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146 Belgische Skizzen. französischen Kolonnen gegen das Centrmu der Verbün deten vor; immer wieder wurden sie zurückgeschlagcn — und als es gegen sieben Uhr Abends dem Marschall Ney end lich gelang, mit den Garden die erste Linie des Feindes zu durchbrechen, war es zu spät; denn gerade da begann der rechte Flügel des französischen Heeres dem mächtigen An stürmen der Preußen zu weichen, die nach endlicher Ein nahme des Dorfes Planchenoit, das sie mehrmals genommen und wieder verloren hatten, unaufhaltsam vordrangen. Dank ihrem kräftigen Eingreifen und Dank vielleicht mehr noch den unverantwortlichen Versäumnissen und Mißgriffen, die Napoleon's Generäle sich hatten zu Schulden kommen lassen und die durch keine Anstrengung wieder gut zu machen waren, befanden sich die Trümmer des französischen Heeres gegen neun Uhr Abends in vollständiger Auflösung und wilder Flucht auf der Straße nach Genappe. Die Pacht höfe La Haye Samte, Papelotte, La Haye und Smouher, die, von hannoverschen rcsp. niederländischen Truppen be setzt, die Deckung des CentrnmS und des linken Flügels der Verbündeten bildeten und mit unglaublicher Tapferkeit stun denlang gegen den immer erneuten Ansturm der Franzosen vertheidigt wurden, stehen heute noch anscheinend wohlerhal ten da. Der dritte vorgeschobene Posten, das etwa 12 Mi nuten südwestlich vom Löwenhügel belegene alte Schloß Hougemont, heute eine ungeheure Ruine mit zerbröckelndem, brandgeschwärztem Mauerwerk und verwilderten Gärten, war von einem Bataillon englischer Garden und einigen hundert Nassauern und Hannoveranern besetzt. Die hel- denmüthige und bis zum Abend unaufhörlich andauernde Vertheidigung dieses Punktes, gegen den die Franzosen, als gegen den Schlüssel zu der britischen Aufstellung, nach und nach 12 000 Mann vorführten, wird mit Recht zu den glänzendsten Waffenthaten von Waterloo gezählt. — Ver einzelt ragen auf der weiten, mit Blut und Leichen gedüng ten Ebene heute die Denkmäler empor, die von den ver schiedenen Nationen dem Andenken ihrer hier gefallenen Söhne errichtet worden sind — eine Marmortafel über der Thür eines kleinen, einstöckigen Häuschens an der Namurer Das Schlachtfeld von Waterloo. Straße läßt in demselben das berühmte Wirthshaus La Belle Alliance erkennen, in dem Blücher und Wellington sich am Abend der Schlacht als Sieger begrüßten; verfolgt man aber die Straße nur wenige Kilometer weiter nach Süden, so findet man bald keine Spur mehr, die an die beispiellosen Ereignisse erinnerte, deren Schauplatz sie an jenem schrecklichen Abende gewesen ist. Auch in dem klei nen Genappe scheint sich kein Andenken daran erhalten zu haben. Das etwa 1 700 Einwohner zählende Dorf liegt mit seinen beiden einzigen, hauptsächlich von den Kühen des Ortes belebten Straßen so still und verschlafen da, als Wäre es nie durch eine weltgeschichtliche Katastrophe aus seiner vorweltlichen Ruhe aufgerüttelt worden. Bei Genappe kündigt sich das wallonische Land durch endlos weite Heidestrecken an, auf denen die in großen Ab ständen von einander , liegenden Dörfer und Weiler, im Ge gensatz zu den durch Felder und Wiesen getrennten Gehöften eines Manschen Dorfes, wie feste, kompakte Häuser massen erscheinen. Anstatt des säubern Weiß eines vlämi- schen Bauernhauses zeigt sich hier bald allenthalben der dunkelröthliche, oft in tiefes Braun übergehende Ton der stets unverputzten wallonischen Ziegelbauten. Und eine große, zum Theil durch die verschiedenen natürlichen Lebens- bedingungcn hervorgerusene Verschiedenheit tritt uns auch bei der Betrachtung der Sitten und Gewohnheiten des vlämischen und des wallonischen Volkes von Südbrabant entgegen. Während der Umländer,'der sich hier fast aus schließlich mit Gemüsebau beschäftigt, auf seinem in un mittelbarer Nähe seines Hauses belegenen Gartenlande arbeitet und sich dadurch den Sinn für ein behagliches Familienleben erhält, bleibt der Wallone, der die Acker kultur gern in großem Maßstabe betreibt und sich mit Vor liebe der Urbarmachung von Heideland widmet, oft tage lang vom Hause entfernt und betritt dasselbe nur Abends, um sich von der Tagesarbeit oder von den seiner geselligen gesprächigen Natnr überaus zusagenden Freuden des Wirths- hauses auszuruhen. Diesen verschiedenen Neigungen ent spricht denn auch das Aeußere und die innere Einrichtung ihrer Häuser. Die in der rauhen Jahreszeit stets über heizten Hütten des vlämischen Bauern zeigen an ihren