alte berühmte Aureliansthurm, ein Ueberrest der ehemaligen Befestigungs- Werke, großartige, aber heute gänzlich verfallene Waaren- hallcn, die von einer längst entschwundenen Bedeutung der Industrie von Aerschot erzählen, endlich die malerischen „Großen Mühlen": das ist alles, was von dem stolzen Orte übrig geblieben ist, der sich in den Religionskämpfcn des 16. Jahrhunderts durch den Muth und die Widcr- Das Rathhaus von Lsau. (Nach einer Photographie.)