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156 Heyfelder: Ein Ritt über den Kobet-Dagh und die verlassene Stadt Kara-Kala. von Holz. Einzelne Hanfstauden und Aehrcn von Gerste standen hier und da neben Disteln, Gras und wilden Kräutern. Aber Alles war still, leer, unbelebt, trotz des Sonnenscheins beinahe unbehaglich. Eine Schaar Spatzen war das einzig Lebende, das die Stadt bewohnte. Aehnlich den Lehmbauten der Tekkes, zeigte doch die Architektur An sätze zur Zierlichkeit, zu architektonischen Formen, zu ästhetischer Kombination. In einem kleinen Haus ohne Dach schlug ich mein Zelt auf, schrieb ich mein Tagebuch und übernachtete ich, während meine Pferde, Kazaken und Diener in nächster Nähe im Garten kampirten. Hier fehlte es uns nicht an Holz, um mit Behagen Thee zu bereiten, und um ein wärmendes und beleuchtendes Feuer zu er halten. Wie eine unübersteigliche Wand stand das Synt-Ge birge hinter der Stadt. Aber da hinüber mußten wir, um nach Chodsham-Kala oder Bendesen, d. h. auf den Weg nach Bann, zu kommen. Sechs Stunden ritten wir am 25. aufwärts, anfangs über unbedeutende Vorberge, dem einen Bach entlang, der durch ein grünes Thal zur Niede rung hcrabfloß. Obgleich Ende November alten Styls oder Anfang Decembcr neuen Styls, war das Gras und ein Theil der Gebüsche grün, die Bäume und Sträucher mit Beeren bedeckt. Sowohl rothe Mehlbeeren, schwarze Hol- lundcrbceren, als die Früchte verschiedener wilder Prunus- arten dienten einer Schaar von Amseln, Drosseln und kleineren Vögeln zur Speise. Distelfinken umschwärmten die zahlreichen Disteln. Eiben- und Feigenbüsche schmückten mit ihrem Grün den Wald. Ranken von wild wachsendem Wein und Clematis umzogen malerisch alle Ulmen oder stacheliges Gestrüppe. Nach dem freiem Thälchen kamen wir in eine eigentliche Laubholzrcgion. Der Weg war wohl deutlich ansgeritten (da man nicht ausgcfahren sagen kann), aber die dicht verschlungenen Zweige von Buchen, Eichen und Ahornbäumen stießen den Reitern nicht selten die Mütze vom Kopf. Nach der Waldregion kamen Fels- partieu von großer Schönheit und gefährlicher Passage. Oft mußten wir über natürliche Felsentreppcn reiten; zu weilen waren auch die Naturstufen so hoch, daß wir die Saumthiere abpacken mußten, damit sie dieselben erklimmen konnten. Kleine Wasserfälle, die über prachtvoll geschweifte und abgerundete Felsen hcrabstürzten, ließen großartige Katarakte im Frühling voraussetzen. Unsere Pferde waren unbedenklicher wie wir und gingen meist mit olympischer Ruhe über die schwindlichsten Stellen. Doch waren ein zelne auch sorglich und passirten nur zögernd und unter tastendem Vorsetzen der Füße gewisse schwierige Stellen. Der letzte Abschnitt des Passes ist nichts als eine steile, enge Felsenrinne. Der Rückblick auf das Land hinter uns war reizend, alle Augenblicke wechselnd und besonders an ziehend durch die Luftpcrspektive, die auf der trockenen Steppe gänzlich fehlt. Der Paß heißt Jolog Dere und führt zwischen dem Synt oder Dfynt und dem Asar hindurch. Der Aufstieg war höchst mühsam und forderte eine beständige Arbeit, Ucberwachnng und Nachhülfe bei der Karawane. Aber die malerische Umgebung, das Grün mancher Pflanzen, die schöne Fernsicht, der warme Sonnen schein, selbst das thierische Leben um uns hatten etwas An regendes. Nicht als hätten wir außer den erwähnten Vögeln viel Thiere gesehen. Aber der Weg war mit allerlei sicheren Anzeichen auch von kriechendem und laufendem Gc- thicre versehen. Bald die Losnng von Rehen, bald frische Fußspuren des Tigers und Wildschweins, bald zahlreiche Stacheln des Stachelschweins zeigten, wo die Thiere des Waldes zur Tränke gehen, oder wo eines dem andern auf lauert. Als wir den höchsten Punkt des Passes überschritten, hörte Sonnenschein, warme Luft, Gras und Kräuter, Beeren und Sträucher, hörte der Reiz der Aussicht und der Luft perspektive auf einmal auf. Wir waren wie mit einem Schlag vom Süden nach Norden versetzt und es war ja auch in der That ein Ucbergang vom Südabhang auf deu Nordabhang dieses hohen Gebirgszugs. In Zickzacklinien zogen wir abwärts; ein rauher Wind strich über die gelben Grasslächen. An einigermaßen geschützter Stelle machten wir Halt, kochten Thee und lagerten, in unsere schwarz braunen Burken gehüllt, ausgestreckt auf dem Boden. In endlosen Wellen und Ausläufern senkt sich das Gebirge zur Ebene, die wir nunmehr in östlicher Richtung bald quer überrciten, bald in Schlangenwindungen umgehen mußten. Zuletzt übermannte uns die Ungeduld, ein bischen auch das Unbehagen, daß bei rasch abnehmendem Tage noch kein be freundeter Ort auftauchte, während die vielfach sich kreuzen den Reitwege immer undeutlicher wurden. Der uner schütterlich ruhige Turkmene antwortete auf unser Fragen: „Wenn wir etwas schneller reiten, so kommen wir mit Sonnenuntergang an." So hatte schon dem Abt von St. Gallen sein Schäfer zu antworten gewußt. Einem spätem Wort, es sei nicht mehr weit, vertrauend, ritt ich mit meinem Kazaken voraus, uns in Bendesen anzumcl- dcn, und auch um etwas früher unter Dach und Fach zu kommen. Aber plötzlich war es dunkel, wir waren zu weit von der Karawane, um zurückzukehren, und vor uns wollten die Lichter des befestigten Lagers nicht anftauchcn. Wir mußten zuweilen absteigen, um zu untersuchen, ob wir uns auf einem Wege befänden. Nur die Bergkonturen halfen mir die Richtung nach Nordost festzuhaltcn. Endlich ein Licht, mehrere Lichter, ein paar Lagerfeuer, dann der An ruf der Vorposten, Soldatengruppen beim Nachtessen — Bendesen war erreicht. Es war nicht mehr Wereschtschagin, der Bruder des Malers, der in Bendesen kommandirtc, und der mich hier schon einmal gastlich ausgenommen hatte, sondern ein neuer Kommandant, aber auch ein Bekannter vom Daghcstanschcn Regiment, bei dem ich abstieg. Bald saß ich bei ihm am Samowar, während seine Leute der Karawaue entgegen gingen. Der Kommandayt mißbilligte eine so wenig geschützte Expedition in Feindesland und be sonders mein nächtliches Allcinrcitcn um so mehr im Hin blick ans die zwischen Bendesen und Chodsham-Kala erfolgte Tödtung des Dr. Studizky durch die Tekkes. In einer Filzhütte nebenan aber befand sich die Telcgraphenstation, das Wahrzeichen und Unterpfand, daß wir aus der Wild niß in die bewohnte Welt zurückgckehrt waren. Auch unter ließ ich nicht, dieses Faktum an den Stab in Bann und an die Meinigen in Petersburg zu melden.